| # taz.de -- Wiederveröffentlichung von The Kinks: Als Sex noch schmutzig war | |
| > Vor 50 Jahren erschien „Arthur or the Decline and Fall of the British | |
| > Empire“ von The Kinks. Nun wird die Rockoper wiederveröffentlicht. | |
| Bild: The Kinks, April 1969 (Mick Avory, John Dalton, Dave Davies, Ray Davies, … | |
| EU-Mitgliedschaften kommen, EU-Mitgliedschaften gehen, aber die | |
| Attraktivität der Royals als [1][Premiumopium fürs Volk] für | |
| Kapitalismusverlierer bleibt unverändert. Generationen vor Kate und Meghan, | |
| ja, Jahrzehnte vor Lady Di gab es Princess Marina, in Athen geborene | |
| ursprüngliche Prinzessin von Griechenland und Dänemark, die durch Heirat | |
| mit Prinz George, dem vierten Sohn von König George 1934 zum Mitglied des | |
| britischen Königshauses wurde. | |
| Mag sie auch heute nur noch dem unverdrossensten Yellow-Press-Tieftaucher | |
| vertraut sein, hat sie doch in der Popkultur ihren festen Platz: 1969 | |
| adelten The Kinks das Album „Arthur or The Decline And Fall Of The British | |
| Empire“ mit dem Song „She’s Bought A Hat Like Princess Marina“: „She�… | |
| bought a hat like Princess Marina’s / and her neighbors think it suits her | |
| a treat / but she hasn’t any food in the larder / nor has anybody else in | |
| the street / but to look at her you’d think she was wealthy / ’cos she | |
| smiles just like a real millionaire / ’cos she’s bought a hat like Princess | |
| Marina’s / so she don’t care.“ | |
| Unterschied sich die Welt vor dem Brexit also gar nicht so sehr von der | |
| Welt nach dem Brexit (beziehungsweise währenddessen)? Jedenfalls ist | |
| Großbritannien damals wie heute nicht ohne seine Vergangenheit als | |
| Weltreich erklärbar. Mag es damit in den Augen einiger wie kaum ein anderes | |
| europäisches Land für die Verbrechen des Kolonialismus stehen, verklären | |
| andere das Empire als genau den Idealzustand, dem man nicht zuletzt durch | |
| den Brexit wieder näherzukommen hofft. | |
| 1969 war das Empire den Briten natürlich noch viel näher, sein Geist mitten | |
| im britischen Alltag immer wieder spürbar, Zeitzeugen lebten noch, und dass | |
| es eine ruhmreiche Ära gewesen war, war die herrschende Meinung, die nur | |
| selten infrage gestellt wurde. | |
| ## Swinging London | |
| Mitten in der Hysterie des britischen Popaufbruchs wie er als [2][„Swinging | |
| London“] heutzutage verklärt wird, lebten noch jede Menge Typen wie der | |
| Titel gebende Arthur, Schwager des Kinks-Bandleaders Ray Davies: ein | |
| typischer Londoner Working-Class-Bloke, geboren, als die Königin noch | |
| Victoria hieß. | |
| Arthur überlebte zwei Weltkriege, verlor allerdings einen Bruder und einen | |
| Sohn, heiratete irgendwann Ray Davies’ ältere Schwester Rosie und wanderte | |
| schließlich mit seiner Familie nach Australien aus. Nach seinem realen | |
| Vorbild schuf Davies die Titelfigur des gleichnamigen Kinks-Albums. „Long | |
| ago, life was clean“, lässt Davies seinen Arthur im Eröffnungssong des | |
| Albums, dem herrlich polkaartig treibenden „Victoria“ konstatieren: „Sex | |
| was bad, called obscene / And the rich were so mean / Stately homes for the | |
| Lords / Croquet lawns, village greens / Victoria was my queen.“ | |
| Die Verehrung für seine Königin hatte allerdings, anders als heute, nichts | |
| damit zu tun, dass die Royals regelmäßig für Ablenkung von den alltäglichen | |
| Mühen und Unterhaltung durch klatschpressewürdige Eskapaden sorgten und | |
| voyeuristische Einblicke in eine unerreichbare Große Welt gaben. Das | |
| weltumspannende Empire mit seiner Königin auf dem Thron gab seinem Leben | |
| Sinn – wie traurig der auch sein mag: „I was born, lucky me / in a land | |
| that I love / though I’m poor, I am free / when I grow, I shall fight / for | |
| this land, I shall die / let her sun never set.“ | |
| Es brauchte einen Ray Davies, um diesen Teil der britischen Realität in | |
| die Popmusik einzuführen. Seine Band hatte sich ja zunächst mit | |
| R-&-B-Shoutern wie „You Really Got Me“ und „All Day And All Of The Night�… | |
| einen Namen gemacht. Aber schon bald erwachte in ihm der Ehrgeiz, tiefer in | |
| die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen einzudringen. | |
