# taz.de -- Ende des Lehrstuhls Geschlechtergeschichte: Hörsaal in Jena besetzt | |
> Studierende protestieren gegen das Ende der Professur für | |
> Geschlechtergeschichte. Und gegen Arbeitsbedingungen studentischer | |
> Hilfskräfte. | |
Bild: Aktuell besetzt: der Hörsaal 1 der Friedrich-Schiller-Universität Jena | |
LEIPZIG taz | Auf dem Podium des Hörsaal 1 der | |
Friedrich-Schiller-Universität Jena liegen Matratzen. Nicht, weil | |
Studierende hier eine Pyjamaparty veranstalten oder in der Uni übernachten, | |
um in ihren WGs Energie zu sparen. Sondern weil sie den Hörsaal besetzen – | |
und das bereits die fünfte Nacht in Folge. | |
Ihr Protest richtet sich gegen die geplante Abschaffung des [1][bundesweit | |
einzigen Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte]. Die Professur von | |
Lehrstuhlinhaberin Gisela Mettele, die 2025 in den Ruhestand geht, soll | |
nicht nachbesetzt werden. | |
Grund dafür sind Sparmaßnahmen: Die Uni Jena hat sich dazu verpflichtet, | |
die Juniorprofessur für Digital Humanities – die seit 2019 vom | |
Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird – nach sechs | |
Jahren in eine Vollprofessur umzuwandeln und selbst zu finanzieren. Das | |
kostet Geld – was die Uni an anderer Stelle sparen muss. | |
Um den Lehrstuhl Geschlechtergeschichte zu erhalten, haben die Studierenden | |
seit der Bekanntgabe der Pläne im Sommer schon vieles probiert, etwa eine | |
Kundgebung veranstaltet und eine [2][Petition gestartet], die mehr als | |
2.900 Personen unterschrieben haben. Weil das nichts gebracht hat, haben | |
sie nun härtere Maßnahmen ergriffen – und den größten Hörsaal der Uni Je… | |
mit knapp 200 Studierenden besetzt. So wollen sie die Unileitung dazu | |
bringen, die Professur von Lehrstuhlinhaberin Gisela Mettele nach ihrer | |
Emeritierung neu zu vergeben. | |
## Fatales Signal | |
„Wir besetzen den Hörsaal so lange, bis uns die Uni versichert, dass der | |
Lehrstuhl Geschlechtergeschichte erhalten bleibt“, sagt Jonas, 23, am | |
Telefon. Er ist einer von rund 40 Studierenden, die den Hörsaal seit | |
Mittwoch dauerhaft besetzen. „Die Abschaffung der Professur | |
Geschlechtergeschichte ist antifeministisch und sendet ein fatales | |
politisches Signal – denn die Uni geht damit indirekt der Forderung der | |
Thüringer AfD nach, Gender-Lehrstühle nicht nachzubesetzen“, sagt Jonas, | |
der seinen Nachnamen aus Angst vor rechten Gruppierungen in Jena nicht | |
nennen möchte. „Das Vorhaben der Uni steht im Widerspruch dazu, dass sie | |
sich klar zu gendergerechter Sprache bekennt und Genderthemen lehrt.“ | |
Jonas und die anderen Protestierenden kritisieren aber nicht nur die | |
Abschaffung des Lehrstuhls an sich, sondern auch die Art und Weise, wie die | |
Entscheidung getroffen wurde. Die Perspektive der Studierenden habe dabei | |
keine Rolle gespielt. | |
Zunächst habe eine „völlig undurchsichtig“ besetzte Kommission beschlosse… | |
entweder den Lehrstuhl Geschlechtergeschichte oder den Lehrstuhl | |
Mittellatein zugunsten der Digital Humanities zu streichen. Die endgültige | |
Entscheidung gegen die Geschlechtergeschichte hat dann im Juli der | |
Fakultätsrat der philosophischen Fakultät getroffen. „Wir Studierenden | |
hatten aber nur zwei von 17 Stimmen“, kritisiert Jonas. „Außerdem haben wir | |
erst einen Tag vor der Fakultätsratssitzung erfahren, dass darin darüber | |
abgestimmt werden soll, welcher Lehrstuhl für die Digital Humanities | |
weichen muss.“ | |
