# taz.de -- Universitätsbesetzungen sind zurück: Ab in die Hörsäle | |
> Studierende sind von vielen Krisen direkt betroffen. Nun entdecken sie | |
> die Besetzung von Universitäten als Protestform wieder. | |
Bild: Erfurt, Jena, Wien: Es werden wieder Hörsäle besetzt | |
Nach den letzten Coronasemestern wünschen sich Studierende vielerorts eine | |
Rückkehr zum normalen Unibetrieb. Viele empfinden die Pandemie und ihre | |
Folgen nach wie vor als belastend. Und auch die nun folgende | |
[1][Energiekrise trifft die Studierenden hart], insbesondere diejenigen, | |
die ohnehin schon wenig Geld haben. | |
Wie funktioniert das Universitätsleben unter dieser Mehrfachbelastung? Wie | |
lässt sich gemeinsam eine demokratische Lehre gestalten? Und wie können die | |
Studierenden dabei ihre Bedürfnisse artikulieren? Die Universitäten müssen | |
ein Ort des Austauschs sein. Um das sicherzustellen und ihre Forderungen | |
durchzusetzen, entdecken Studierende nun offenbar ein altbewährtes Mittel | |
wieder: die Universitätsbesetzung. | |
Ob es nun um die Rettung der einzigen Geschlechterfakultät in Jena geht; | |
darum, zu verhindern, dass die Universität Erfurt ihre Energiesparmaßnahmen | |
auf die Studierenden abwälzt; oder um eine klimagerechte Unilehre in Wien – | |
das Protestmittel der Wahl ist für viele Studierende heute wieder die | |
Besetzung. Wie schön, dass sie nach den Einschränkungen durch die | |
Coronapandemie offenbar nicht aus der Mode gekommen ist. | |
Besetzungen von Hörsälen oder anderen Lehrgebäuden haben nicht nur in der | |
deutschen Universitätsgeschichte Tradition. Mediale Aufmerksamkeit erfuhren | |
vor allem die Besetzungen 2009 im Vorfeld der bundesweiten Bildungsstreiks. | |
Die Studierenden kritisierten die hohen Studiengebühren. Die Aufregung über | |
die Proteste sorgte für weitreichende bildungspolitische Debatten. An | |
einigen Universitäten, beispielsweise in Heidelberg, wurden die | |
Studiengebühren in der Folge gesenkt. Ein direkter Erfolg für die | |
Protestierenden. | |
## Eine Tradition in Deutschlands Universitätsgeschichte | |
2009 wurde auch das erste und letzte Mal die Universität in Erfurt besetzt. | |
Zumindest bis vergangenen Donnerstag. In Erfurt, wo es an der Universität | |
bisher wenige studentische Aktionen gab, mobilisierten sich nun in | |
kürzester Zeit etwa 100 Studierende. Sie besetzten die Bibliothek, die seit | |
Neuestem verkürzte Öffnungszeiten hat und am Wochenende vollständig | |
geschlossen bleibt. Eine Energiesparmaßnahme, heißt es von der | |
Universitätsleitung. | |
Sie vergaß dabei wohl, dass die Heizung zu Hause dann aus der Tasche der | |
Studierenden selbst bezahlt werden muss – ein Handeln, das die | |
Prekarisierung dieser Gruppe immer weiter vorantreibt. Und nicht nur das | |
Geld spielt dabei eine Rolle. Die Bibliothek ist für viele ein Ort des | |
Austauschs, der Lernmöglichkeit, die unter Umständen im Wohnraum nicht | |
gegeben ist, und bietet freien Zugang zum Uni-Wi-Fi. „Besetzen'‘ lautete | |
deshalb die Idee einer Planungsgruppe in Erfurt. Um sich den Raum | |
zurückzuholen und Druck auf die Universität auszuüben. Und dieser zeigte | |
offenbar sogleich seine Wirkung: Das Unipräsidium sagte den | |
Besetzer*innen noch am selben Tag einen Gesprächstermin zum Austausch | |
zu. | |
Auch in Jena war die Besetzung das Mittel der Wahl, um Forderungen mit | |
einer besonderen Dringlichkeit darzulegen. Die unterscheiden sich von denen | |
der Studierenden in Erfurt, denn sie kritisieren die geplante | |
[2][Abschaffung des bundesweit einzigen Lehrstuhls für | |
Geschlechtergeschichte]. Gerade angesichts anhaltender Forderungen der | |
Thüringer AfD, die bereits seit mehreren Jahren ein Ende der | |
Genderlehrstühle wünscht, erwarten die Studierenden ein klares Signal ihrer | |
Universität. Die Besetzung, als eine radikale Form der Druckausübung, hilft | |
auch ihnen, ihre Forderungen zu unterstreichen. | |
Die Proteste an den unterschiedlichen Hochschulen und Universitäten haben | |
aber noch einen weiteren Effekt: Sie empowern die Studierenden. Sie | |
schaffen – wortwörtlich – einen Raum, der für Austausch unter ihnen sorgt | |
und weitere Aktionen ermöglicht. Diese Räume sind an Universitäten nur noch | |
selten vorgesehen. | |
„Es war krass zu bemerken, dass man so schnell etwas auf die Beine stellen | |
kann. Und dass dann Leute beim Protest dabei sind, die ich nicht einmal | |
kannte. Aber zu wissen, dass wir alle für die gleiche Sache einstehen, das | |
war wirklich ein krasses Gefühl“, sagte eine der Organisator*innen | |
der Bibliotheksbesetzung in Erfurt der taz. Und eine Beteiligte der | |
Besetzungen in Jena sagte: „Der besetzte Hörsaal als Raum der | |
Politisierung, zum Lernen, zum Quatschen mit Freund*innen ist auch als | |
physischer Raum ganz wichtig für den Zusammenhalt der Studierenden.“ | |
Es gibt ihn also noch, den Zusammenhalt, den Wunsch nach Veränderung und | |
Teilhabe unter Studierenden. Sie schaffen es, sich vor Ort zu mobilisieren, | |
auch [3][nach mehreren Onlinesemestern]. Spannend zu sehen, was aus dieser | |
Form des Protests in Zukunft noch alles entsteht. | |
6 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Energiesparen-an-Universitaeten/!5886860 | |
[2] /Ende-des-Lehrstuhls-Geschlechtergeschichte/!5896542 | |
[3] /Hochschulen-im-Onlinemodus/!5757041 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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