# taz.de -- Winfried Kretschmann über Wahlkampf: „Ich bewundere die CSU“ | |
> Winfried Kretschmann spricht über sein Verhältnis zur Union und zu | |
> Fridays for Future – und über falsche Vergleiche zwischen Klima- und | |
> Coronakrise. | |
Bild: Wie unterscheiden sich die Grünen in Baden-Württemberg von der Union? | |
taz: Herr Ministerpräsident, Sie haben sich früh für eine dritte Amtszeit | |
entschieden. Dann kam die Coronapandemie, nun leider die Krebserkrankung | |
Ihrer Frau. Haben Sie Ihre Entscheidung seitdem infrage gestellt? | |
Winfried Kretschmann: Die Frage stelle ich mir nicht. Es bringt nix mit | |
Krisen zu hadern, man muss sie mit der gleichen Energie anpacken wie andere | |
große Aufgaben auch. Natürlich will man gestalten, aber Krisen möglichst | |
gut zu bewältigen, gehört zu meinen Amtspflichten. Das gilt auch bei | |
persönlichen Schicksalsschlägen. Krebs kann geheilt werden und meine Frau | |
ist zuversichtlich, dass sie die Krankheit überwinden kann. | |
Interessieren sich die Leute [1][im Wahlkampf] für etwas anderes als | |
Coronapolitik? | |
Es ist extrem schwierig, aber das muss man annehmen, das ist einfach so. | |
Andererseits ist es ja auch gut, dass die Krise bestimmte Mängel aufdeckt, | |
etwa beim Stand der Digitalisierung im Schulwesen. Aber man spürt jetzt, | |
dass die Leute einfach genug von den Einschränkungen haben. Vielleicht | |
führt das auch dazu, dass wir den Geschmack von Freiheit wieder richtig zu | |
schätzen wissen, wenn wir sehen, was uns im Alltag plötzlich fehlt durch | |
ein fieses Virus. Vielleicht ist das ein Kollateralnutzen. | |
Das Virus kann durch die Impfung hoffentlich zurückgedrängt werden. Für die | |
Klimakrise bräuchte es mehr Disziplin der Menschen, die er in der Pandemie | |
vermisst habe, hat der Epidemiologe Karl Lauterbach neulich skeptisch | |
gesagt. Sehen Sie das auch so? | |
Nein, eher im Gegenteil. Zum einen bin ich überrascht, mit welch hoher | |
Disziplin Leute Einschränkungen in Kauf nehmen, die bis an die ökonomischen | |
Existenzgrenzen gehen. Zweitens ist das kein guter Vergleich. Die | |
Klimakrise wird härter, langwieriger und herausfordernder, keine Frage. | |
Aber wie man in der Coronakrise in kurzer Zeit einen Impfstoff gefunden | |
hat, so werden auch in der Klimakrise Innovationen kommen und sich | |
durchsetzen, die wir heute noch gar nicht kennen. Das brauchen wir. | |
Ich kann in Baden-Württemberg den besten Klimaschutz aller Zeiten machen, | |
das rettet die Erde nicht, dazu sind wir zu klein. Was wir machen, muss | |
also kopierfähig sein, das ist unsere Verantwortung. Wir müssen bei uns | |
zeigen, dass der Kampf gegen den Klimawandel Arbeitsplätze und Wohlstand | |
sichert und sozialverträglich ist. Dann werden andere Regionen der Welt in | |
den Klimaschutz einsteigen und er wird global erfolgreich sein. Wir haben | |
die grün denkende Bevölkerung, die das möchte, eine Wissenschaft, die | |
Lösungen erforscht, eine Unternehmerlandschaft, die das auch umsetzt: Wer, | |
wenn nicht wir, könnte zeigen, dass es geht? Wir haben es selbst in der | |
Hand. Das ist etwas anderes als der Kampf gegen die Pandemie. | |
Was Sie gerade sagten, steht jetzt auch 1:1 im Wahlprogramm der Landes-CDU. | |
Wo ist der Unterschied zu den Grünen? | |
Der Unterschied ist, dass ich das seit zehn Jahren umsetze, jetzt kommt die | |
CDU auch mal drauf. Das kann ja nix schaden, aber es ist nicht auf ihrem | |
Mist gewachsen. Was die verkünden, ist Kretschmann pur. Sich mit der | |
Industriekultur und der Zivilgesellschaft verbünden, um in die grüne | |
Richtung zu gehen – so geht das hier als Ministerpräsident. | |
Ihre ökologischen Kritiker in der Partei, der Klimaliste und Fridays for | |
