| # taz.de -- Wiederaufbau Garnisonkirche: Der Traum von Potsdam | |
| > Vor allem Hinzugezogene engagieren sich für den Wiederaufbau der | |
| > Garnisonkirche. Mit dem Potsdam der Gegenwart hat dies wenig zu tun. | |
| Bild: Das nachgestellte Glockenspiel der Garnisonkirche in Potsdam. | |
| POTSDAM taz | Als die Lesung zu Ende ist, da geht eine sehr kleine, sehr | |
| alte Frau auf Burkhart Franck zu. Sie bittet ihn, sich ein wenig zu ihr | |
| herunterzubeugen. Und dann flüstert sie ihm zu, es hätte ihr besser | |
| gefallen, wenn er ein paar Worte gesagt hätte, eben, bei der Lesung. | |
| Burkhart Franck, ein großer, hagerer Mann mit Bürstenschnitt, legt den Kopf | |
| schief und lächelt zufrieden. | |
| Ihm hat die Lesung auch nicht so gut gefallen. Nicht, dass er etwas dagegen | |
| hätte, dass hier, in seinem neuen Zuhause, der Bücherverbrennung gedacht | |
| wird. Er mag auch die Pfarrerin Juliane Rumpel, die hier wöchentlich | |
| predigt und Lesungen wie diese organisiert. Aber die Texte von Anna | |
| Seghers, die gerade mit musikalischer Untermalung vorgetragen wurden, die | |
| sind ihm dann doch zu trocken. | |
| Das neue Zuhause von Oberst a. D. Burkhart Franck, Jahrgang 1942: Es ist | |
| eine provisorische Kapelle aus Containern, mit viel roh zusammengezimmertem | |
| Holz. Es ist der Ort in Potsdam, an dem originalgetreu die Garnisonkirche | |
| wiedererrichtet werden soll. Burkhart Franck ist Vorsitzender des Vorstands | |
| der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e. | |
| V. Wenn es nach ihm und seinen Freunden ginge, dann sollte der Kirchturm | |
| zum 500. Jahrestag der Reformation im Oktober 2017 eingeweiht werden, damit | |
| anschließend das Kirchenschiff gebaut würde. | |
| Von den 100 Millionen, die dafür benötigt werden, haben Francks | |
| Fördergesellschaft sowie die kirchliche Stiftung Garnisonkirche bisher fünf | |
| gesammelt. Burkhart Franck sagt, sie werden die Gelder schon noch irgendwie | |
| zusammenbekommen. Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen | |
| Kirche in Deutschland und des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche, | |
| sagte kürzlich in einem Interview, man hoffe auf Unterstützung vom Bund. | |
| Aber warum eine neue Kirche in einem Land, in dem die Kirchen leer stehen | |
| und verfallen? Warum ausgerechnet die Garnisonkirche? Die Tafeln der | |
| Ausstellung in der Kapelle berichten doch von dem, was hier geschah und was | |
| jeder weiß, der im Geschichtsunterricht aufgepasst hat. Morgen vor 80 | |
| Jahren, am 21. März 1933, da ging die Garnisonkirche in die Geschichte ein. | |
| ## Später ein Rechenzentrum | |
| Die Potsdamer Garnisonkirche war der Ort, an dem Reichspräsident Paul von | |
| Hindenburg Adolf Hitler die Hand reichte und ihn zum Reichskanzler kürte. | |
| Sie ist das Symbol schlechthin für die Vermählung der preußischen Eliten | |
| mit der braunen Revolution. Als Walter Ulbricht die Ruinen der im Zweiten | |
| Weltkrieg bombardierten Kirche im Mai 1968 sprengen ließ, da sahen große | |
| Teile der DDR-Bevölkerung dies als Akt der Giftmüllbeseitigung. Den | |
| rationalen Bau des Rechenzentrums mit seinen futuristischen Mosaiken, der | |
| stattdessen dort entstand, empfand man als quadratisch, praktisch, nützlich | |
| und richtig. | |
| Für Burkhart Franck ist die Garnisonkirche das Gegenteil von Giftmüll, sie | |
| sei viel mehr als das, was dort am „Tag von Potsdam“ geschah. „Für mich … | |
| Potsdam eine Art Traumvorstellung, das Mekka überhaupt“, sagt er bei einem | |
| Glas Saft in der rohen Kapelle. Er kam 1995 in die Stadt – mit dem Umzug | |
| des Verteidigungsministeriums aus Bonn. Nach seiner Pensionierung wurde er | |
