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# taz.de -- Rechenzentrum in Potsdam: Unfreundliche Übernahme
> In Potsdam soll ein Kreativhaus im früheren Rechenzentrum dem
> Wiederaufbau der Garnisonkirche weichen. Doch das ist nicht das einzige
> Problem.
Bild: Ob das ehemalige Rechenzentrum irgendwann nochmal so schön leuchtet wie …
Aus der Entfernung sieht das Kreativhaus in der Potsdamer Innenstadt nicht
besonders auffällig aus: funktionale DDR-Bürohausarchitektur. Ist man näher
dran, erkennt man im Erdgeschoss ein großflächiges Mosaik. Startende
Raketen, Raumschiffe und ein Mähdrescher, der vermutlich der Planerfüllung
diente, sind abgebildet. „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ heißt das Relief
von Fritz Eisel. Daneben steht ein Marx-Zitat. Das alte Bürohaus
beherbergte jahrelang die Verwaltung des Rechenzentrum des Landes
Brandenburg.
In den vergangenen drei Jahren hat es sich zum Zentrum von Potsdams
kreativer Szene entwickelt. Mehr als 200 Künstler und Kreative arbeiten
dort. Bildende Künstler nutzen Ateliers, Grafikdesigner und Filmemacher
haben dort ihre Arbeitsräume, Theatermacher proben. Im Erdgeschoss gibt es
Räume für Vernissagen, Lesungen, Musik- und Filmabenden, Vorträgen und
Diskussionen. Das Rechenzentrum ist ein lebendiger Ort.
Doch die Zeit läuft offenbar gegen das kreative Zentrum. Der
Nutzungsvertrag mit dem Eigentümer, dem kommunalen Sanierungsträger für das
Potsdamer Stadtzentrum, läuft Ende 2023 aus. Aus bauordnungsrechtlichen
Gründen könne er nicht verlängert werden, heißt es von dort. Im Klartext:
Das Haus ist so heruntergewirtschaftet, dass sich eine Sanierung nicht
lohnen würde.
Bauliche Zeugnisse der DDR werden im Zentrum der brandenburgischen
Landeshauptstadt immer seltener. Schon mehrere stadtbildprägende Gebäude
sind trotz Protesten der Abrissbirne zum Opfer gefallen, zuletzt die
Fachhochschule am Alten Markt. Das Rechenzentrum soll sich da langfristig
einreihen, denn es steht teilweise auf einem Grundstück, das der Stiftung
zum umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche gehört. Die Kreativen
sitzen sozusagen im Hotspot der Auseinandersetzung um Potsdams
Identitätsfragen.
## Hoffnung Machbarkeitsstudie
Doch es gibt auch Hoffnung für die Kreativen: Die Stadt plant in Sichtweite
einen Neubau. Derzeit läuft eine Machbarkeitsstudie. Sie soll den genauen
Bedarf klären, ebenso Kosten und Trägerschaft.
Um letztere gab es jüngst ein paar Unstimmigkeiten: Der Verein Freundliche
Übernahme Rechenzentrum (FÜR), der sich auch aus den Nutzern rekrutiert,
hatte per Presseerklärung angekündigt, nicht nur Träger des neuen Gebäudes
zu werden, sondern auch schrittweise den Betrieb des alten zu übernehmen.
Die für die Übernahme der Betreiber*innenschaft des künftigen Gebäudes
nötigen Schritte würden derzeit vorbereitet, teilte der Verein mit. Man
beabsichtige, bereits vorher ein selbstverwaltetes Management für das
bestehende Rechenzentrum aufzubauen. „Nur eine selbstbestimmte,
nutzer*innenorientierte Entwicklung und Gestaltung des Standortes
ermöglicht es sämtliche Potenziale eines Kunst- und Kreativortes in der
Mitte der Stadt zu entfalten.“
Beim Sanierungsträger und dem von ihm bis 2023 beauftragten Betreiber, der
Stiftung Sozialpädagogisches Institut (SPI), war man überrascht, davon aus
der Lokalpresse zu erfahren. In der Kommunikation sei da wohl etwas falsch
gelaufen, hört man hinter den Kulissen. „Nicht alle Informationen sind
rechtzeitig an alle Stellen durchgedrungen“, teilte FÜR e.V. der taz mit.
