| # taz.de -- Modeausstellungen in London: Tod der Debütantin | |
| > Mary Quant steht für die Swinging Sixties, Christian Dior für Haute | |
| > Couture. Zwei Ausstellungen zeigen, was Mode mit Wünschen und Ängsten | |
| > einer Zeit zu tun hat. | |
| Bild: Minikleider in A-Linie und Schürzenkleider – das ist der typische 60s-… | |
| Dass Mode mehr ist als Kleidung und Konsum, sollte sich längst | |
| rumgesprochen haben. Auch wenn man mit Begriffen wie Distinktion oder | |
| Habitus nichts anfangen kann oder zu den Menschen gehört, die zu viele | |
| Ideale haben und deshalb stets nur schwarze Jeans und schwarzes T-Shirt | |
| tragen. | |
| Die gesellschaftliche und auch im engeren Sinne politische Relevanz von | |
| Mode zu studieren geben derzeit zwei Sonderausstellungen im Londoner | |
| Victoria and Albert Museum gute Gelegenheit. Das Kunstgewerbe- und | |
| Designmuseum V&A, wie es kurz genannt wird, beherbergt die weltweit größte | |
| Modesammlung, beeindruckende Exponante aus fünf Jahrhunderten. Die | |
| Sonderausstellungen „Mary Quant“ und „Christian Dior: Designer of Dreams�… | |
| könnten unterschiedlicher kaum sein und erschließen ein Stück | |
| Nachkriegsgeschichte. | |
| Christian Dior, der wie kein Zweiter für Haute Couture steht und 1947 mit | |
| seinem so genannten New Look die Körper der Frauen wieder den gewundenen | |
| Linien der längst vergangenen Belle Epoque untertänig machte, und Mary | |
| Quant, Ikone des Swinging Sixties London Look, die den Minirock populär | |
| machte und mit dem Boyish Look die Emanzipation der Frau anschieben wollte. | |
| „In einem Zeitalter, das überall sich bemüht, der Frau die | |
| Gleichberechtigung zu erkämpfen, macht er aus Frauen hilflos zarte | |
| Geschöpfe“, hieß es in der Presse, als Christian Dior, der schüchterne Sohn | |
| eines Großindustriellen, seinen New Look präsentierte. Wespentaille, | |
| ausladende Hüften und Glockenrock: Dior ging zurück zu jener | |
| Sanduhr-Silhouette der Jahre zwischen 1871 und 1914, die für die Frauen | |
| modisch und gesellschaftlich mit einer eingeschränkten Bewegungsfreiheit | |
| assoziiert war. | |
| ## Die Ordnung der Geschlechter | |
| Der Zweite Weltkrieg hatte die Frauen jedoch in neue Rollen gebracht, und | |
| so eilte man sich, die Ordnung der Geschlechter gleich danach wieder | |
| herzustellen. Die Mode wurde wieder femininer. Das ist die eine Seite. Man | |
| kann Diors Kleider freilich auch als Einspruch gegen Funktionalität lesen, | |
| das Üppige und Träumerische seines Historismus als Antithese zu Mangel und | |
| Depression der Nachkriegszeit. | |
| Dem gegenüber sind die 1960er Jahre ein modisches Erdbeben: A-Linie, | |
| Baby-Bloomer-Höschen und Minirock, das ist der Stil von Mary Quant, die den | |
| Minirock zwar nicht erfindet, aber als Erfinderin gilt, weil sie ihn | |
| populär machte. | |
| Das V&A widmet ihr zu ihrem 85. Geburtstag nun eine erste große | |
| Retrospektive. Quants Bedeutung für die britische Modeindustrie, die sich | |
| mit unkonventionellen und auch subkulturellen Impulsen seit den 1960ern | |
| gegen Paris etablierte, kann man kaum überschätzen. „Working class, not the | |
| few in Paris“, hieß das bei Quant. Zwar war auch der Begründer der Haute | |
| Couture, Charles Frederick Worth, ein Brite. Aber er war ein Brite in | |
| Paris. Ein Umstand, der stets auf beiden Seiten des Kanals für Verärgerung | |
| gesorgt hat. 1966 wurde Quant für ihre Verdienste um die britische | |
| Modeindustrie von der Queen zur Dame ernannt. | |