Den Vorwurf der Studierenden, die Entscheidung sei „undemokratisch und | |
intransparent“ gefallen, weist der Dekan der philosophischen Fakultät, | |
Christoph Demmerling, zurück. „Das Rechtsamt der Universität hat alle | |
Schritte, die zur Abstimmung führten, eingehend geprüft und festgestellt, | |
dass der Prozess keinen Anlass für Beanstandungen gibt“, sagt Demmerling | |
der taz. „Es fanden verschiedene Gespräche und Diskussion im Vorfeld der | |
Entscheidung im Fakultätsrat statt. Jeder hätte davon wissen können, dass | |
da ein Entscheidungsprozess anstand.“ | |
Zur Entscheidung gegen die Geschlechtergeschichte sagt Demmerling, dass der | |
Wegfall einer Professor immer ein „inhalticher Verlust“ sei. „Aber im Fall | |
der Geschlechtergeschichte lautete ein Argument, dass der Verlust besser | |
kompensiert werden könne als an anderen Stellen, da Geschlechterthemen in | |
vielen Bereichen der Fakultät – und zwar in Lehre und Forschung – eine | |
wichtige Rolle spielen.“ | |
## Professorin begrüßt Protest | |
Gisela Mettele, die derzeitige Lehrstuhlinhaberin der | |
Geschlechtergeschichte, hält dagegen. „Das Argument, der Lehrstuhl sei | |
nicht mehr nötig, da Geschlechtergeschichte ein Querschnittsthema sei und | |
in den Fächern ohnehin präsent, entspricht nicht den Realitäten.“ Mettele, | |
die in drei Jahren in den Ruhestand geht, plädiert für die Nachbesetzung | |
ihres Lehrstuhls und begrüßt den Protest der Studierenden. | |
Diese setzen sich neben dem Erhalt der Professur und mehr Mitbestimmung | |
auch für bessere Arbeitsbedingungen von studentischen Hilfskräften ein. | |
„Unsere zweite Kernforderung sind Tarifverträge für studentische | |
Beschäftigte in Thüringen“, sagt Nico, der zwei Hiwi-Jobs hat und ebenso | |
wie Jonas den Hörsaal besetzt. „Wir bekommen gerade mal den Mindestlohn und | |
müssen uns nach zwei oder drei Monaten meist wieder neue Jobs suchen, weil | |
die Verträge so kurz sind“, kritisiert der 24 Jahre alte Soziologiestudent. | |
Studentische Hilfskräfte werden bisher nur in Berlin nach Tarif bezahlt. | |
Thürigens Finanzministerin Heike Taubert (SPD) reagierte bis | |
Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage der taz, wie sie zu der Forderung | |
nach einem Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte steht. | |
Wie lange die Studierenden noch den Hörsaal 1 besetzen werden, ist unklar. | |
Am Freitag, dem dritten Tag der Besetzung, haben sich Uni-Leitung und | |
Studierende zu einem ersten Gespräch getroffen. „Insgesamt war es ein | |
angenehmes Gespräch“, heißt es in einem Statement der | |
Hörsaal-Besetzer:innen. „Es zeigten sich viele Gemeinsamkeiten, etwa die | |
geteilte Einschätzung, dass der Geschlechtergeschichte als Forschungsgebiet | |
eine hohe wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung zu kommt.“ | |
Zufriedengeben wollen sich Jonas, Nico und die anderen Demonstrierenden | |
damit aber nicht. „Eine Beendigung der Besetzung ist erstmal nicht | |
geplant“, sagt Jonas. In dieser Woche sollen weitere Gespräche zwischen | |
Unileitung und Studierenden stattfinden. Darin soll es insbesondere um die | |
Arbeitsbedingungen studentischer Hilfskräfte sowie die Forderung nach mehr | |
demokratischer Mitsprache gehen. | |
4 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Genderdebatten-in-Thueringen/!5893734 | |
[2] https://www.openpetition.de/petition/online/geschlechtergeschichte-an-der-u… | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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