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# taz.de -- Streit um Potsdamer Rechenzentrum: Eine Galgenfrist für Kreative
> Noch bietet das Rechenzentrum Raum für 250 Künstler und Kreative. Doch
> auch dieser DDR-Bau der Moderne soll der Barockisierung der Stadt
> weichen.
Bild: Hat Strahlkraft, aber wie lange noch: Rechenzentrum in Potsdam, hier mit …
Die 250 Künstler und Kreativen im Potsdamer Rechenzentrum sind enttäuscht.
Sie hatten sich Planungssicherheit erhofft. Wenn Ende August der
dreijährige Nutzungsvertrag zwischen der Stadt und dem selbst verwalteten
Kunst- und Kreativhaus in Trägerschaft der SPI-Stiftung ausläuft, werden
ihre Mietverträge wohl nur um ein bis zwei Jahre verlängert werden – so hat
es die Stiftung Garnisonkirche am vergangenen Freitag entschieden.
Wie kommt es, dass eine private Stiftung hier das letzte Wort hat? Ein
kleiner Teil des Rechenzentrums steht auf dem Grundstück, das die Stadt bei
der Gründung 2008 als Geschenk in die Stiftung eingebracht hatte, um hier
die barocke Garnisonkirche wiederzuerrichten.
Abgerissen werden müsste das Rechenzentrum erst, wenn das Kirchenschiff
wiederaufgebaut würde. Die finanzielle Lage der Stiftung lässt daran aber
bisher kaum denken, die Spenden reichen nur für den Rohbau des Turms.
Damit wurde im letzten Jahr begonnen, und die ersten Fördermittel des
Bundes fließen in den einstigen Wallfahrtsort des preußischen Militarismus.
Die Stadtverordnetenversammlung von Potsdam hätte der Stiftung
Garnisonkirche nicht die Entscheidungsgewalt über die Zukunft des
Rechenzentrums überlassen müssen, meint Carsten Linke, von der
Wähler*innengruppe Die Andere. Die Duldung hätte Bedingung sein sollen,
wenn die Stadt eine sechsstellige Summe investiert, damit beide Gebäude in
direkter Nähe koexistieren können.
Das Rechenzentrum ist nicht das schönste Architekturbeispiel der Ostmoderne
in Potsdam, steht aber für den gesammelten Widerstand gegen eine städtische
Baupolitik, die das Erbe der DDR restlos zu tilgen droht. 2017 machte der
inzwischen begonnene Abriss der Fachhochschule am Alten Markt bundesweite
Schlagzeilen, weil Fachleute hier baukulturelle Werte erkannten.
Die Stadt lehnte das gemeinsame Kaufangebot mehrerer Erhaltungsinitiativen
ab, nachdem sie zuvor entschieden hatte, das Bürgerbegehren gegen den
Verkauf des städtischen Grundstücks für „rechtlich unzulässig“ zu erkl�…
Anstelle der Fachhochschule sind Büro- und Wohnhäuser mit einem geringen
Anteil an Sozialwohnungen und nur kurzfristiger Preisbindung geplant.
## Unterdrückung der Vielfalt
Lange schien die homogene Rekonstruktion des barocken Stadtbildes
politischer Konsens. Doch mittlerweile ist nicht mehr zu übersehen, dass
die Tilgung der DDR-Architektur in Potsdam für die Unterdrückung
gesellschaftlicher Vielfalt steht: Ältere Menschen, die solche Gebäude als
ihr Lebenswerk ansehen, junge Kreative, die die Moderne ästhetisch schätzen
– sie alle sollen sich dem Gestaltungsdiktat unterordnen.
Kann es Zufall sein, dass der Potsdamer Gestaltungsbeirat unter Ausschluss
der Öffentlichkeit tagt und sich die institutionelle Denkmalpflege
offiziell für keines der ostmodernen Gebäude in Potsdam interessiert?
Dass eine andere Politik möglich ist, bewies die Stadt Berlin, als sie das
Haus der Statistik am Alexanderplatz vom Bund kaufte und im Januar eine
Kooperationsvereinbarung mit mehreren Initiativen schloss.
Nichtkommerzielle kulturelle Nutzungen, die Geflüchtete einbeziehen, sowie
günstige Arbeitsräume für Kreative soll das ostmoderne Bauensemble
zukünftig in prominenter Lage bieten.
Dieses Projekt könnte eine Antwort auf die teils prekären
Arbeitsbedingungen von Freiberuflern in der Kreativwirtschaft sein.
Gleichzeitig gewinnen damit diejenigen Präsenz im Stadtraum, die immer noch
unterrepräsentiert sind in den sogenannten gesellschaftlichen Eliten:
Migranten und Ostdeutsche.
Im Potsdamer Rechenzentrum ist diese Vision bereits gelebte Realität, doch
dieses enorme Potenzial wird von der Politik kaum wahrgenommen. Ein
Szenario-Workshop zur Zukunft der Kunst- und Kreativwirtschaft in Potsdam
machte Hoffnung trotz schwieriger Ausgangslage: Neben dem Oberbürgermeister
Jann Jakobs (SPD) und zwei Vertretern der Stadt waren drei Vertreter der
Stiftung Garnisonkirche als Teilnehmer gesetzt.
Der Druck war groß, da die Entscheidung über die Verlängerung der
Nutzungsdauer offensichtlich vom Ergebnis dieses Verfahrens abhängen würde.
Über den Erhalt der Architektur selbst wurde bewusst nicht gesprochen, um
dieses emotionale Streitthema zu umgehen.
Die Interessenvertreter der Künstler und Kreativen bemühten sich um Konsens
und konnten den Oberbürgermeister überzeugen. Er sprach sich letzte Woche
für ein lückenloses Fortbestehen des Kunst- und Kreativzentrums in der
Gegend um das Rechenzentrum aus, vor und nach 2023 – ab dann wäre das
Gebäude ohne Sanierung nicht mehr nutzbar.
Das sah nach einer guten Perspektive aus: Innerhalb der kommenden fünf
Jahre bliebe genug Zeit, das Rechenzentrum weiterzuentwickeln und dem
Gebäude mit seinem denkmalgeschützten Mosaik eine dauerhafte Existenz zu
sichern. Der Bildhauer Stefan Pietryga stellt sich beispielsweise vor, dass
eine solche Planungssicherheit weitere etablierte Künstler anlocken und
sich das Rechenzentrum als zeitgenössische Ergänzung zu den
(pseudo-)barocken Kunstzentren der Stadt etablieren könnte. Das
Charakteristikum des Orts wäre dabei ein wichtiges Argument, erklärt
Pietryga: Seit Längerem sei in Kunstkreisen die Ästhetik nachkriegsmoderner
Architektur als Inspirationsquelle entdeckt worden.
Die Kulturmanagerin Anja Engel sieht die Einbindung des Rechenzentrums in
das Stadtleben und den Kontext der Potsdamer Hochschullandschaft als eine
große Chance für mehr Lebensqualität in der Potsdamer Mitte. Diese
Synergien zwischen internationaler Anziehungskraft und lokalem Kulturleben
machen das Rechenzentrum aus.
Gerade mal eine Woche nach Abschluss des Zukunftsworkshops stellt die
Stiftung Garnisonkirche diese Zukunft wieder infrage. Was sagt das aus über
den Zustand der Demokratie in Potsdam?
9 Mar 2018
## AUTOREN
Dina Dorothea Falbe
## TAGS
Garnisonkirche
Stadtentwicklung
Gentrifizierung
Stadtentwicklung
Architektur
Potsdam
Potsdam
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