# taz.de -- Wiederentdeckung von „The Associates“: Hingabe ist den Dandys f… | |
> „Sulk“, ein Album des flamboyanten schottischen Popduos The Associates, | |
> war eines der Werke des Jahres 1982. Was sagt uns diese Musik heute? | |
Bild: Echte Dandys: Billy MacKenzie (rechts) und Alan Rankine (hinten links), l… | |
Wir sind nicht willkommen. Die Mienen der so lässig lasziv auf dem Foto | |
einer Albumhülle drapierten Herren versuchen ihre Geringschätzung gar nicht | |
zu verbergen. | |
Wer hat uns überhaupt den Zutritt zu jener Party in der Orangerie eines | |
Botanischen Gartens gewährt, auf der die beiden sich in eine ruhige | |
Sitzecke zurückgezogen haben? Der eine Wohlgekleidete, scheinbar der Star, | |
verdreht gar seine Augen. Dabei ist er eigentlich ein stiller Musiker. Alan | |
Rankine erkannte früh seine Fähigkeit zum leichtfüßigen Gitarrenspiel und | |
vermochte die lateinamerikanische Eleganz seines Stils auch auf Keyboards | |
zu reproduzieren. | |
Doch der skeptisch Blickende links ist der wirkliche Star. Die Jazzplatten | |
seiner Mutter nachsingend, entwickelte Billy MacKenzie eine enorm | |
variantenreiche Stimme. Nun ist er galanter Tenor, knurrendes Monstrum oder | |
kristallener Sopran. | |
## Ein großer Wurf | |
Als das Album „Sulk“ vor 40 Jahren zum ersten Mal erscheint, sind die | |
beiden Künstler, die als [1][das schottische Duo The Associates] firmieren, | |
bereits berühmt. Nach einem Album und einer Singlessammlung voll | |
exzentrischer Songexperimente ist dies nun auch Werk drei, es soll der | |
große Wurf werden, anno 1982. Zumindest der Appeal des Covers verfängt noch | |
heute. | |
Längst wähnt der rückwärtsgewandte Blick im Gestern der Popkultur nicht | |
mehr das Wahre, Reine, sondern eine verlorene Welt der Leidenschaften und | |
exaltierter Selbstinszenierung. Das Individuum schleicht heute auf | |
Zehenspitzen, wo die gute Zukunft im Kollektiv gewähnt wird. Zu viel „Ich“ | |
brandmarkt die Moral als Dekadenz. | |
Manch Leser:in, vor 40 Jahren für solches Umdenken streitend, mag es einst | |
beim Durchstöbern des Neuheitenfachs ihres Plattenladens, vielleicht auf | |
der Suche nach BAPs „Vun drinne noh drusse“, Van Morrisons „Beautiful | |
Vision“ oder Captain Beefhearts „Ice Cream for Crow“ geschaudert haben, | |
erblickten sie dort solch eitle Pfauen. Und dies ist wundervoll, | |
akzentuiert es doch, welche Bedeutung Pop seinerzeit besaß. | |
## Plastik statt Jute | |
Dabei suchten die Associates ähnlich angestrengt wie der stimmgewaltige Ire | |
Van Morrison nach der Seele (durchaus im Sinne von „Soul Music“); sie | |
neigten wie Don Van Vliet alias Captain Beefheart zu unkalkulierbaren | |
Extremen und waren ähnlich lokal fixiert wie die Kölschrocker. Doch jene | |
Energie, die BAP bewegte, schien in ihnen verraten, diese Hedonisten waren | |
Plastik statt Jute. Differenz zählte, Außenseitertum galt als Idealbild der | |
Coolness. | |
Gerade [2][Schottland] stand in den frühen 1980ern in kreativer Blüte. | |
Junge Bands nutzen die Möglichkeiten in der Folge von Punk, und mit etwas | |
Glück war es leicht, auch bei großen Plattenfirmen Verträge zu bekommen. | |
Ähnlich wie schon Ende der 1960er war den Majorlabels kurz die Kontrolle | |
entglitten: Welch seltsames Zeug würde bloß der nächste Hit? | |
An den noch längst nicht kanonisierten Velvet Underground orientierten sich | |
schottische Talente wie Josef K., Aztec Camera und Orange Juice; Altered | |
Images kokettierten im Bonbonstil über ihre Melancholie hinweg, Simple | |
Minds suchten noch nach introvertierter Eleganz statt Bombast, und The | |
Associates dachten den noch längst nicht ikonisierten Bowie weiter. Sie | |
alle waren bereit, als 1982 Teenager mit Außenseitern tanzten. | |
## Schatten über der Musik | |
Das lässige Muskelspiel eines schimmernden Instrumentals akzentuiert zum | |
Auftakt von „Sulk“, des Albums der Associates die Coolness des Covers. | |
