# taz.de -- Wiederholungswahl in Berlin: Wahlkampf im Laborkittel | |
> Olaf Scholz und Franziska Giffey machen Wahlkampf bei Bayer. Giffey | |
> spricht dabei von der Chancenstadt Berlin. Ob diese ihr auch eine weitere | |
> Chance gibt? | |
Bild: Olaf Scholz (r.) und Franziska Giffey: „Chemielehrerin“ und „Bereic… | |
BERLIN taz | Vom 14. Stock muss die Aussicht über Berlin wirklich großartig | |
sein. Den Ort für das Hintergrundgespräch mit der Regierenden Berliner | |
Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bundeskanzler Olaf Scholz hat der | |
Bayer-Vorstand sicher nicht zufällig in die oberste Etage seines Berliner | |
Sitzes gelegt. Der Pharma- und Chemiekonzern kann sich als lokaler | |
Leuchtturm präsentieren und die SPD-Prominenz die schöne Aussicht genießen. | |
Schade, dass ausgerechnet dieser Punkt nicht medienöffentlich ist. Denn | |
ansonsten ist der gesamte Besuch von Giffey und Scholz am Montagnachmittag | |
zum Mitfilmen und -schreiben freigegeben. Angefangen vom Gespräch mit | |
Auszubildenden an Kaffeetafel – die mitten im Foyer vor einer begrünten | |
Wand aufgestellt wurde – bis zum Besuch im Labor. Es handelt sich bei dem | |
Unternehmensbesuch [1][um einen reinen Wahlkampftermin]. | |
Denn am Sonntag wählt Berlin schon wieder beziehungsweise erneut, was auch | |
den gerade aus den Winterferien heimgekehrten Großstädter:innen so | |
langsam bewusst wird. Und die Aussichten für Giffey und [2][ihre Berliner | |
SPD] sind sehr, sehr bodenständig. Je nach Umfrage liegt die SPD auf Platz | |
zwei oder drei. Auf dem ersten Platz Platz behauptet sich laut | |
Meinungsforscher:innen seit Wochen die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten | |
Kai Wegner. | |
Den Namen sollte man sich allmählich merken, denn falls die CDU am Sonntag | |
weiter und weit vorn liegt und die amtierende rot-grüne-rote Koalition noch | |
zwei, drei Punkte verliert, werden sich wohl sowohl die Grünen als auch die | |
SPD bei Wegner um den Part der Juniorpartner:in bewerben. In Berlin | |
könnte es zu einer konservativen Wende im Roten Rathaus kommen. | |
## Rot-Grün-Rot ist sich nicht grün | |
Kein Wunder, dass die Berliner SPD im Wahlkampfendspurt auf mächtige | |
Unterstützung vom Bund setzt. Nach Olaf Scholz hat sich am Mittwoch auch | |
Parteichef Lars Klingbeil mit Giffey zum Besuch in einem Berliner | |
Filmstudio für Spezialeffekte angemeldet. Wäre auch eine Option für den | |
Termin mit Bundeskanzler gewesen, die die Parteistrategen im | |
Willy-Brandt-Haus allerdings verworfen haben. Zu eng, zu aufwändig mit dem | |
ganzen Sicherheitspersonal. | |
Bei BMW, die in Berlin ebenfalls eine große Niederlassung betreiben, waren | |
Giffey und Scholz schon im Dezember. Vielleicht aber auch nicht der beste | |
Ortstermin so kurz vor der Wahl, denn gerade beim Thema motorisierter | |
Verkehr sind sich SPD und die mitregierenden Grünen in Berlin überhaupt | |
nicht grün. | |
Und ein Besuch bei einem Wohnungsbauunternehmen wäre sogar noch heikler | |
gewesen. Hier hadert Giffey mit ihrem anderen Partner, der Linkspartei, die | |
private Großunternehmen enteignen will. Giffey setzt statt auf Enteignung | |
lieber auf ein Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft, doch die Bilanz | |
ist mager: Die Mieten steigen, die Neubauzahlen bleiben hinter den | |
selbstgesteckten Zielen zurück. | |
Also dann doch Bayer, sprich Medizin und Innovation. Giffey kommt | |
