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# taz.de -- Geplantes Digitalzentrum Potsdam: Hilfe, die Yuppies kommen
> Ein Investor will in Potsdam in der Nähe des Hauptbahnhofs ein
> Digitalzentrum errichten. Anwohner fürchten die Verdrängung.
Bild: Luftaufnahme des ehemaligen RAW-Geländes in Potsdam, in der Nähe des Ha…
In fast allen Städten in Ostdeutschland würde die Geschichte ungefähr so
laufen: Ein Investor will eine alte Industriebrache wieder nutzbar machen,
einen dreistelligen Millionenbetrag ausgeben und mehr als 1.000 gut
bezahlte Arbeitsplätze schaffen. Die auserwählte Stadt setzt alles daran,
dass das Projekt schnell umgesetzt werden kann, schließlich könnten mit den
Steuereinnahmen Straßen repariert, Schulen saniert und Schulden abgebaut
werden. Man hofft, mit der Ansiedlung endlich die Abwanderung zu stoppen.
Aber Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam tickt anders: Seit vor etwa
einem Jahr erste Pläne für ein neues Digitalzentrum in der Nähe des
Hauptbahnhofs publik wurden, reißt die Kritik an dem Projekt nicht ab. Nun,
da am 26. Mai parallel zur Europawahl auch das Stadtparlament neu gewählt
wird, könnte das Projekt auch zum Wahlkampfthema werden.
Gegen die Ansiedlung formiert sich eine ungewöhnliche Allianz aus
bürgerlichen Gruppen, die die Größe des Projekts für unangemessen halten,
Linken, die die unklare Herkunft des investierten Geldes kritisieren, und
Mietern, die Angst vor Verdrängung haben – schließlich dürften die
künftigen IT-Angestellten dort rund 100.000 Euro jährlich verdienen und
sich entsprechend hohe Mieten leisten können.
Stein des Anstoßes sind die mehr als hundert Jahre alten Gemäuer einer
Waggonhalle des früheren Reichsbahnausbesserungswerks Potsdam – kurz RAW.
Fährt man aus Potsdam mit dem Zug nach Berlin, sieht man sie rechts:
gezacktes Dach, vernagelte Fenster, viele Graffiti. Seit die Bahn das
Gelände nach der Wiedervereinigung abgab, hat sich das Areal stark
gewandelt. Es wurden Wohnungen gebaut und eine Möbellagerhalle. Daneben
errichtete die Stiftung Preußische Schlösser Gärten und ein Depot.
## 24/7-Programm im neuen Digitalzentrum
Nur der vom Bahnhof entferntere Teil lag jahrzehntelang brach. Der frühere
Eigentümer, die Immobilienfirma Semmelhaack, Potsdams größter privater
Vermieter, wollte die denkmalgeschützte Halle zum Einkaufszentrum umbauen.
Doch die Stadt wollte 500 Meter neben den Bahnhofspassagen keinen zweiten
Konsumtempel. Unterdessen gammelte das Gebäude vor sich hin, vor sieben
Jahren stand es auch mal in Flammen.
Schon bald soll es dort ganz anders aussehen – jedenfalls wenn es nach den
Plänen eines bisher namentlich nicht bekannten Investors geht. Es soll sich
um einen Geschäftsmann aus der Ölbranche handeln, der in London lebt und
ursprünglich aus Lettland stammt, berichteten die Potsdamer Neuesten
Nachrichten. Die Stadtverwaltung kenne den Namen. Mutterunternehmen sei
eine Holding mit Sitz auf Zypern. Öffentlich tritt bisher nur Mirco
Nauheimer als Geschäftsführer der GmbH auf, die den Namen The RAW Potsdam
trägt und das Projekt umsetzen soll.
„Wir wollen, dass das Areal rund um die Uhr bespielt wird“, sagte Nauheimer
kürzlich bei einer Infoveranstaltung für Bürger im nahe gelegenen
soziokulturellen Zentrum Freiland. In der Halle sollen Veranstaltungen
stattfinden, Gastronomie und kleiner Einzelhandel Platz finden.
Daneben soll ein Büroriegel hochgezogen werden, der in Richtung Bahngleise
ansteigt und dessen gezacktes Dach an der höchsten Stelle 33 Meter misst.
Der Entwurf stammt von dem Berliner Architektenbüro Jürgen Mayer H. In dem
Bau sollen neben etablierten Firmen auch Start-ups aus der IT-Branche
unterkommen. Für 14.000 Quadratmeter der mehr als 20.000 Quadratmeter
großen Nutzfläche habe er schon Interessenten, so Nauheimer. Namen der
Mieter will er zum jetzigen Zeitpunkt nicht nennen.
## Milieuschutz gefordert
In der Stadtverwaltung ist man angesichts der Pläne erfreut. Schließlich
hatte die Wirtschaftsförderung jahrelang nach einem Investor gesucht. Unter
den Stadtverordneten war das Meinungsbild allerdings von Anfang an
gespalten. Die Grünen, in Potsdam immer auf städtebauliche Fragen
fokussiert, kritisierten die Ausmaße des Neubaus. Die linksalternative
Fraktion Die Andere beklagte die unklare Herkunft des Investorengeldes.
Bedenken gab es auch in anderen Fraktionen.
Als schließlich der Baubeigeordnete Bernd Rubelt (parteilos) im Januar ein
„konkurrierendes Verfahren“ für den Architektenentwurf ins Spiel brachte,
drohte Nauheimer damit das Projekt platzen zu lassen. Dann ging alles
ziemlich schnell. Die Stadtverordneten genehmigten die Aufstellung eines
entsprechenden Bebauungsplans.
Nauheimer treibt unterdessen das Projekt voran: Im August soll der
Bauantrag gestellt werden, gegen Jahresende erwarte er die Baugenehmigung.
Anfang nächsten Jahres könnte dann gebaut werden. In den nächsten Wochen
soll das Areal auf Munition aus dem Zweiten Weltkrieg abgesucht werden. Der
Bahnhof war seinerzeit ein Hauptziel von Luftangriffen.
Die Bedenken gegen das Projekt sind aber nicht ausgeräumt, wie bei der
Infoveranstaltung klar wurde. Ein Anwohner fürchtete, dass er sich seine
Wohnung in der Nähe künftig nicht mehr leisten kann, wenn durch die
Ansiedlung zahlungskräftige Arbeitnehmer zuziehen. Die Gefahr von
Verdrängung hatte Nauheimer sogar selbst angesprochen. Die Ansiedlung werde
nicht nur positive Effekte haben. Holger Zschoge vom Bündnis Stadt für alle
will nun für die Anwohner der benachbarten Teltower Vorstadt eine
kritischere Veranstaltung organisieren. „Vielleicht gründet sich eine
Bürgerinitiative“, sagte er der taz. Es gehe nicht darum, das Projekt als
solches zu verhindern, sondern um den Umgang der Stadt mit Verdrängung. Er
fordert für die Nachbarschaft Milieuschutz, um die Mieten zu begrenzen. Die
Wählergruppe Die Andere erinnert an den Widerstand gegen den geplanten
Google Campus in Berlin.
26 Apr 2019
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Gentrifizierung
Verdrängung
Potsdam
Stadtentwicklung
Garnisonkirche
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