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# taz.de -- Wahlkampf in Baden-Württemberg: Ein heißes Eisen
> Im Südwesten beginnt der erste große Wahlkampf unter Pandemiebedingungen.
> Der Deal: nicht zu viel Konkurrenz in Krisenzeiten. Klappt das?
Bild: Koalitionspartner, Konkurrenten, Krisenmanager: Susanne Eisenmann und Win…
Stuttgart taz | Normalerweise würde hier jetzt ein möglichst atmosphärische
Texteinstieg stehen: vom Auftritt des Ministerpräsidenten in, sagen wir,
Schwäbisch Hall, wie er huldvoll in den applaudierenden Saal grüßt, den die
Wahlkreisabgeordnete Jutta Niemann vorher für ihn warmgeredet hat. Winfried
Kretschmann hätte gerade ein Unternehmen besichtigt, das ihm seine
besonders ausgefuchste Klimatechnik präsentiert hat.
Beeindruckt würde er davon berichten und dann mit einem kleinen Exkurs über
Homer oder Hannah Arendt vom Konkreten zum Globalen übergehen. Da wäre es
dann ganz still im Saal. In den Redepausen würde Kretschmann am Tee nippen,
um seine sicher lädierte Stimme zu pflegen. Und dann ginge es schon weiter,
nach Balingen oder Schramberg.
Der Korrespondent würde dann möglichst pointiert die kämpferische Rednerin
Susanne Eisenmann dagegen schneiden. Wie sie unter dem Label „Eisenmann
will’s wissen“ ebenfalls durchs Land tourt. Wie sie erst einmal gegen den
Mangel an Bekanntheit und gleichzeitig gegen die allgemein übliche
Unbeliebtheit einer Kultusministerin ankämpfen muss. Und wie sie vielleicht
auch manchen CDU-Ortsvereinsvorsitzenden davon zu überzeugen versucht, dass
auch eine Frau das Land regieren könnte.
Journalisten und Politiker würden versuchen, zu erspüren, ob da irgendwo
ein Wechselwille verborgen ist. Oder ob in Baden-Württemberg einfach alles
bleibt, wie es ist. Also im grünen Bereich.
Wahlkampf ist ein geübtes Ritual für alle Beteiligten. Bis etwas
dazwischenkommt. Bei der letzten Wahl 2016 bestimmte das Thema Geflüchtete
die Diskussion, plötzlich brachte die AfD die Parteienarithmetik aus dem
Lot. Auch jetzt bestimmt eine Krise den [1][Wahlkampf], diesmal aber ganz
praktisch:
Wie geht Wahlkampf in Pandemiezeiten?
Wie mobilisiert man Wähler während einer Pandemie, wenn Versammlungen nicht
erlaubt und auch Wahlstände am Marktplatz nicht das Richtige sind? Wie den
Wähler für Strukturwandel in der Autoindustrie und neue Mobilitätsmodelle
interessieren, wenn öffentlich kaum etwas anderes diskutiert wird als
mögliche Lockerungen des Lockdowns und die Verteilung der Impfdosen? Wie
geht Wahlkampf zwischen dem grünen Ministerpräsident und seiner schwarzen
Kultusministerin, die gerne werden will, was er nun auch schon seit zehn
Jahren ist, während beide vollauf damit beschäftigt sind, diese Krise in
einer gemeinsamen Regierung zu managen?
Susanne Eisenmann und er selbst hätten sich gegenseitig versprochen, keinen
Coronawahlkampf zu machen, beteuert Winfried Kretschmann ein ums andere
Mal. Seine Begründung sei eine staatspolitische, sagt Kretschmann
würdevoll: Kein Wähler würde es akzeptieren, wenn der Kampf um die
Wählergunst das Pandemiemanagement behindern würde.
Aber was soll das eigentlich heißen, keinen Coronawahlkampf zu machen? Kann
man die Maßnahmen der Regierung, die ja Menschenleben retten sollen und
dabei in Freiheitsrechte eingreifen, einfach so dem politischen Diskurs
entziehen? Offenbar nicht. Schon vor Weihnachten drängelte Susanne
Eisenmann, Schulen und Kitas auch „unabhängig von der Inzidenzlage“ wieder
zu öffnen. Die Diskussion reichte bis in den Januar, dann bremste
Kretschmann sie mit seiner Richtlinienkompetenz demonstrativ aus.
