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# taz.de -- Potsdam will DDR-Hotel abreißen: Preußens Prunk vs. DDR-Moderne
> Potsdam will Millionen ausgeben, um aus einem intakten Hotel eine Wiese
> zu machen. Dagegen startet nun ein Bürgerbegehren.
Bild: Sieht auch mit Schnee nicht gerade schön aus. Aber muss man das Hotel Me…
Nachts fällt es besonders auf: Wie eine glühende Zigarette erhebt sich das
17-geschossige Hotelhochhaus dank der roten Leuchtreklame „Mercure“ auf dem
Dach über das Dunkel der Potsdamer Innenstadt. Auch tagsüber ragt es neben
der Nikolaikirche aus dem ansonsten an Höhepunkten armen Häusermeer der
brandenburgischen Landeshauptstadt. An dem unspektakulären Betonklotz hat
sich nun ein Streit neu entzündet, der in der früheren Preußenresidenz
schon lange schwelt.
Mit einem Bürgerbegehren soll der von der Stadt beabsichtigte Abriss des
Viersternehotels mit 210 Zimmern doch noch gestoppt werden. „Am 8. April
soll die Unterschriftensammlung beginnen“, so Frauke Röth von der
Bürgerinitiative „Potsdamer Mitte neu denken“. Und nicht nur das: Die
Initiative will ein Abrissmoratorium für sämtliche Gebäude in der
Innenstadt und einen Verkaufsstopp für öffentlicher Grundstücke. Die genaue
Fragestellung für das Bürgerbegehren wird derzeit erarbeitet.
Die Weichen für den Hotelabriss hatten die Stadtverordneten Anfang März
gestellt, als sie die Änderung der Sanierungsziele für das Areal im
Stadtzentrum beschlossen. Die bürgerliche Rathausallianz aus SPD, CDU/ANW
und Grünen hatte die Vorlage mit ihrer Mehrheit durchs Stadtparlament
gebracht. Dagegen stimmten die Linke und die linksalternative Fraktion Die
Andere. Damit sind Änderungen und Modernisierungen an dem Gebäude künftig
nicht mehr möglich.
Das Kalkül: Der Hotelbetrieb wird langfristig unattraktiv und der
stadteigene Sanierungsträger könnte das Gebäude günstig kaufen und
abreißen. Beim Hotelbetreiber stoßen die Pläne der Stadt erwartungsgemäß
auf wenig Begeisterung. Die Abrissdebatte erleichtere nicht gerade das
Geschäft. Dennoch habe man eine Auslastung von mehr als 60 Prozent, so
Hoteldirektor Marco Wesolowski.
## „Beispiellose Einmischung“
Schärfer äußerte sich die Eigentümergesellschaft, hinter der nach Angaben
der Stadtverwaltung ein US-amerikanischer Immobilienfonds steht. Die
Einmischung in ein erfolgreiches Unternehmen und die bewusste Gefährdung
von 55 Arbeitsplätzen sei beispiellos, unverantwortlich und äußerst
fragwürdig, hieß es in einer schriftlichen Erklärung an die
Stadtverordneten. „Dieser Versuch wird scheitern.“
Möglich sind die Abrisspläne überhaupt nur, weil die Stadtmitte als
Sanierungsgebiet einem besonderen Städtebaurecht unterliegt. Die Stadt hat
einen Treuhänder eingesetzt, die stadteigene Immobilienholding Pro Potsdam.
Diese kann Grundstücke günstig erwerben, die Infrastruktur mithilfe von
Fördermitteln verbessern, die Grundstücke anschließend teuer verkaufen und
dabei noch Vorgaben für Gestaltung und Nutzung machen.
Derart drastische Eingriffe lässt das Gesetz allerdings nur zu, wenn
dadurch städtebauliche Missstände beseitigt werden, die anders nicht zu
beheben wären. Eine ungenutzte Industriebrache wäre so ein Missstand oder
ein verfallendes historisch bedeutsames Gebäudeensemble, wie es das
Holländische Viertel in Potsdam Anfang der 1990er Jahre war. Zu so einem
Missstand ist nun auch das Mercure erklärt worden, obwohl es seit mehr als
40 Jahren an seinem Platz steht und völlig intakt ist.
An seiner Stelle sehen die neuen Sanierungsziele eine Grünfläche vor. Diese
„Wiese des Volkes“ soll künftig gegenüber dem Landtag zum Verweilen
einladen – direkt neben einer vierspurigen Bundesstraße. Der Geniestreich
ist das Ergebnis eines vom Sanierungsträger veranstalteten, 500.000 Euro
teuren mehrmonatigen Werkstattverfahrens mit sieben Architektenteams. Der
Plan steht ausdrücklich unter Finanzierungsvorbehalt; ein Konzept dazu soll
es im Juli geben.