| Wie später für Vivienne Westwood und Malcolm Mc Laren beginnt für Mary | |
| Quant, Tochter einer Lehrerfamilie, alles in der Londoner King’s Road. 1955 | |
| eröffnet sie dort die Boutique „Bazaar“. | |
| ## Good taste is dead | |
| Mit witzigen Auslagen und unkonventionellen Modeschauen wird die Boutique | |
| schnell populär, Quant ist jedoch schnell unzufrieden mit dem, was es so | |
| gibt, und beginnt deshalb selbst zu nähen. | |
| Ein Mix aus Dots und Karos, knallige Farben, Minikleider, Bubikragen und | |
| Hotpants, das war der Stil einer Anti-Debütantin, die sich weigerte eine | |
| Dame zu werden, wie es die Konvention von den Mädchen verlangte – mit | |
| Perlenkette, Absätzchen, kleinen Schritten und stundenlangen | |
| Lockenwickler-Sessions bei Mutters Friseur. Stattdessen proklamierte Quant: | |
| „Good taste is death, vulgarity is life!“ | |
| Bewegt man sich in der Londoner Ausstellung, kann man leicht erahnen, was | |
| das wirklich für die Leben der jungen Frauen damals bedeutete. Massen von | |
| älteren Damen, meist zu zweit, manchmal zu mehreren, drängen sich zwischen | |
| den einfachen Vitrinen, in denen die Quant-Exponate an Schaufenster- und | |
| Schneiderpuppen präsentiert sind. Verhaltenes Kichern, lautes Lachen, viel | |
| Aufregung ist im Raum, Erinnerungen werden ausgetauscht. Mittelklasse, | |
| leicht alternativ gekleidet – die in Erinnerung schwelgenden Frauen zu | |
| beobachten ist fast interessanter als die Ausstellung selbst. Viel Leben | |
| füllt den Raum. | |
| In den Vitrinen 120 Kleidungsstücke, Kosmetik, Barbiepuppen in Quant, | |
| Strumpfhosen, Schlafanzüge, Schnittmuster kaum teurer als eine „Vogue“ für | |
| ein Quant-Bubikragenminikleid zum Selbernähen, das Daisy-Logo – der ganze | |
| Quant-Katalog eben. | |
| ## Aufbruch ins Leben | |
| Über Social Media hatte das V&A aufgerufen, Quant-Kleider und die | |
| dazugehörenden Geschichten ihrer Trägerinnen dem Museum zu übergeben. Eine | |
| Idee, die den Impetus von Quant widerspiegelt, Mode für alle zu machen und | |
| den Snobismus in der Mode hinter sich zu lassen. Und so kann man in der | |
| Ausstellung die Geschichten ganz normaler englischer | |
| Untere-Mittelschichts-Mädchen entdecken. | |
| Die etwas schüchtern, aber zielstrebig wirkende Claire Fiander trug 1967 | |
| das „Liberty print smocked dress“. Ein Hängekleid, pinkfarbene Blätter auf | |
| rosa Untergrund, es dürfte gerade mal so den Po bedeckt haben, aber es war | |
| hochgeschlossen, mit gesmoktem Kragen. Es war ihr Lieblingskleid, sie | |
| kaufte es einst auf der Bond Street, es kostete etwa 138 Pfund und sie trug | |
| es nur zu besonderen Gelegenheiten. Ihre Mutter hat es 40 Jahre für sie | |
| aufgehoben: „As a memory of my start in life.“ | |
| Quant war revolutionär, aber nicht Avantgarde. Quant ist normal life, ist | |
| everyday life. Ihre Kleidung sollte Ausdruck individueller wie auch | |
| gesellschaftlicher Mobilität sein. In den Stoffen kehren die Streifen der | |
| Metzgerskleidung wieder, in den Schnitten die Arbeitsschürzen, die Kleider | |
| tragen Namen wie „Bank of England“ (1962), was nicht nur ironisch, sondern | |
| auch politisch gemeint ist: Anfang der 1960er konnten Frauen ohne die | |
| Erlaubnis ihres Mannes kein Konto eröffnen. | |
| Wie überhaupt die Kleiderordnungen noch nicht ganz der Vergangenheit | |
| angehörten: Bis in die 1960er Jahre gab es etwa in den USA ein Gesetz, das | |
| Frauen vorschrieb, mindestens drei deutlich weibliche Kleidungsstücke zu | |