überpünktlich und wartet vor dem Hochhaus in der stark befahrenen | |
Müllerstraße auf den Bundeskanzler, der sich zehn Minuten verspätet. Dafür | |
bleibt Giffey im Gebäude fast immer einen halben Schritt hinter Scholz, | |
welcher munter mit dem Laborleiter plaudert, Selfies mit dual Studierenden | |
macht und sich in der naturwissenschaftlichen Umgebung überhaupt pudelwohl | |
zu fühlen scheint. Als sich Giffey und Scholz mit Schutzkitteln und | |
-brillen zum Besuch im Labor rüsten, sieht Giffey wie eine Chemielehrerin | |
aus, Scholz aber strahlt die Aura eines Fachbereichsleiters aus. | |
## Wechsel ins Bundeskabinett? | |
In dem Labor werden neue Wirkstoffe für die Medizin entwickelt, Herzstück | |
ist ein Roboter, der auf einen Schlag fast hundert Substanzen in Serie und | |
in unterschiedlichen Konzentrationen zu Testzwecken mixen und abfüllen | |
kann. Ein automatischer Blockreplikator heißt der im Fachsprech. Scholz | |
greift beherzt zu einer Testbatterie und fragt den Laborleiter interessiert | |
aus. Wie man unter den 100.000 compounds (Gemischen), die Nummer 26.600 | |
herausfiltert, die geeignet sei, um eine Krankheit zu heilen. Was Giffey | |
fragt, ist nicht zu verstehen. Sie guckt aber angemessen kundig und | |
interessiert. | |
Sie ist ja schließlich nicht zum ersten Mal hier. Bereits im April – da | |
waren Neuwahlen noch in weiter Ferne – hat das Land Berlin gemeinsam mit | |
Bayer und der Berliner Charité eine Absichtserklärung unterzeichnet, um vor | |
Ort ein Zentrum für Zell- und Gentherapien zu errichten. Der Bund will sich | |
mit 44 Millionen Euro daran beteiligen. Giffey spricht am Montag von der | |
Chancenstadt Berlin. Ob diese ihr erneut eine Chance gibt, wird sich | |
zeigen. | |
Der für Medikamente zuständige Konzernvorstand Stefan Oelrich bedankt sich | |
bei ihr, die von der ersten Minute dabei gewesen sei. Wendet sich aber dann | |
doch an den Bundeskanzler mit der Bitte, dass der Spatenstich für dieses | |
Zentrum noch in diesem Jahr erfolgen möge. Das wäre | |
Deutschlandgeschwindigkeit, zitiert Oelrich Scholz mit seiner eigenen | |
Wortkreation. Hat der Bayer-Vorstand Giffey als politische | |
Ansprechpartnerin etwa schon aufgegeben? | |
Dass die politische Karriere der einstigen Neuköllner | |
Bezirksbürgermeisterin nach einer Wahlniederlage beendet sein könnte, ist | |
kaum denkbar. Dafür ist Giffey zum einen zu gut im Wegstecken von | |
Niederlagen. Die letzte Berlin-Wahl im September 2021 haben sie und die SPD | |
immerhin trotz ihrer Plagiatsaffäre samt Verlust des Doktortitels gewonnen. | |
Und die SPD ist mit führungserfahrenen Frauen auch nicht allzu reich | |
ausgestattet, wie [3][die ergebnislose Suche nach einer Nachfolgerin] für | |
die zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Januar | |
gezeigt hat. | |
Während Scholz und Giffey beim Hintergrundgespräch weilen, wird im Foyer | |
schon offen spekuliert, ob Giffey nach einer Wahlniederlage nicht womöglich | |
wieder ins Bundeskabinett wechselt. Vielleicht als Innenministerin, falls | |
Nancy Faeser in die Hessener Staatskanzlei zöge? Oder als | |
Gesundheitsministerin? Der weiße Kittel steht ihr jedenfalls. Giffey | |
dementiert anschließend alle Gerüchte. Die seien hanebüchen. Das stünde | |
überhaupt nicht zur Debatte. Mal sehen, wie die Debatte am kommenden Montag | |
aussieht. | |
7 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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