# taz.de -- CDU-Spitzenkandidatin über Wahlkampf: „Gesundheit ist nicht verh… | |
> CDU-Politikerin Susanne Eisenmann will in Baden-Württemberg Lösungen | |
> finden und Revolutionen vermeiden. Ein Gespräch über soziale | |
> Verantwortung. | |
Bild: Will Grundschulen und Kitas möglichst bald öffnen: CDU-Politikerin Susa… | |
taz: Frau Eisenmann, nach der gescheiterten Öffnung von Schulen und Kitas | |
in Baden-Württemberg sind sie wohl die bekannteste Kultusministerin der | |
Republik. Warum haben Sie das Thema Schulöffnung so vorangetrieben? | |
Susanne Eisenmann: Weil ich mir um das Wohl der Kinder wirklich Sorgen | |
mache. Ich ärgere mich über die Unterstellung, das sei [1][dem Wahlkampf] | |
geschuldet. Ich bin in Baden-Württemberg auch für Kitas zuständig. Wir | |
hatten voriges Jahr von März bis Mai Schulen und Kitas geschlossen. Das war | |
richtig, weil wir wenig wussten. | |
Aber ich habe nicht nur mit Virologen, sondern auch mit Kinderärzten, | |
Kinder- und Schulpsychologen und Sozialarbeitern gesprochen. Die Regel sind | |
Kinder, die nicht angeleitet werden, die in schwierigen sozialen | |
Verhältnissen oder räumlich beengt leben. Manche müssen Gewalterfahrungen | |
durchstehen. Gerade für diese Kinder sind Kitas und Grundschulen wichtige | |
Schutzräume, die Stabilität bieten. | |
Ich kenne keinen Politiker, der nach den Erkenntnissen aus dem Lockdown im | |
letzten Frühjahr nicht gesagt hat, dass es uns trotz Pandemie gelingen | |
muss, Schulen und Betreuungseinrichtungen offen zu halten. | |
Haben Sie ihre Einschätzung jetzt nach dem [2][Auftreten der Mutation in | |
einer Kita in Freiburg] geändert? | |
Ich stehe zum Lockdown, weil Gesundheit und Infektionsschutz nicht | |
verhandelbar sind. Leider war er angesichts der Entwicklung unvermeidbar. | |
An den weiterführenden Schulen ist Fernunterricht das Gebot der Stunde. | |
Aber an meinem grundsätzlichen Ziel, gerade Kitas und Grundschulen so bald | |
wie möglich zu öffnen, hat sich nichts geändert. | |
Wir müssen schrittweise vorgehen und versuchen, Infektions- und | |
Gesundheitsschutz, auf den Erzieherinnen und Lehrkräfte einen Anspruch | |
haben, in Einklang zu bringen mit einer Perspektive für die Kinder. Mit | |
Masken und mit einer erweiterten Teststrategie. Ich bin ein bisschen | |
enttäuscht darüber, mit welcher Lässigkeit Leute jetzt Baumärkte und | |
Schulen gleichsetzen. | |
Bei dem Thema halten viele den Zeitpunkt und Ihre Vehemenz für Wahlkampf | |
mit dem Coronathema, den Sie eigentlich nicht machen wollten. | |
Diese Unterstellung hat mich tatsächlich getroffen. Wenn ich von einer | |
Sache überzeugt bin, kämpfe ich. Ich hätte es mir ja auch bequemer machen | |
können. Wenn ich den Verbänden im Land einfach recht geben würde, die bei | |
diesem Thema laut sind, käme ich relativ windschnittig durch die Krise. Das | |
entspricht aber nicht meiner Überzeugung. Deshalb habe ich den | |
Wahlkampfvorwurf auch nicht verstanden. | |
Im gerade verabschiedeten Wahlprogramm präsentiert sich die Landes-CDU | |
betont modern. Sie wollen plötzlich mehr Windräder und Elektromobilität. | |
Muss ein klassischer Konservativer jetzt doch den Grünen Winfried | |
Kretschmann wählen, damit alles so bleibt, wie es ist? | |
Ich glaube ja, dass die CDU in der Vergangenheit zu oft Antworten auf | |
Fragen gegeben hat, die keiner mehr gestellt hat. Man kann ja das Bild von | |
Familie und Gesellschaft konservieren, aber das bringt nichts, wenn es | |
nicht mehr der Realität entspricht. Es gibt Veränderungen, die von außen | |
auf uns einprasseln. | |
Unsere Aufgabe ist es, das Umfeld jedes Einzelnen mit politischen Konzepten | |
stabil zu halten. Die Frage ist also, wie wir Revolutionen verhindern und | |
trotzdem Lösungen für globale, technische und strukturelle | |
Herausforderungen finden. Mir war es wichtig, dass wir für unser | |
Wahlprogramm auch mit Gruppen außerhalb der CDU sprechen. Mit einigen | |
übrigens zum ersten Mal. | |
Einen konservativen grünen Ministerpräsidenten sind die Leute jetzt | |
gewohnt. Eine progressive Kandidatin einer Südwest-CDU, die lange als | |
besonders konservativ galt, ist hingegen neu. | |