Trotz der Irritationen stehen die Zeichen allerdings auf Zusammenarbeit.
„Wir werden miteinander sprechen“, sagt der zuständige SPI-Bereichsleiter
Stefan Zaborowski. Das Gespräch soll im März stattfinden. Einen Termin gibt
es noch nicht. Er freue sich, dass die Nutzer mehr Verantwortung übernehmen
wollen, allerdings sei SPI gegenüber dem Sanierungsträger vertraglich bis
2023 gebunden. Und dort sieht man keine Spielraum: „Der Konzessionsvertrag
mit der Stiftung SPI sieht keinen vorzeitigen Trägerwechsel vor“, heißt es
auf Anfrage.
Dass die Uhr für das Rechenzentrum tickt, wurde in dieser Woche auf dem
Nachbargrundstück deutlich. Dort wurden am Montag die ersten Ziegel für den
Kirchturm gemauert. Die Baukosten werden auf 40 Millionen Euro beziffert.
Trotz einer Finanzspritze aus dem Bundeshaushalt von zwölf Millionen Euro
für das „Projekt von nationaler Bedeutung“ fehlen den Bauherren noch rund
neun Millionen Euro, die sie nun durch Spenden einwerben wollen. Bis Sommer
2021 soll er fertig sein.
Anschließend will die Stiftung dort ein Versöhnungszentrum eröffnen. Das
Vorhaben stößt auch überregional auf Kritik, zum Beispiel von der
Martin-Niemöller-Stiftung. Umstritten ist das Bauvorhaben vor allem, weil
sich 1933 Hitler und Hindenburg anlässlich der Reichstagseröffnung vor der
Kirche die Hände schüttelten. Die Zeremonie gilt als Symbol für die Allianz
von Nationalsozialismus und preußischem Militarismus. Im Zweiten Weltkrieg
wurde der Bau zerstört, der Turm 1968 gesprengt.
## Die Höhe des Turmes
Gegen den umstrittenen Wiederaufbau der barocken preußischen Militärkirche
hatten 2013 rund 15.000 Potsdamer ein Bürgerbegehren unterzeichnet. Der
damalige Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) trug daraufhin brav dem
Stiftungskuratorium die Bitte vor, den Wiederaufbau abzusagen. Geändert hat
das nichts. Die privatrechtliche Stiftung hat eine Baugenehmigung und
prominente Unterstützer. Schirmherr ist der Bundespräsident.
Wächst der Turm in die Höhe, müssen im nur wenige Meter entfernten
Rechenzentrum einige Fenster zugemauert werden. Aus Brandschutzgründen, wie
es heißt. Als Ateliers kann man die Räume dann nicht mehr nutzen,
allenfalls als Dunkelkammern. Wie viele Kreative deshalb umziehen müssen,
ist noch nicht klar. Etwa ein Dutzend ist zum Jahreswechsel ohnehin
ausgezogen. Einigen war die Mieterhöhung von 7 auf 9,95 Euro warm pro
Quadratmeter zu viel. Der Sanierungsträger begründete die Anhebung mit den
hohen Betriebskosten in dem betagten Gebäude.
Eigentlich will die Wiederaufbaustiftung natürlich nicht nur einen Turm
bauen, sondern auch das Kirchenschiff. Doch dafür wären wohl noch mal 100
Millionen Euro nötig. Das Geld hat die Garnisonkirchen-Stiftung nicht. Es
ist also möglich, dass das Rechenzentrum lediglich einer Brache weichen
muss.
1 Mar 2019
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Garnisonkirche
Erinnerungskultur
Garnisonkirche
Gentrifizierung
Garnisonkirche
Potsdam
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