| Geschäftsführer der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, | |
| initiiert von einem gewissen Max Klaar – einem Jahrgangskameraden, wie | |
| Franck sagt, mit dem er „locker befreundet“ gewesen sei. | |
| ## Klaar stieg aus | |
| Max Klaar ließ schon mit seinem Fallschirmjägerbataillon in Iserlohn Geld | |
| für das Glockenspiel der Garnisonkirche sammeln, als noch niemand an die | |
| Wiedervereinigung dachte. Im Jahr 1987 ließ er es neu gießen, 1991 übergab | |
| er es der Stadt Potsdam. Aber dann begann die anfangs skeptische Kirche, | |
| sich mit den Wiederaufbauplänen anzufreunden. Als sie für ein | |
| Versöhnungszentrum plädierte, da stieg Max Klaar aus. Er konnte sich nicht | |
| vorstellen, dass in seiner Kirche Schwule getraut werden und | |
| Kriegsdienstverweigerer beraten. Viele trennten sich von ihm – darunter | |
| Burkhart Franck. | |
| Burkhart Franck ist Preußennarr, wie er selbst sagt – bis vor Kurzem wollte | |
| er sogar in Potsdam ein preußisches Militärmuseum aufbauen. Mit der | |
| scharfen Linie eines Max Klaar hat er trotzdem nichts am Hut. | |
| Klaar ist Vorsitzender des Verbands deutscher Soldaten, in dessen Organ, in | |
| der Zeitschrift Soldat im Volk, leugnet er den deutschen Überfall auf Polen | |
| und die UdSSR. | |
| ## Schwäche für preußische Tugenden | |
| Franck dagegen, ein freundlicher, sanfter Mann, spricht lieber von den | |
| preußischen Tugenden, die derzeit eine Renaissance erleben, zum Beispiel | |
| auch durch die Reden des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias | |
| Platzeck, der neben Wolfgang Huber, Jörg Schönbohm, Manfred Stolpe und | |
| Richard von Weizsäcker im Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche sitzt. | |
| Es hat beinahe etwas Rührendes, wie Burkhart Franck den Kopf wieder schräg | |
| legt, als er von diesem preußischen Geist spricht, der ihn berührt, der | |
| nicht nur Härte und blinden Gehorsam einschließt, sondern auch | |
| Bescheidenheit, Gerechtigkeitssinn, Unbestechlichkeit. Oder auch vom | |
| preußischen Patriotismus, der weit mehr war als bloße Heimatliebe. | |
| Entstanden in einem Zeitalter, das nicht nur militaristisch war, sondern | |
| auch das der Empfindsamkeit. Damals galt die Fähigkeit zur Empathie als | |
| Merkmal eines überlegenen Charakters. Burkhart Franck weiß: Das Vorbild des | |
| preußischen Soldaten war der Ritter. | |
| ## Männlich und über 60 | |
| Trotzdem sagt Burkhart Franck auch: „Ich wollte schon Soldat werden, als es | |
| die Bundeswehr noch gar nicht gab.“ Und da drängt sie sich doch auf, diese | |
| Frage, wie einer so etwas sagen kann, dessen Großvater und Vater | |
| Marineoffiziere waren. Dessen Großvater und Vater gefallen sind. Der eine | |
| im Ersten, der zweite im Zweiten Weltkrieg. | |
| Nach dem Willen der Mutter, erzählt Burkhart Franck, hätte er Jura | |
| studieren sollen. Was wäre aus ihm geworden, wenn er in den Sechzigern | |
| studiert hätte? Das spielt heute keine Rolle mehr, denn Burkhart Franck ist | |
| Soldat geworden – und Potsdam seine neue Heimat, seine „letzte Heimat“, w… | |
| er sagt. Zu dieser Heimat passt, dass viele Förderer der Garnisonkirche wie | |
| er Neupotsdamer sind, männlich und über sechzig – und dass viele von ihnen | |
| einen ähnlichen militärischen Hintergrund haben wie er. | |
| ## Lärmendes Glockenspiel | |
| Zu dieser Heimat gehört aber auch, dass sie nicht ganz von dieser Welt ist, | |
| „eine Traumvorstellung“, wie Burkhart Franck selbst sagt – und dass diese | |
| Traumvorstellung sehr wenig davon zur Kenntnis nimmt, wie es um das Potsdam | |
| der Gegenwart wirklich bestellt ist. | |
| Wo aber ist es, dieses Potsdam der Gegenwart? | |