Um Kauf und Abriss zu finanzieren – vorläufige Schätzungen gehen von etwa
15 Millionen Euro Kosten aus –, will der Sanierungsträger andere
Grundstücke des Areals verkaufen. Doch auf einem Großteil der infrage
kommenden Fläche steht derzeit ein Gebäude der Fachhochschule aus den
1970er Jahren.
Deren Studenten der Informationswissenschaften und des Sozialwesens sollen
im Herbst 2017 in einen Neubau auf einen Campus außerhalb der Innenstadt
umziehen. Dann will die Stadt das alte FH-Gebäude planieren und die
wertvollen Mitte-Grundstücke an Investoren verkaufen. Diese können dann auf
17 Parzellen entlang des derzeit nicht sichtbaren Straßenrasters aus der
Vorkriegszeit Wohn- und Geschäftshäuser mit teilweise historisierenden
Fassaden erstellen. Doch diesen Plan könnte das Bürgerbegehren nun
durcheinanderbringen.
## Historischer Stadtgrundriss
Denn eigentlich geht es um mehr als das Für und Wider eines Hotelabrisses.
Der geplante Abriss ist ein Symbol für die umkämpfte Identität der Stadt.
Äußerlich steht die Wiederbelebung des Prunks der preußischen
Residenzstadt gegen die architektonischen Hinterlassenschaften der
DDR-Moderne.
In den kommenden Jahren soll eine ganze Reihe von Bauten aus der DDR-Zeit
verschwinden: Neben dem Hotel und der Fachhochschule soll im kommenden Jahr
auch die Schwimmhalle am Hauptbahnhof fallen und das benachbarte
Terrassenrestaurant Minsk. Das ehemalige Rechenzentrum, das Dutzende
Künstler und Kreative nutzen, soll perspektivisch der umstrittenen
Garnisonkirche Platz machen. Hinter dem Streit um Gebäude steht die Frage,
ob die Stadt den Erwartungen der Touristen entsprechen soll oder denen
ihrer Bewohner.
Für die einen geht es darum, dass die Mitte der Stadt so aussehen soll, wie
auf Postkarten aus der Vorkriegszeit. Der Beschluss zur „behutsamen
Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss“ wurde bereits 1990
gefasst. Für Potsdams CDU-Fraktionschef Matthias Finken sei damit klar
gewesen, dass manche Gebäude nicht stehen bleiben würden, wie er in der
Stadtverordnetenversammlung sagte.
Für die anderen geht es darum, für wen die Mitte der Stadt künftig da sein
soll. In den Plänen der Stadt vermissen sie den Nutzen für die
Stadtgesellschaft. „Den Plänen für die Stadtmitte fehlt es kulturell und
sozial an Nachhaltigkeit“, so André Tomczak von der Bürgerinitiative
„Potsdamer Mitte neu denken“. Es sei zudem paradox, zuerst 180 städtische
Wohnungen abzureißen, um dann mit Millionen aus der Wohnungsbauförderung
wieder neue zu bauen. Im April will die Initiative ihr Nutzungskonzept für
das Fachhochschulgebäude konkretisieren. Bisher sieht es Räume für
Initiativen, Künstler, Tagungen und Veranstaltungen vor. „Wir brauchen doch
Leben in der Innenstadt“, sagt Tomczak.
Was den Ausgang des Bürgerbegehrens angeht, sind Röth und Tomczak
optimistisch. Protestpotenzial gegen die Rekonstruktion preußischer
Bauten gibt es allemal. Vor zwei Jahren unterschrieben etwa 14.000
Potsdamer gegen den umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche. Die Linke
sammelte Anfang März innerhalb von vier Tagen schon mehr als 3.500
Unterschriften gegen den Hotelabriss. Sie unterstützt nun auch das
Bürgerbegehren, wie Potsdams Linke-Chef Sascha Krämer sagt.
Formal haben die Abrissgegner nun zwölf Monate Zeit, wollen aber schon bis
zur Sommerpause die nötigen gut 13.000 Unterschriften zusammenhaben, damit
sich das Stadtparlament mit dem Thema beschäftigen muss. Lehnt es den
Inhalt des Bürgerbegehrens ab, folgt automatisch ein bindender
Bürgerentscheid.
24 Mar 2016
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Potsdam
DDR
Preußen
Garnisonkirche
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