| # taz.de -- Dokumentartheater zur Selbstfindung: Graffito und Kontrollverlust | |
| > Die Schauspielerin Paula Knüpling wurde wegen eines Graffitos | |
| > festgenommen und hat dieses Erlebnis an der Schaubude zu einem Stück | |
| > verarbeitet. | |
| Bild: Veranstaltung anlässlich des Beginns der Bauarbeiten für die Garnisonki… | |
| Eine Frau mit Kittelschürze kniet vor den zwölf Sternen der Europa-Flagge | |
| und hat bereits drei davon weggewischt. Über ihr ein blauer Schriftzug: | |
| SINGLE LIVES AS SINGLE WANTS. Der Einzelne lebt, wie der Einzelne mag. | |
| „Ich finde, dieses Graffito kann genauso linksradikal wie rechtsradikal | |
| ausgelegt werden, es ist sehr schillernd“, sagt Paula Knüpling bei einem | |
| Treffen in der [1][Schaubude] in Prenzlauer Berg, wo am nächsten Tag ihr | |
| Stück „Single lives as Single wants“ Premiere feiern wird. „Es ging mir | |
| darum, die Kontrolle zurückzubekommen“, sagt Knüpling. | |
| Der 24-jährigen Schauspielerin und Theatermacherin wird vorgeworfen, am 27. | |
| Februar eine Portalfassade hinter der Baustelle, wo zurzeit die Potsdamer | |
| [2][Garnisonkirche] wiederaufgebaut wird, mit diesem Graffito bemalt zu | |
| haben. | |
| Sie wurde wegen „Hausfriedensbruchs“ und „Zerstörung öffentlichen | |
| Eigentums“ festgenommen – der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Der | |
| Wiederaufbau der Garnisonkirche ist in der Stadt umstritten, doch Knüpling | |
| hatte bislang weder mit der Kirche etwas zu schaffen noch ist sie nach | |
| eigener Aussage verantwortlich für das Graffito. | |
| ## Symbol für Militarismus | |
| In der Garnisonkirche hatten sich 1933 Reichskanzler Adolf Hitler und | |
| Reichspräsident Paul von Hindenburg die Hand gereicht, sie ist das Symbol | |
| für die Vermählung der preußischen Eliten mit der braunen Revolution. Auch | |
| deshalb ließ die Führung der DDR die Ruinen, die nach dem Luftangriff auf | |
| Potsdam 1945 übrig geblieben waren, sprengen. | |
| Der Streit über den Wiederaufbau erzählt von einer Zweiklassengesellschaft | |
| in Potsdam: von den Alten, den DDR-sozialisierten und oft nicht übermäßig | |
| wohlhabenden einerseits – und den Neuen andererseits, die teils viel Geld | |
| zu verschenken haben. | |
| Zwischen diese Fronten ist nun Paula Knüpling geraten, ganz unfreiwillig, | |
| wie sie sagt. Darum ist es spannend, dass sie mit ihrer Koregisseurin | |
| Marina Prados ein Stück aus ihrem Erlebnis macht, das heute und morgen noch | |
| einmal in der Berliner Schaubude läuft. Das, was ihr geschehen ist: Es ist | |
| so vielschichtig wie das Graffito selbst, um das es geht. | |
| Da sind zum Beispiel zahlreiche Versuche, Knüpling in den sozialen Medien | |
| zu vereinnahmen, von links und rechts. Knüpling war Teil der queeren | |
| Graffitiszene Berlins, „hatte aber an diesem Abend nicht vor zu malen“, wie | |
| sie sagt. Dann ist da die Darstellung der ondulierten Frau auf dem | |
| Graffiti, die so gar nicht dem Rollenverständnis der Theatermacherin | |
| entspricht. Oder auch Knüplings Suche nach dem wahren Urheber des | |
| Graffitos. | |
| All das bringt Knüpling nun in dokumentarischer Form auf die Bühne „Wir | |
| werden dem Publikum aber keine Ergebnisse vor die Füße legen.“ Eher soll | |
| diskutiert werden, was eigentlich Kunst ist und was Vandalismus – und was | |
| es mit einem macht, wenn man die eigene Stimme verliert. | |
| 31 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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