| Auf seinem ersten Meisterstück, dem Album „Something Else“ (1967), ist fast | |
| jeder Song ein Porträt. 1968 erschien das erste Konzeptalbum der Kinks: | |
| „The Kinks Are The Village Green Preservation Society“. Dabei wurde auch | |
| die Musik immer britischer, Polka statt Blues und Rock, | |
| Oldtime-Jazz-Elemente, wie sie im Nachkriegsengland so populär waren, | |
| Anleihen bei Skiffle, Music Hall und Gilbert & Sullivan. | |
| Mo Ostin, damals Chef von Warner-USA, ermutigte Davies ausdrücklich, in | |
| diese Richtung weiterzumachen, und tatsächlich waren The Kinks in den USA | |
| immer erfolgreicher als in der Heimat. | |
| ## Wandlungsfähigen Stimme | |
| Allerdings war Ray Davies bei diesem Projekt auf sich allein gestellt. | |
| Weder in der britischen Musikszene der späten 1960er Jahre noch in der | |
| eigenen Band gab es Mitstreiter, geschweige denn Konkurrenten. Sein Bruder | |
| Dave kämpfte sein Leben lang mit seiner Mittelmäßigkeit als Songschreiber | |
| und Hardrock-Gitarrist, die Rhythmussektion war wie willfährige Schäfchen. | |
| Der ereignisarm vor sich hin rumpelnde Jam am Ende des so vielversprechend | |
| startenden Songs „Australia“ zeigt die Dimension dieses Problems. | |
| Zum Glück ist Ray mit einer höchst wandlungsfähigen Stimme gesegnet, kann | |
| verschiedene Personen verkörpern, vor allem aber auch verschiedene | |
| Haltungen: So wechselte er etwa in „She’s Bought Hat Like Princess Marina“ | |
| mitunter innerhalb einer Zeile zwischen einem eher empörten in einen | |
| ironischen Tonfall und kommt spätestens am Ende einer jeden Strophe („… so | |
| she don’t care“) bei einem Pub-Mitgröl-Gebrüll an. | |
| In dieser Mehrstimmigkeit zeigt sich aber nicht nur seine theatralische | |
| Neigung, die ihn später diverse Musicals komponieren und auf die Bühne | |
| bringen ließ, sondern auch eine gewisse Unsicherheit in der Haltung, eine | |
| erschrockene Distanzierung vom Selbstgeschriebenen oder zumindest eine | |
| Relativierung. | |
| Greil Marcus ernannte „Arthur“ seinerzeit im Rolling Stone zum „besten | |
| britischen Album des Jahres“ 1969 und befand: „Pete Townsend liegt Welten | |
| dahinter, und auch die Beatles haben noch viel Boden gutzumachen.“ | |
| Kommerzieller Erfolg war dem Album zunächst jedoch nicht beschieden. Auch | |
| die ausgekoppelten Singles verfehlten die Charts, und „Victoria“ kam erst | |
| 1988 in die britischen Top 40 – in einer Coverversion von The Fall. | |
| ## Die Original-LP tut’s auch | |
| Und obwohl 1970 mit „Lola“ ein weltweiter Riesenhit folgte, konnten sich | |
| The Kinks nie so richtig als UK-Sixties-Survivors etablieren. Während für | |
| The Who und die Rolling Stones in den 1970er Jahren die Zeit der großen | |
| Stadientouren begann, spielten The Kinks in kleineren Hallen und wurden vor | |
| allem in ihrer Heimat als Has-beens belächelt. Währenddessen komponierte | |
| Ray Davies zwanghaft Konzeptalben, alle von durchwachsener Qualität, kein | |
| Opus Magnum dabei, immer nur einzelne brillante Songs – die liefert er | |
| allerdings in erstaunlicher Regelmäßigkeit quasi bis heute. | |
| Zum 50. Geburtstag wird „Arthur Or The Decline And Fall Of The British | |
| Empire“ jetzt in diversen Formaten neu auf den Markt gebracht: als | |
| Doppelalbum, einfache CD, Doppel-CD und als Megabox. Wie fast immer bei | |
| diesen Editionen kann man auf die Beigaben – bis auf die großartige, damals | |
| erfolglose Single „Plastic Man“ – auch gut verzichten: Es gibt das Album … | |
| Originalstereo- und im Originalmonomix, dazu noch ein paar 2019er Remixe. | |
| Es gibt einen Batzen banaler Dave-Davies-Kompositionen, Teile eines nie | |
| fertig gestellten Soloprojekts, die ihrerzeit auf Single-B-Seiten entsorgt | |
| wurden oder auf Raritäten-Compilations auftauchten. Die sonstigen B-Seiten | |
| und Demos kann man sich auch schenken, nicht uninteressant allerdings für | |
| die Beschäftigung mit der „Arthur“-Thematik sind einige unveröffentlichte | |
| Demos von Outtakes zu Ray Davies’ 2008er Musical „Come Dancing“, das den | |
| „Arthur“-Plot teilweise wieder aufnahm. Aber eigentlich ist man am besten | |
| beraten, wenn man sich die Original-LP besorgt. | |
| 9 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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