# taz.de -- Schlossplatz I: Der Traum ist aus | |
> Die Wiese auf dem Schlossplatz war immer nur ein riesiges, raues | |
> Provisorium. Damit ist es bald vorbei. Wehe uns! | |
Bild: Die Wiese als Mitte Berlins: ein guter Ort. | |
Stimmt schon: Im Vorüberfahren wirkt sie wie ein Loch. Doch man kann ja mal | |
vom Fahrrad steigen. Einem der Holzstege folgen, die mitten hinein führen | |
in die Schlosswiese. Man kann sich bei schönem Wetter aufs Gras setzen, am | |
Klee zupfen, die Weite genießen, den Himmel und den Blick auf den | |
Fernsehturm. Und schließlich zu dem Schluss kommen: Dies ist ein guter Ort. | |
Denn er ist nicht nur riesig und rau, Zwischenraum und Provisorium. Er ist | |
auch ein weißes Blatt Papier, das beschrieben werden will. Und darum ist er | |
auf eine schöne Weise sehr Ostberlin. | |
Dieser Sommer ist der vierte und letzte, in dem man auf den 18.000 | |
Quadratmetern Schloss-Wiese liegen kann. Angelegt wurde sie 2009 – nach dem | |
Ende der Abrissarbeiten des Palastes der Republik. Verschwinden wird sie | |
zum Jahreswechsel. Dann werden auf diesem Terrain, unter dem sich noch | |
immer die Kellerwanne des Palastes befindet, die Bauarbeiten für das | |
Berliner Stadtschloss beginnen. Hinterm Bauzaun, auf der Höhe der | |
Humboldtbox, laufen sie schon. Wenn alles so läuft, wie sich die Promoter | |
des Schlosses das vorstellen, wird hier 2016 Richtfest gefeiert. Das | |
Schloss wird den Ort verriegeln. Auch, wenn es im Erdgeschoss als | |
öffentlicher Platz und oben als topmodernes Museum genutzt werden soll: Die | |
jetzige Weite, diese Leere in Berlins Mitte, dieser Ort, an dem man nichts | |
leisten, nichts kaufen, nichts wollen und demonstrieren muss: Sie wird für | |
immer dicht sein. | |
Auf einem der Holzstege sitzt ein junger Mann bei seinem roten Rennrad und | |
isst ein Eis. Anton wohnt seit zehn Jahren in Berlin und seit vier Jahren | |
in einem Plattenbau am Alex. „Ich war von Anfang an auf dieser Wiese, habe | |
viel Frisbee gespielt“, sagt er. Anton mochte die Wiese, weil es hier | |
urbaner war als in den Kiezen, hässlicher, aber auch echter. Hier fiel es | |
einem immer wieder ein: Warum sich Berlin lange so anders anfühlte als | |
andere Städte. Warum viele Leute besonders im Nachwende-Ostberlin mehr Zeit | |
und Platz, weniger Stress und Sorgen zu haben schienen. Der Traum vom | |
besseren Leben ist aus – zumindest hier. Jetzt heißt es Abschied nehmen. | |
Nun, da die Wiese verschwindet, bricht auch Anton die Zelte ab. Er zieht | |
nach Kreuzberg. | |
## Sie wissen es nicht | |
Etwas dichter an der Spree fläzen zwei Teenager. Julia und Sara wohnen beim | |
Frankfurter Tor und kommen im Sommer fast täglich, auch in den Ferien, aber | |
besonders, wenn die Schule wieder losgeht und mit ihr der Prüfungsstress. | |
Dann fahren sie zum Alex, mit der U5. Aber am Alex ist zu viel los. Hier | |
haben sie Ruhe, können abhängen, Fußball spielen. Sie wissen nicht, dass an | |
diesem Ort einmal der Palast der Republik stand. Sie wissen auch nicht, | |
dass hier bis zum Bombenangriff 1943 und bis zur Sprengung der Ruinen im | |
Herbst 1950 ein barockes Schloss stand. Deshalb sagen Julia und Sara: „Das | |
ist unsere Wiese. Sollen sie doch ihr Ding woanders hinstellen.“ | |
Die Schlosswiese ist an diesem Nachmittag nicht zu gut besucht, denn die | |
Sonne brennt heiß. Trotzdem finden sich Touristen, die gern her kommen, | |
viel lieber als in den verspielten Lustgarten gegenüber. Richard und Henry, | |
ein schwules Paar aus Den Haag, reisen seit dem Mauerfall mindestens einmal | |
im Jahr nach Berlin. „Berlin ist eine der wenigen Städte, in denen ich mich | |
frei fühle“, sagt Richard. Die beiden sind Arzt und Krankenpfleger und | |
wissen viel übers gute Gesundheitssystem der DDR zu berichten. Sie meinen: | |
Die DDR war mehr als eine Diktatur. Auch wenn der Palast der Republik ein | |
Machtsymbol gewesen sein mag: Er war doch vorm Abriss längst von Künstlern | |
in Beschlag genommen. Die beiden finden reaktionär, was hier geplant ist: | |
der Kitsch der Fassaden und dass hier nur noch an Preußen gedacht werden | |
soll. Vor allem aber die Steuergelder, die das Schloss verschlingen wird: | |
Im Moment ist von 600 Millionen die Rede, Kritiker rechnen mit dem | |
Doppelten. | |
Was ist das für eine neue Mitte, die hier entstehen soll? Für wen wird sie | |
gebaut? Für die, die hier leben? Auf der Schlosswiese hatten viele das | |
Gefühl, diese Stadt gehöre noch ein Stück weit ihnen. Sie werden sich eine | |
andere Brache suchen – wenn sie noch eine finden. Und die Touristen? Wer | |
verreist, um Schlösser zu sehen, kommt anderenorts mehr auf seine Kosten. | |
3 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
## TAGS | |
Potsdam | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wiederaufbau Garnisonkirche: Der Traum von Potsdam | |
Vor allem Hinzugezogene engagieren sich für den Wiederaufbau der | |
Garnisonkirche. Mit dem Potsdam der Gegenwart hat dies wenig zu tun. | |
Umgebung des Retro-Schlosses: Trostloses Pflaster | |
Die Gestaltung des Berliner Schlossumfeldes ist entschieden, aber die Jury | |
verlangt Nachbesserungen am Siegerentwurf, der einen kargen Schlossplatz | |
vorsieht. | |
Ideenwettbewerb für den Schlossplatz: Mit dem Rücken zum Schloss | |
Studierende liefern Ideen für die Umgebung des Humboldt-Forums. Doch | |
verspielte Entwürfe haben keine Chance. |