| tragen. | |
| ## So wie Twiggy | |
| Die quantsche Mischung aus Schulmädchen und Tomboy, der bereits androgyn | |
| anmutende Look mit symmetrischem Bubikopf, den niemand besser verkörperte | |
| als das Model Twiggy, gab dem Aufbruch der Frauen einen Stil und schob ihn | |
| gleichzeitig mit an. | |
| Und auch im Hause Dior gab es nach dem Tod Christian Diors 1957 ein Beben, | |
| das seine Inspiration nicht wie einst aus der Belle Epoque, sondern von der | |
| Straße bezog. Bis dahin war Dior der architektonischen Form in der Kleidung | |
| zugetan, ein Zusammenhang, der auch in der Londoner Ausstellung sichtbar | |
| wird, wo die ganze Darbietung von einer opulenten Raumarchitektur getragen | |
| ist und die Haute Couture den sakralen Aufbau braucht. | |
| Nach 1957 übernehmen Bewegung und Mobilität statt Skulpturalem und | |
| architektonischen, konstruierten Formen: Der junge, fantastische Yves Saint | |
| Laurent übernimmt nach Diors Tod das Haus und legt 1960 mit der Kollektion | |
| „Silhouette von morgen“ einen Skandalerfolg hin. | |
| Inspiriert von der rebellischen Jugend und den Beatniks ist die Kollektion | |
| absolut wegweisend, kostet ihn jedoch seinen Job: „Meine letzte Kollektion | |
| bei Dior hatte die Welt der Mode zutiefst geschockt. Die Inspiration, die | |
| ich von der Straße bezog, wurde als sehr vulgär angesehen von den meisten | |
| Leuten, die sonst auf vergoldeten Stühlen in den Modesalons saßen. Aber sie | |
| war der erste wichtige Ausdruck meines eigenen Stils. Die sozialen | |
| Strukturen änderten sich gerade damals. Die Straße zeigte einen neuen | |
| Stolz, einen eigenen Chic, das inspirierte mich.“ | |
| ## Mod oder Beatnik? | |
| Mary Quant wiederum nimmt bestimmte Formen des Beatnik-Stils auf – dunkle | |
| Strümpfe, Rollkragen und flache Schuhe, das viele Schwarz der Beatniks ist | |
| jedoch nicht ihre Sache. „Be noticed, feel sexy, feel good“, lautet ihr | |
| weitaus weniger intellektuelles Motto, und doch schaffte sie es, einen | |
| ikonografischen Stil zu kreieren, der eine ganze Generation junger Frauen | |
| beeinflusste. | |
| „Vidal Sassoon, die Pille und der Minirock haben alles verändert“, sagte | |
| Quant einmal und hat recht damit. Die neuen Puristen unserer Tage, denen | |
| anscheinend häufig die Verhüllung der Körper Ausdruck von Freiheit ist, | |
| muss man daran erinnern. | |
| Mode bringt die Wünsche und Ängste einer Zeit zum Ausdruck, verbindet sich | |
| mit Körperpolitiken oder ist Indikator eines kulturellen und politischen | |
| Wandels von Gesellschaften, Manchmal kann sie auch auf das Kommende | |
| vorbereiten und sogar helfen, die Bindung an Vergangenes zu lockern. | |
| Aus heutiger Sicht freilich und mit dem Wissen darüber, wie in den 1980ern | |
| und 1990ern die Mode dekonstruiert und genderpolitisch aufgemischt wird, | |
| wirken Quant und die Swinging Sexties schon wieder altbacken. | |
| ## Girls will be boys | |
| Aber dennoch: Quant hat einiges beigetragen zum jugendlichen Aufbruch, zu | |
| einem ganzen Style, in dem die Jugend jedoch nicht im luftleeren Raum | |
| erfunden wurde, denn die neuen Möglichkeiten der industriellen | |
| Massenproduktion suchten und brauchten die Jüngeren wie die unteren Klassen | |
| als neue Konsumenten. | |
| „Girls will be Boys“, „The London Look“, „Liberated Fashion“ – da… | |
| ein Geschäftsmodell. | |
| 7 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Tania Martini | |
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