Future halten ‚Kretschmann pur‘ für reine Symbolpolitik ohne notwendige | |
Effekte im Hinblick auf den 1,5 Grad-Pfad. Was sagen Sie denen? | |
Erstmal: Das 1,5-Grad-Ziel haben wir auch im Programm stehen. Aber Ziele | |
alleine reichen nicht. Das ist die Ungeduld der Jugend. Das kann ich ja | |
auch verstehen. | |
Das kritisieren auch Ältere. | |
Ist ja schön, dass der Mensch bis ins Alter jung bleiben kann. Aber mal im | |
Ernst: Das verkennt erst einmal, dass der Kampf gegen den Klimawandel nicht | |
mit Fridays for Future beginnt. Windräder sind heute global ein | |
marktfähiges Gut und das gäbe es ohne Deutschland nicht. Was unter der | |
rotgrünen Bundesregierung für die Energiewende angestoßen wurde, hat einen | |
weltweiten Siegeszug angetreten… | |
…[2][in Baden-Württemberg nicht]… | |
…natürlich, auch hier. Aber vielleicht nicht schnell genug. Warum dauert es | |
in Deutschland sieben Jahre, bis man ein Windrad aufstellen kann? Das | |
Problem, das die jungen Leute ansprechen, ist richtig: Wie legen wir Tempo | |
zu? Aber die Grundlagen dafür, dass wir jetzt Tempo zulegen können, dafür | |
haben wir viele Jahre Politik gemacht. | |
Bei FFF haben Sie es offenbar auch atmosphärisch schwer. Eine | |
Klimapolitikaktivistin sagt: Gegen Kretschmann ist Schäuble ein Frauen- und | |
Jugendrevolutionsversteher. | |
Ich frage mich jede Woche: Wie werden wir schneller? Und ich rede ja mit | |
den Fridays-for-Future-Aktivisten – und im Ziel sind wir uns einig: ein | |
emissionsfreies Baden-Württemberg. Die Fragen sind: Was sind die | |
Instrumente, wo die Mehrheiten, wo die Bündnispartner, um die höhere | |
Geschwindigkeit hinzubekommen? Ich hatte als Ministerpräsident die | |
Möglichkeit, den CO2-Preis nachzuverhandeln. Der ist durch uns Grüne im | |
Emissionshandel von 10 auf 25 Euro pro Tonne gestiegen. | |
Viel zu wenig. | |
Moment: Wichtig ist, dass dieses Instrument jetzt implementiert ist. Nur | |
dann kann es die Marktwirtschaft dynamisieren. Jetzt hat er eine | |
Lenkungswirkung, noch nicht ausreichend, aber zumindest haben wir den Hebel | |
umgelegt. Hier ist uns das über den Bundesrat gelungen. Aber für Kernfragen | |
des Klimaschutzes haben wir landespolitisch keine Kompetenz. Das klingt für | |
junge Leute wie eine Entschuldigung, aber ich muss immer wissen, was in | |
meiner Macht steht und was nicht. Da muss man mir schon ex post sagen, wo | |
wir etwas hätten anders machen können und vor allem wie. Und nicht nur die | |
Ziele nennen. | |
Die Solarpflicht in Baden-Württemberg brauchte zehn Jahre, warum so lange | |
und dann nur für gewerbliche Neubauten? | |
Okay, das ist eine gute Ex-Postfrage. Warum kommt man auf bestimmte Dinge | |
nicht früher? Man muss halt an einer Stelle anfangen. Dass das auf allen | |
Dächern kommt, dafür haben wir in der Koalition eben keine Mehrheit | |
bekommen. Aber ja: Wir brauchen das auf allen geeigneten Dächern, das | |
müssen wir in der nächsten Legislatur fixieren. | |
Wenn Leute über Kretschmann-Politik klagen, kommen fast immer zwei | |
symbolpolitische Aufreger: Ihr privater Diesel und Ihr Eintreten für die | |
„Abfuckprämie“ für Autos mit Verbrennungsmotor, wie die Klimaktivisten das | |
nennen. Würden Sie das nochmal machen? | |
Nein, ich würde es nicht mehr machen, vor allem aus der Erfahrung, wie | |
damit umgegangen wird. Mit der Mehrwertsteuer wurde allerdings ein | |
Konjunktur-Instrument gewählt, dass CO2-technisch gar keine Steuerung mehr | |
zulässt. Aber darüber wird dann nicht sachlich diskutiert. | |
Ihr nächstes Privatauto wird kein Diesel mehr? | |
Das ist ein reines Elektroauto. Das habe ich vor einem Jahr bestellt und | |
hab's immer noch nicht. | |
Wo sind Ihre Autogipfel mehr als Symbolpolitik? | |