Doch alsbald fällt ein Schatten über die Musik. Wenn MacKenzies Stimme zum | |
ersten Mal erklingt, hallt sie durch die leeren Gänge eines nur spärlich | |
illuminierten Schlosses. Der Sänger sucht und verliert sich, fleht zur | |
repetitiven Pianofigur: „Tear a strip from your dress, wrap my arms in it“. | |
Woher dieses Leiden? | |
In der Folge erfahren wir von Exzessen und Niederlagen, von wahnwitzigen | |
Experimenten, deren Realisierung in Detailversessenheit mündet. Selbst das | |
dem Song angemessene Schuhwerk wurde Gastbassisten Michael Dempsey | |
vorgeschrieben. Auf der Suche nach Widerstand kontrastiert die Musik Form | |
mit Auflösung und umgekehrt. | |
Die der Jubiläumsausgabe beigefügten 15 Bonusstücke lassen die Entwicklung | |
mancher Songs gut nachvollziehen. Nicht alles glückt, vieles sucht, bis | |
sich alle Haltlosigkeit in entschlossenen Bassfiguren zu bündeln vermag: In | |
„Skipping“ und „It’s better this way“ spinnt der trübselige Schlossh… | |
sinistre Pläne derweil Gitarren die Kühle der Nacht beschwören. Spöttisch | |
knurrt MacKenzie: „Embarrassed, ha?“, ist er das Biest in Cocteaus | |
Schloss? – Doch Beauty fehlt. | |
## Rastlos Erlösung suchend | |
Gefangen in Verfeinerung und Experiment, Überdruss und Leidenschaft | |
erwecken die Associates den Dandy der Decadence. Rastlos Erlösung suchend, | |
vertonte Pop nun die Selbstzerfleischung des Protagonisten von Huysmans | |
„Gegen den Strich“, Raymond Roussells luxuriöse Schaudergebilde oder die | |
Angst von Oscar Wildes „Dorian Gray“. | |
Dass die abschließenden Songs zuvor als Singles veröffentlicht wurden, | |
schmälerte 1982 den Effekt von „Sulk“, wenden sie doch die Perspektive | |
dramatisch: Sie verlassen das Schloss Richtung Großstadt; kühle | |
Rauchschwaden werden zu synthetischen Miniopern und die symbolistischen | |
Songtexte weichen subtiler Beobachtungsgabe. Aus dem Morgengeläut eines | |
Kirchenglockenspiels entspannt sich in „Party fears two“ ein enormer | |
Melodiebogen, zu dem die Geschichte eines Partyexzesses erzählt wird, der | |
einsam und betrunken im Hausflur endet. | |
„Club Country“ skizziert, zum neuesten Beat tänzelnd, das Phlegma eines | |
gerade mal drei Jahre alten Szenetrends (wie befremdlich heute nach über 30 | |
Jahren genügsamer Clubroutine). Man friert und schwitzt und steckt einander | |
an. Das Infektionsszenario gipfelt in: „Every breath you breathe belongs | |
to someone there“. | |
## Sündhaft teure Schokoladengitarren | |
Als Bonusstück findet man auch die auf „Sulk“ folgende Single, das etwas | |
müdere „18 Carat Love Affair“ auf dessen B-Seite MacKenzie an einer | |
Coverversion von Diana Ross’ „Love Hangover“ scheitert. Erfüllende Hinga… | |
ist dem Dandy fremd. Diese Singles waren der Beitrag der Associates zum | |
großen Popjahr 1982. Sie traten wundervoll gestylt im Fernsehen auf, | |
verfütterten sündhaft teure Schokoladengitarren an die Kids. Sie waren | |
Stars. | |
Dann gestand MacKenzie einem Teeniemagazin, wie das Freudebereiten seinem | |
Selbstbewusstsein schmeichle, doch er hadere mit dem Ruhm. Während der | |
Tourproben wirft er hin und trennt sich von Rankine. Jahre später brilliert | |
er im Londoner Jazzclub Ronnie Scotts und nimmt mit „Perhaps“ noch ein | |
längst vergriffenes Meisterwerk auf. Zurück im Elternhaus, züchtet er | |
Hunde. Sich ans Gestern klammernd, den Morgen herbeisehnen, wie soll das | |
gutgehen? War es dies oder doch sein Leiden am Tod der Mutter, das Billy | |
MacKenzie dazu brachte, 1997 aus dem Leben zu scheiden? | |
Rückblickend spiegelt die Musik eine Phase sozialer Hoffnungslosigkeit, | |
künstlerischen Aufbruchs und innerer Zerrissenheit. Längst hat eine neue | |
Epoche begonnen, zwischen ihrem Gestaltungswillen und ihren Ideen von | |
Identität bleibt wenig Raum für schwelgende Zweifler. | |
29 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Tepel | |
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