Zwei Wochen später, direkt nach der Ministerpräsidentenkonferenz, verkündet
er selbst, Baden-Württemberg öffne Grundschulen und Kitas schon ab Anfang
Februar. Abends im ständig tagenden ZDF-Coronatribunal von Markus Lanz
[2][wirkt er in die Enge getrieben], als er dieses Ausscheren aus der
gemeinsamen Linie der Ministerpräsidenten mit überschlagender Stimme
verteidigt. Es braucht erst den Ausbruch einer Coronamutation in einer
Kindertagesstätte im Freiburger Vauban-Viertel, der den Vorstoß in letzter
Minute doch noch stoppt.
Fortgesetzte Schulöffnungsdebatten
Trotzdem geht die Öffnungsdebatte im Kabinett Kretschmann munter weiter.
Eisenmann, die darauf besteht, das Wohl sozial benachteiligter Kinder – und
nicht Wählerstimmen – im Blick zu haben, kritisiert den Mangel an
Schnelltests, die die Öffnungen doch möglich machen würden. Der
angegriffene Sozialminister Manne Lucha muss vom Regierungschef gebremst
werden, als er vor der Presse darauf reagieren möchte. „Kein
Coronawahlkampf“ heißt also mal mindestens, dass Debatten, die bisher am
Kabinettstisch geführt wurden, jetzt in der Öffentlichkeit ausgetragen
werden.
Diese Beteuerung sei doch „Heuchelei“, sagt der Fraktionsvorsitzende der
FDP, Hans-Ulrich Rülke, der auch in normalen Zeiten keine Gelegenheit zur
Polemik auslässt. Wahrscheinlich hätten Kretschmann und Eisenmann
ausgemacht, dass sie bloß behaupten, keinen Coronawahlkampf zu machen.
Schließlich seien alle Parteien im Wahlkampf. Und so schießt sich auch die
SPD auf den für Impfstrategie und Coronamaßnahmen zuständigen grünen
Sozialminister ein, während die Spitzenkandidaten darauf achten, sich
gegenseitig nicht allzu sehr zu schaden. Auch weil sehr wahrscheinlich ist,
dass sie nach der Wahl in der ein oder anderen Konstellation wieder
miteinander regieren müssen.
Das Vorpreschen bei der Kitaöffnung hat Susanne Eisenmann bundesweit
immerhin bekannt gemacht. Dass es sie auch beliebt gemacht hätte, kann man
nicht behaupten. Alle Umfragen, die gerade kursieren, sprechen dagegen.
Danach wollen nur 17 Prozent der Wähler Susanne Eisenmann als
Ministerpräsidentin. Selbst 65 Prozent der CDU-Anhänger wollen lieber den
Grünen Kretschmann behalten.
Dass sich Aufmerksamkeit nicht ganz einfach in Zustimmung ummünzen lässt,
zeigt auch der Shitstorm über die CDU-Wahlplakate, die vergangene Woche
präsentiert wurden. Da ist zum Beispiel das Konterfei von Spitzenkandidatin
Eisenmann zu sehen, die fragt: „Wollen wir nicht alle beschützt werden?“.
[3][Für Spott in der Twittergemeinde] sorgte die irritierende Aufforderung
der CDU zur freien Liebe: [4][Gemeinsam. Kinder. Machen.] (Bei dem sich
allerdings herausstellte, dass es gar nicht von den Christdemokraten aus
dem Ländle stammt, sondern aus dem NRW-Kommunalwahlkampf im Herbst 2020).
Umstrittene Wahlplakate
Das Großplakat „CDU wählen, weil wir Verbrecher von heute mit Ausrüstung
von morgen jagen“ trendet derweil bundesweit unter dem Hashtag
#WirVerbrecherVonHeute. Die Plakatkampagne wirkt, als hätte der
Generalsekretär der Partei die Kampagne mit Mundschutz und beschlagener
Brille abgenommen – auch wenn Manuel Hagel gar kein Brillenträger ist.
Die CDU will die aus ihrer Sicht normalen Verhältnisse im Südwesten endlich
wieder herstellen und als stärkste Kraft das Land regieren. Dafür wollte
der junge und ehrgeizige Hagel nichts dem Zufall überlassen. Schon vor
[5][Corona] hatte er einen digitaleren und datenbasierteren Wahlkampf
geplant, dafür eine ganze Brigade von Beratern konsultiert.