Meine Partei hat diesem Regierungsprogramm auf dem Parteitag mit 100 | |
Prozent zugestimmt, nach einem vorgeschalteten intensiven | |
Diskussionsprozess. Das zeigt, dass die Partei zu diesem | |
Modernisierungskurs steht. Beim Ministerpräsidenten bin ich mir nicht so | |
sicher, inwieweit seine eher bürgerlichen Ansätze von seiner Partei in der | |
Breite mitgetragen werden. Man kriegt weder Kretschmann noch Eisenmann | |
allein. | |
Da bleiben Widersprüche in der Zielsetzung nicht aus. Einerseits wollen Sie | |
Natur- und Artenschutz, empfehlen aber mehr Häuslebau als Mittel gegen die | |
Wohnungsnot. Das bedeutet mehr Flächenfraß. | |
Das Problem mangelnden Wohnraums kennen wir ja nicht nur in den | |
Großstädten, es betrifft auch kleinere Kommunen drum herum. Und ja, die CDU | |
ist die Partei der Häuslebauer. Die Eigentumsquote bei uns im Land ist | |
gering, deshalb finde ich, dass wir uns mehr steuerliche Entlastungen für | |
das Eigenheim zutrauen sollten. | |
Aber mit Reihenhäusern allein werden wir den Wohnbedarf nicht decken | |
können, deshalb braucht es mehr mehrgeschossiges Bauen mit innovativen | |
Wohnformen. Was den sozialen Wohnungsbau angeht, war es aus meiner Sicht | |
ein Fehler, 2012 die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zu verkaufen. Da | |
hat das Land Handlungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben. | |
Bisher ist die CDU hier vor allem damit aufgefallen: Umweltauflagen | |
abschaffen, um Neubauten zu erleichtern. | |
Mir geht es nicht um Umweltauflagen, wenn ich die Bauordnung vereinfachen | |
will. Es gibt da andere Auflagen, die das Bauen teurer machen. Etwa, dass | |
ab einer gewissen Wohnungszahl Spielplätze da sein müssen. Oder die Pflicht | |
zu Abstellräumen oder zu Fahrradstellplätzen. Da wollen wir gern mehr | |
Flexibilität, ohne unterm Strich weniger Abstellplätze für Fahrräder oder | |
weniger Spielmöglichkeiten zu haben. | |
Ist die Atomkraft ein Mittel, um die Klimaziele zu erreichen, zu denen sich | |
Ihre Partei bekennt? | |
Nein. Ich halte überhaupt nichts davon, diese Diskussion zurückzuschrauben. | |
Die Entscheidung ist gefallen, und dafür gab es auch gute Argumente. Auch | |
für den Kohlekompromiss gab es gute Argumente. Aber eins muss auch klar | |
sein: das Licht machen wir alle an – und das soll dann auch brennen. | |
Und stromintensive Industrie braucht Sicherheit. Dafür brauchen wir einen | |
Energiemix und eine gewisse Offenheit für Technologien. 75 bis 80 Prozent | |
der Bürger sind für Windkraft, allerdings nicht in ihrer Nähe und nicht in | |
Sichtweite. Auch Trassen werden mancherorts abgelehnt, so wird das | |
natürlich schwierig. | |
Haben Sie diese Themen unter dem Eindruck der Bewegung Fridays for Future | |
hineingenommen? | |
Dass nachfolgende Generationen uns fragen, was wir ihnen mal hinterlassen, | |
das finde ich mehr als berechtigt. Wie konsequent sie das getan haben, hat | |
mir Respekt abgenötigt. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, | |
Deutschlands Anteil am Klimawandel ist so gering, dass unsere Bemühungen eh | |
so gut wie keinen Effekt haben, dann lässt man am besten alles. Aber | |
Deutschland hat eine Vorbildfunktion, und zu dieser bekennen wir uns als | |
CDU. | |
Wir müssen im Kleinen beginnen und klimafreundlicher werden. Der | |
Unterschied zu anderen Parteien ist, dass wir nicht jedem vorschreiben | |
wollen, wie er das macht. | |
Ist mit Ihnen ein Tempolimit denkbar? | |
Ein starres Tempolimit 130 auf der Autobahn finde ich nicht zukunftsfähig. | |
Aber was ich für richtig halte, sind intelligente Tempolimits, die je nach | |
Verkehrssicherheit, Lärmschutz und Verkehrsaufkommen zu bestimmten | |
Tageszeiten die erlaubte Höchstgeschwindigkeit vorgeben. Morgens 90, wenn | |
es den Verkehrsfluss erhöht, und nachts auch mal 160, wenn es die Strecke | |
zulässt. Bei der Mobilität insgesamt bietet uns die Digitalisierung | |
Chancen, die wir für Sicherheit und Umwelt nutzen sollten. | |
Sie sagen, Baden-Württemberg dürfe mit seiner Autoindustrie nicht das | |
gleiche Schicksal wie Nordrhein-Westfalen mit der Kohle erleiden. Wie | |
