| # taz.de -- Buch über Mode und Zeit: Eigenartig veraltet | |
| > Was macht den berühmten Chanel-Mythos aus? Und was bedeutet die | |
| > Beschwörung des Klassischen? Ein Buch dokumentiert eine Reise hinter die | |
| > Kulissen. | |
| Bild: Gabrielle „Coco“ Chanel in einem ihrer berühmten Tweedkostüme, die … | |
| John F. Kennedy sorgte sich angeblich nur ein einziges Mal um die Garderobe | |
| seiner Gattin. Vor der gemeinsamen Reise nach Texas, wo der Präsident dann | |
| erschossen wurde, soll er gesagt haben: „Die Ehefrauen all dieser reichen | |
| Republikaner werden zum Lunch eingeladen sein. Sie werden Nerzmäntel und | |
| Diamantenarmbänder tragen. Sei so strahlend schön wie sie, aber kleide | |
| dich schlicht. Zeige diesen Texanern, was guter Geschmack ist.“ Jackie | |
| Kennedy entschied sich für den Klassiker von Chanel, ein Tweedkostüm. | |
| Eine Marke zum Synonym für Geschmack und Stil zu machen, ist kaum einer so | |
| gelungen wie Gabrielle „Coco“ Chanel. Dabei ist Chanel ein Spagat aus | |
| Widersprüchlichem: aus Mode und Dauer, aus Revolution und Klassizismus. | |
| „Mode ist vergänglich, Stil bleibt“, hieß das in einem Satz bei Gabrielle | |
| Chanel, die in Krawatte und Militärmantel unterwegs war, als die meisten | |
| Frauen sich noch mit eng geschnürten Belle-Époque-Taillen herumquälten. | |
| Obwohl es zweifelsohne revolutionär war, Kleider aus Jersey (ein Stoff, der | |
| bis dahin nur mit Unterwäsche assoziiert war) zu fertigen, Frauen in Anzüge | |
| zu stecken und den Matrosenstil zum radical chic zu machen, steht Chanel | |
| für Dauer und Klassizismus. Chanel, das ist mehr Uniform als Nerz. Mehr | |
| Variation als Bruch. | |
| Mit viel Fingerspitzengefühl für die Tradition des Hauses hat Karl | |
| Lagerfeld das Chanel-Erbe nach dem Tod von Gabrielle Chanel weitergeführt. | |
| Das Chanel-Logo prangte zwar fortan immer größer auf Kleidern und Taschen, | |
| und überhaupt gab’s oft von allem ein bisschen zu viel, aber Lagerfeld | |
| führte Chanel nach einigen erfolglosen Jahren wieder zu großem Erfolg. | |
| ## Archive und Situationisten | |
| Wie Chanel wirklich funktioniert, lernt verstehen, wer den sehr schön | |
| illustrierten Band „Hinter den Kulissen von Chanel“ (Knesebeck 2019) der | |
| Kulturjournalistin Laetitia Cénac und des Illustrators Jean-Philippe | |
| Delhomme in die Hand nimmt, die Chanels Künstler, Ateliers und Werkstätten | |
| besucht haben. | |
| Delhomme ist in seinem Fach ein Star, er hat Videos mit Grace Jones | |
| gemacht, für Vogue, New Yorker und viele andere gearbeitet und den Blog | |
| „The Unknown Hipster“ betrieben. Ein Flaneur, beeinflusst von den Pariser | |
| Situationisten. Farbenfroh und reduziert, mal mit grobem Strich, mal | |
| flächig gezeichnet, versteht er es, mit der ihm eigenen Leichtigkeit, die | |
| Exzentriker der Modewelt mit einem Augenzwinkern zu dokumentieren. Wenige | |
| Monate vor seinem Tod konnte Laetitia Cénac auch ein Gespräch mit Karl | |
| Lagerfeld führen – in der Rue Cambon 31 im 1. Pariser Arrondissement, wo | |
| sich seit Gabrielle Chanels Zeiten das Stammhaus befindet. | |
| Chanel, das ist ein hoch funktionales Imperium aus Manufakturen und | |
| (Kunst-)Handwerksbetrieben, in denen jahrhundertealtes Wissen und hoch | |
| spezialisierte Handarbeit zum Einsatz kommen. Eine Weberei im Süden | |
| Frankreichs, eine Gerberei im Osten, ein Schumacher in Mailand, | |
| Pergamentierer, Plissiererinnen, Modisten, Haspler, Weberinnen – Cénac und | |
| Delhomme stellen die Menschen und Geschichten aus 27 Betrieben vor, die | |
| Chanel in seine Métiers d’Art aufgenommen hat. | |
| Mit ihnen versteht man peu à peu, was das ist, der Mythos Chanel, wie er | |
| ständig bearbeitet wird und wie auf ganz eigentümliche Weise hier Erbe und | |
| Tradition konstituierend wirken. Man versteht auch, was diese Haute Couture | |
| ist, die nur noch wenige Modelabels sich leisten und für die Chanel | |
| zusammen mit Dior synonym steht. „Alles orientiert sich an den Archiven“, | |
| sagt Designer Thierry Dezarnaulds im Pariser Atelier der Schmuckfirma | |
| Desrues, wo ein Schatz aus allein 80.000 Knöpfen lagert. Ein Chanelknopf | |
| ist nicht einfach ein Knopf : Marguerite Duras soll ihr Leben lang einen | |
| als Talisman aufbewahrt haben, Jeanne Moreau hatte ihn ihr geschenkt. | |
| Zeitlose Eleganz und klassische Schönheit – bereits 1967 nahm der | |
| Semiotiker Roland Barthes den Stil Chanels als „eigenartig veraltet“ wahr. | |
| Nicht weil er das Futuristische abstoße, sondern weil er einem kurzen | |
| Moment in der Jugend Chanels entspreche, in der eine Minderheit der Frauen | |
| Zutritt zu gesellschaftlicher Unabhängigkeit bekam: „Es ist kein Zufall, | |
| dass die ureigenste Erfindung Chanels, das Kostüm, ziemlich nah am Anzug | |
| liegt.“ Chanel – ein konservierter Moment. Stimmt irgendwie. | |
| 3 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Tania Martini | |
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