Für die Plakatkampagne zeichnet deshalb dieselbe Agentur verantwortlich,
die der CDU in Bremen zum Wahlerfolg verholfen hat. Hagel sieht die Debatte
deshalb „völlig entspannt“, wie er sagt. Und setzt sogar noch einen drauf:
„Über unsere Kampagne wird gesprochen. Das ist doch top. Unsere
Spitzenkandidatin hat da völlig recht.“
Denn bei aller Digitalität spielen Wahlplakate bei den Parteien noch immer
eine wichtige Rolle. Vor allem Grüne und die CDU hängen heutzutage
wesentlich mehr davon auf als in vergangenen Wahlkämpfen. Sie sollen ein
wenig Präsenz bei Veranstaltungen ersetzen und die Wähler auch jenseits der
Bubble erreichen.
„Eigentlich arbeiten wir ja bei Twitter und Facebook gegen den Algorithmus,
wenn wir die eigene Blase verlassen wollen“, sagt der grüne Landeschef
Oliver Hildenbrand. Keine Partei kann sicher sein, wie viele Wähler sie
tatsächlich auf den sozialen Kanälen erreicht, die nicht zur
Stammwählerschaft gehören. Die Besucherzahlen bei den digitalen
Kundgebungen sind manchmal durchaus höher als sonst in den
Mehrzweckhallen. Auch weil Neugierige hinzukämen, die sich nicht unbedingt
zu einer Parteiversammlung aufgemacht hätten, meint Susanne Eisenmann.
Für die Wahlkampfteams gilt es jetzt, die Spannung bis zum eigentlichen
Wahlsonntag am 14. März aufrechtzuerhalten. Durch die wesentliche höhere
Zahl der Briefwähler dürfen die Parteien nicht wie sonst alle Kraft in die
letzten Tage vor dem Wahlsonntag stecken – Briefwahlen sind im Land ab
dieser Woche möglich. „Ab jetzt ist eigentlich jeden Tag
Wahlkampfhöhepunkt“, sagt Hildenbrand.
## Verliert der FC Bayern?
Zumindest um die Mobilisierung der Wähler müssen sich die Politiker
offenbar keine allzu großen Sorgen machen. Bei den Oberbürgermeisterwahlen
im Herbst in Konstanz und der Landeshauptstadt Stuttgart war die
Wahlbeteiligung jeweils höher als bei Wahlen zuvor. Was vielleicht auch an
den Kandidaten lag, die neue Formate erprobt und damit einigen Erfolg
hatten: In Konstanz kam der Kandidat der vereinten Linken, Luigi
Pantisano, bei gutem Wetter zum Kandidatenschaulaufen in private Vorgärten
und wusste auch Social Media zielgruppengerecht zu nutzen. Beinahe hätte
ihn das ins Rathaus getragen.
Auch in Stuttgart hatte nur der ebenfalls knapp unterlegene unabhängige
Kandidat Marian Schreier eine konsequente Digitalstrategie. Eines sei
sicher, sagt Grünen-Chef Hildenbrand, digitaler Wahlkampf sei keineswegs
günstiger zu haben als ein konventioneller; eine leidvolle Lehre aus der
vergeigten Kampagne in Stuttgart, wo die Grünen den OB-Posten nach acht
Jahren an die CDU verloren haben.
Doch das Kräfteverhältnis im Land ist ein anderes als in der
Landeshauptstadt. Im Moment liegen die Grünen ganze 6 Prozentpunkte vor der
CDU, im November waren beide noch fast gleichauf.
Ausgerechnet Markus Söder hatte in seinem Grußwort zum CDU-Landesparteitag
die Kretschmann-Grünen mit dem FC Bayern verglichen. Söder tröstete seine
Unionsfreunde nur halbherzig: Auch die Bayern verlören mal ein Spiel.
Stimmt. Im Moment allerdings sieht es nicht danach aus.
6 Feb 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Landtagswahl-in-Baden-Wuerttemberg/!t5122813
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kretschmann-lanz-schurken-ministerpr…
[3] https://twitter.com/worrius/status/1355284553598951429?ref_src=twsrc%5Etfw%…
[4] https://twitter.com/ralfheimann/status/1300385696537026560?ref_src=twsrc%5E…
[5] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
## AUTOREN
Benno Stieber
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