wollen Sie das verhindern? | |
Bei uns hängen rund 500.000 Arbeitsplätze an der Automobilindustrie. Das | |
sind nicht nur Jobs bei den Konzernen, da sind auch viele Mittelständler | |
dran beteiligt. Diese Industriestruktur darf nicht einfach verschwinden. | |
Deshalb wollen wir auch kein Verfallsdatum für den Verbrennungsmotor. Es | |
geht doch nicht um den Verbrennungsmotor an sich, sondern es geht um die | |
Frage, was im Tank ist. | |
Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe können Lösungen sein. | |
Batteriemobilität ist ein Teil des Verkehrskonzepts, aber man darf sich | |
nicht zu einseitig darauf fixieren. Es ist ja unbestritten, dass die | |
Automobilkonzerne Fehler gemacht haben … | |
… und getrickst haben … | |
… ja, und auch getrickst haben. Aber der Strukturwandel kommt, und wir | |
müssen erreichen, dass auch morgen noch die besten Autos in | |
Baden-Württemberg entwickelt, gebaut und exportiert werden – | |
umweltfreundlich, ressourcenschonend, mit topmoderner Technologie. Da geht | |
es aber um vielfältige Antriebe und Neuentwicklungen für verschiedene | |
Mobilitätsformen. | |
Ich bin nicht pauschal gegen den Individualverkehr, da unterscheide ich | |
mich zum Beispiel von Landesverkehrsminister Winne Hermann. Die Mobilität | |
muss zur persönlichen Lebenssituation passen. In NRW ist der Strukturwandel | |
übrigens in vielen Ecken gelungen. Die Alternative wäre Detroit, das müssen | |
wir mit aller Kraft verhindern. | |
Und die Grünen stehen aus Ihrer Sicht für das Modell Detroit? | |
Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich will auch nicht schwarzmalen. Aber | |
es gibt schon Sorgen bei Menschen, die in der Industrie arbeiten. Die | |
wollen wissen, wie sieht denn mein Arbeitsplatz morgen aus? Ich diskutiere | |
mit Menschen, die jetzt bedingt durch Corona in Kurzarbeit sind. Die wollen | |
wissen, ob sie in drei, vier Monaten arbeitslos oder wieder vollbeschäftigt | |
sind. Es gibt ja jetzt schon einen Abbau von Ausbildungsplätzen in der | |
Region Stuttgart. Das ist neu, wir hatten ja viele Jahre Stabilität. | |
Während Sie auf Wähler in der Mitte schielen, kann die AfD machen, was sie | |
will, und liegt im Land trotzdem über 10 Prozent. War es nicht mal Aufgabe | |
der CDU, für rechte Parteien keinen Raum zu lassen? | |
Rechts, links – das ist eine Diskussion, die führen Politiker und | |
Journalisten, aber viele Menschen können damit wenig anfangen. Ich bin | |
gesellschaftspolitisch und sozial wahrscheinlich eher links, | |
bildungspolitisch eher konservativ. So hat jeder unterschiedliche | |
Schwerpunkte, das macht ja die Stärke der CDU als Volkspartei aus. | |
Beim Thema innere Sicherheit und Sicherheit im sozialen Raum, da bin ich | |
konservativ, da hat auch die CDU ihren Markenkern. Wir stehen zur Polizei | |
und sind der Meinung, dass die Polizei eine moderne Ausstattung und | |
innerhalb des Rechtsstaats mehr Kompetenzen braucht. Mit den Grünen haben | |
wir da im Polizeigesetz nur Kompromisse hinbekommen. | |
Die CDU ist wie der Bundesinnenminister gegen eine Untersuchung | |
rechtsextremer Tendenzen in der Polizei. Kann man so eine Untersuchung | |
nicht gerade dann richtig finden, wenn man redliche Polizeibeamte | |
wertschätzt? | |
Man sollte nicht so tun, als gäbe es diese Tendenzen bei der Polizei | |
überhaupt nicht. Dort, wo sich der Verdacht von solchen Umtrieben erhärtet, | |
muss man klare Konsequenzen ziehen. Aber die Polizei unter Generalverdacht | |
zu stellen, halte ich für falsch. | |
Armin Laschet spricht für den Bund von einer Richtungswahl, weil nicht | |
einmal Kretschmann eine Koalition mit der Linkspartei in Berlin | |
ausschließen würde. | |
Ja, ich war überrascht von Kretschmanns Aussage. Und was man sich im Bund | |
vorstellen kann, kann man sich ja wohl auch für das eigene Land vorstellen. | |
Warum das was ganz anderes sein soll, kann mir auch Winfried Kretschmann | |
nicht erklären. Und Grün-Rot-Rot? Da bin ich mir sehr sicher, dass das | |
viele im Land nicht wollen. | |
9 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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