Ich mach' eben gerade keine Gipfel, Ich mache einen kontinuierlichen | |
Austausch in Form eines strategischen Dialogs. Wir haben an vielen Stellen | |
veraltete Verwaltungs- und Regierungsstrukturen, deshalb sind diese | |
strategischen Dialoge ein Mittel, diese alte Politik in wirkliche | |
Arbeitszusammenhänge zu bringen, in denen alle Akteure drin sind: Die | |
großen Automobilisten, Zulieferer, Energiewirtschaft, Wissenschaft, | |
Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Naturschutzverbände. | |
Mit welchen konkreten Ergebnissen? | |
Ein Beispiel für ein innovatives Infrastruktur-Projekt ist das Netz an | |
Ladestationen in Baden-Württemberg, an dem 70 Akteure beteiligt waren. Das | |
war schon im Herbst 2019 fertig, alle 20 Kilometer eine Ladestation. Das | |
zweite waren Schnellladeparks in großen Städten. Seither haben wir eine | |
Netz-Grundstruktur, nun kann man das gezielt nach der Nachfrage ausbauen. | |
Da sind wir anderen weit voraus. | |
Sie glauben wirklich an das Format? | |
Auf diese neuen Formate kommt es mehr an als auf viele Dinge, die in | |
Programmen oder Koalitionsverträgen stehen. Die Politik des Gehörtwerdens | |
mit Bürgerbeteiligung war sicher das Wichtigste, was ich eingeführt habe, | |
um Politik auf eine neue Ebene demokratischer Teilhabe zu führen. Wir | |
kommen da in eine neue Phase, und das hat mich auch motiviert, | |
weiterzumachen. | |
Unlängst soll einer Ihrer Minister angesichts der klimapolitischen Blockade | |
des Koalitionspartners ausgerufen haben: „Nie wieder CDU“. | |
Naja, man klagt immer über die, die man gerade hat. Man hat ja nur | |
vergessen, wie mich die SPD während der vorherigen Koalition wirklich jeden | |
Monat öffentlich geärgert hat. Neulich hat ja unsere Landesvorsitzende | |
gesagt, die CDU sei in der Klimapolitik ein Klotz am Bein. Da kann ich nur | |
sagen: Der Koalitionspartner ist gewissermaßen immer ein Klotz am Bein. Der | |
will halt öfter etwas anderes, weil er ja eine andere Partei ist. Mit der | |
CDU hat man andere Probleme als mit der SPD. Mit einem Dreierbündnis wäre | |
es vielleicht nochmal komplizierter. | |
Ist das nicht die Beschreibung einer „Gesellschaft der Stagnation“, wie das | |
der Soziologe Andreas Reckwitz nennt? Wir haben hohen Veränderungsbedarf, | |
wir sehen die Probleme, aber es gibt keine Politik oder Mehrheit, sie zu | |
beheben. Wie lässt sich diese Selbstblockade bei einer möglichen | |
Regierungsbeteiligung der Grünen im Herbst in Berlin beenden? | |
Wenn man koaliert, darf man nicht nur Schnittmengen abgleichen. Man muss | |
auch sehen, durch welche Themen Dynamik entsteht, damit nicht immer nur der | |
kleinste gemeinsame Nenner rauskommt. Und dann braucht es eben neue | |
Formate, die eine Dynamik auch aus der Bevölkerung heraus freisetzen. Das | |
haben wir ja zum Beispiel beim Thema Artenschutz und dem Volksbegehren | |
erlebt. Da eröffnen sich plötzlich neue Spielräume. | |
Es zeichnen sich für den Wahlkampf im Bund zwei Strategien ab, da ist | |
Robert Habeck, [3][der Kretschmann-mäßig] die expliziten Merkel-Wähler | |
abgreifen will… | |
Das ist gut. Und klug. | |
Gibt es die Merkel-Lücke auch noch mit Laschet als CDU-Vorsitzendem? | |
Das weiß ich nicht. Aber wenn ich die baden-württembergische CDU angucke… | |
die haben bei der Vorsitzendenwahl mit Friedrich Merz ja gerade auf den | |
Falschen gesetzt. Ich glaube, dass es eine erhebliche Zahl an Wählern gibt, | |
die gut findet, was die Kanzlerin macht und nicht so gut, dass die CDU es | |
hier in Baden-Württemberg immer ein bisschen anders macht. | |
Und dann gibt es die Strategie von Markus Söder, der die Grünen lobt, aber | |
sagt: Ich brauche die gar nicht, ich bin selber grün. | |
Das funktioniert alles für Bayern. Wie lange, wird man sehen. Aber wenn man | |