| Hier muss es irgendwo sein. | |
| Ein kleiner Junge steht auf einem Spielplatz neben dem Glockenspiel von Max | |
| Klaar. Als es gerade anfängt mit seinem Lied von der „Treu und | |
| Redlichkeit“, da hält sich der Junge die Ohren zu und lacht. Lutz Boede, | |
| ein kleiner Mann mit sportlicher Windjacke, nimmt Blickkontakt mit dem | |
| Jungen auf und lacht auch. „Die Anwohner beschweren sich seit Jahr und Tag | |
| über den Lärm“, grinst er aufmüpfig, als man sich endlich wieder | |
| unterhalten kann. „Immerhin darf jetzt nicht mehr nachts geläutet werden“, | |
| freut er sich. | |
| ## Militaristische Aufmärsche | |
| Es war am 14. April 1991, als Lutz Boede an diesem Ort jenen Kulturschock | |
| erlitt, der ihn bis heute gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche kämpfen | |
| lässt: in der Bürgerinitiative Für ein Potsdam Ohne Garnisonkirche. „Der | |
| ganze Platz war voller Burschenschafter und Leute in Uniformen, die ich | |
| noch nie gesehen hatte“, sagt er. „Ich war ein normaler DDR-sozialisierter | |
| Mensch. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas noch gibt.“ | |
| Lutz Boede, Jahrgang 1965, verweigerte den Wehrdienst bei der Nationalen | |
| Volksarmee der DDR und kam wegen „öffentlicher Herabwürdigung“ acht Monate | |
| ins Gefängnis. Gleich nach der Wende wurde er Geschäftsführer des | |
| Landesverbands der Grünen und machte bei der Kampagne gegen Wehrpflicht | |
| mit. Aus dieser entstand die Fraktion Die Andere, für die Boede bis heute | |
| arbeitet. Wie für Burkhart Franck ist auch für Lutz Boede Potsdam eine | |
| Wahlheimat – aber sie ist eine ganz andere. | |
| ## WG-Zimmer oft zu teuer | |
| Einen Augenblick setzt sich Lutz Boede auf die Parkbank beim Glockenspiel. | |
| Es gibt viel darüber zu berichten, was Projekte wie die Garnisonkirche | |
| machen „aus unserer kleinen Stadt“, wie er sagt. Da sind zum einen die | |
| Alten, die Ossis, die häufiger in den ärmeren Vierteln leben. Und da sind | |
| zum anderen die Neuen, die oft viel Geld zu verschenken haben, die Günther | |
| Jauchs, Wolfgang Joops. In diesen Kreisen engagiert man sich außerdem gern | |
| auch in der Initiative „Mitteschön“. Man ist Fan vom Potsdamer | |
| Landtagsschloss, das 2014 eröffnet werden soll. Oder man engagiert sich für | |
| originalgetreue Rekonstruktionen einer Reihe historischer Gebäude am Alten | |
| Markt. | |
| Was Potsdam sonst umtreibt, das wissen Leute wie diese oft nicht, sagt Lutz | |
| Boede. Inzwischen ist er schnellen Schritts auf dem Weg durch die Stadt ins | |
| Büro. Es geht vorbei am H & M, am Rossmann, am Starbucks. Lutz Boede | |
| erzählt: Da ist diese öde Fußgängerzone, die sich inzwischen kaum mehr | |
| unterscheidet von Fußgängerzonen westdeutscher Kleinstädte wie Münster oder | |
| Marburg. Da sind die Studenten, die sich in Potsdam oft kein WG-Zimmer mehr | |
| leisten können. Und da sind die Kneipen. Mit denen kennt sich Lutz Boede | |
| aus. Es ist noch nicht lange her, dass er selbst eine betrieb. „Es gibt | |
| hier keine einzige mehr, die seit zwanzig Jahren vom selben Wirt betrieben | |
| wird.“ | |
| Vor einiger Zeit wurde Lutz Boede übrigens noch einmal verknackt, und zwar | |
| zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Nach der Räumung eines alternativen | |
| Wohnprojekts in Babelsberg hatte er Polizisten beleidigt. | |
| Auch dies ist eine der vielen Wirklichkeiten in Potsdam. | |
| Auch dies ist eine der Wirklichkeiten, von denen der Soldat Burkhart Franck | |
| keine Ahnung haben dürfte. | |
| 21 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| Susanne Messmer | |
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