sieht, wie nett Söder zumindest auf Bundesebene zu den Grünen ist: Das ist | |
ja schon fast der Beginn von Sondierungsgesprächen. | |
Zu Ihnen ist er besonders nett. Auf dem baden-württember-gischen | |
CDU-Parteitag hat er die Kretschmann-Grünen mit dem FC Bayern verglichen, | |
also dem Champions-League-Sieger. | |
Wir arbeiten regelmäßig zusammen für die „Südschiene“ und haben einen | |
sportlichen Wettbewerb unserer Länder. Und man muss sagen, diese CSU ist | |
für Bayern ja auch eine geniale Erfindung. Ich hab die immer ein bisschen | |
still bewundert. | |
Oh… | |
Die CDU hält ja von Volksabstimmungen nichts. Aber in Bayern gibt es mit | |
der CSU Volksentscheide sogar ohne Quoren. Die CSU schaut eher auf die | |
Strömungen in der Bevölkerung und nicht einfach auf Lobbygruppen. Das | |
unterscheidet sie ganz elementar von der CDU hier. Das passiert aber | |
natürlich nicht immer zu unserer Freude. In der Flüchtlingspolitik ist das | |
ins Populistische ausgefranst. Aber wenn die CSU merkt, dass das Volk grün | |
will, dann hadern die nicht rum, sondern dann machen die grün. Ich sehe es | |
immer mit einem gewissen Amüsement, wie sich da die beiden | |
Schwesterparteien fundamental unterscheiden. Und zu wissen, was die | |
Menschen umtreibt, ist richtig, relativ unideologisch und eine absolute | |
Grundbedingung für Politik. | |
2 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Umfrage-zu-Landtagswahlen-in-Suedwest/!5749342 | |
[2] /Gruen-Schwarz-in-Baden-Wuerttemberg/!5753283 | |
[3] /Bundestagswahlen-2021/!5752192 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Winfried Kretschmann | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
Kretschmann | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
Susanne Eisenmann | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Unionspolitiker Andreas Jung: Ritter ohne Rüstung | |
Nach der Wahl muss die CDU/CSU beim Klimaschutz ernst machen. Sie hat | |
womöglich sogar den richtigen Mann. Aber ist er zu nett für den Job? | |
Koalition in Baden-Württemberg: Wer wird Kretschmanns Herzblatt? | |
Noch vor Ostern will sich Winfried Kretschmann entscheiden, mit wem er | |
regieren will. Er hat die Wahl zwischen der CDU und einer Ampel. | |
Wege aus der Krise: Werden wir zynisch, Leute? | |
Wut- und Schimpfkonformismus gibt es angesichts der schwierigen Coronalage | |
genug, und zwar auf allen Kanälen. Jetzt braucht es etwas anderes. | |
Wahlausgang in Baden-Württemberg: Debatte um Folgen von Klimaliste | |
Auf Twitter tobt eine Debatte: Hat die Klimaliste in Baden-Württemberg | |
Grün-Rot torpediert? Die Grünen halten sich lieber bedeckt. | |
Wahl in Baden-Württemberg: Der schwarze Grüne | |
Winfried Kretschmannn ist der Erfolgsgarant der Ökopartei im Südwesten: | |
Immer mittig und fast wie Merkel. Doch was in Stuttgart funktioniert, würde | |
in Berlin scheitern. | |
Grüne und Coronamaßnahmen: Protestantismus und Angst | |
Das grüne Milieu schaut oft zu wenig auf die sozialen Folgen der | |
Pandemiebekämpfung. Im Zweifel steht es für Dekrete und harte | |
Ausgangssperren. | |
Winfried Kretschmanns Frau erkrankt: „Ich will für sie da sein“ | |
Winfried Kretschmann schränkt seinen Wahlkampf in Baden-Württemberg ein. | |
Seine Frau ist an Brustkrebs erkrankt. | |
CDU-Spitzenkandidatin über Wahlkampf: „Gesundheit ist nicht verhandelbar“ | |
CDU-Politikerin Susanne Eisenmann will in Baden-Württemberg Lösungen finden | |
und Revolutionen vermeiden. Ein Gespräch über soziale Verantwortung. | |
Wahlkampf in Baden-Württemberg: Ein heißes Eisen | |
Im Südwesten beginnt der erste große Wahlkampf unter Pandemiebedingungen. | |
Der Deal: nicht zu viel Konkurrenz in Krisenzeiten. Klappt das? |