# taz.de -- Bundespolitik: Der Ort, an dem sich die Zukunft entscheidet | |
> In einem alten Kreuzberger Postfuhramt zählt die SPD ab dem heutigen | |
> Samstag aus, wie ihre 473.000 Mitglieder zum Koalitionsvertrag zwischen | |
> CDU und SPD stehen. | |
Bild: Jetzt kommt's raus... | |
Schräg gegenüber, an der Brandmauer des Hotel Mercure, ist ein Wandbild zu | |
sehen, eine Mischung aus Südseeszenario und Berliner Motiven, sehr bunt. | |
Grün ist dabei, Gelb auch. Hinter dem Metalltor auf der anderen Seite der | |
Luckenwalder Straße in Kreuzberg aber, in dem großen Hallenkomplex | |
„Station“ am Gleisdreieck, geht es allein um zwei Farben: Rot und Schwarz. | |
Hier zählen ab dem heutigen Samstag rund 700 Helfer das SPD-Mitgliedervotum | |
über eine Große Koalition mit der CDU auf Bundesebene aus. Hier klärt sich | |
die offene Frage, ob es mit Deutschland schwarz-rot weitergeht oder | |
schwarz-grün oder erst mal ganz ohne neue Regierung. | |
Monate des Wahlkampfs, der Sondierungsgespräche, schließlich der | |
Koalitionsverhandlungen – all das findet dieses Wochenende an diesem | |
denkmalgeschützten Ort, der mal Postbahnhof war und noch früher der | |
Dresdner Bahnhof, seinen Abschluss. Beteiligen sich mehr als 20 Prozent der | |
Parteimitglieder an der Abstimmung und nehmen sie den Koalitionsvertrag an, | |
wird Deutschland zum dritten Mal nach 1966–1969 und 2005–2009 von einer | |
schwarz-roten Koalition regiert. | |
Ob das geschieht oder ob sich die CDU um Kanzlerin Angela Merkel einen | |
anderen Koalitionspartner suchen und die SPD-Spitze zurücktreten muss – all | |
das klärt sich in dem Veranstaltungszentrum „Station“ mit seinen sieben | |
Hallen am Gleisdreieck, das direkt neben den Bahnsteigen der U1 und der U2 | |
liegt. Mehr als 20.000 Quadratmeter Platz gibt es dort für die Auszählung, | |
ungefähr so viel wie drei Fußballfelder zusammengenommen. | |
Die „Station“ sei „eine der außergewöhnlichsten Locations Europas“ un… | |
„nationaler und internationaler Hotspot für Messe- und | |
Kongressveranstalter“, sagen die Betreiber des Zentrums. Die SPD war hier | |
übrigens schon mal zu Gast, bei einem Bundesparteitag und als der Berliner | |
Landesverband im Mai 2011 Klaus Wowereit erneut zum Spitzenkandidaten für | |
die Abgeordnetenhauswahl wählte. Der hackte damals auf den Grünen rum, weil | |
die es mit den großen Infrastrukturprojekten nicht so hätten. „Diesen | |
Dilettanten darf man nicht die Führung der Stadt überlassen“, sagte er – | |
und musste ein knappes Jahr später selbst die Flughafeneröffnung | |
verschieben. | |
Die Auszählung soll weniger dilettantisch verlaufen. Bis 24 Uhr am | |
Donnerstag dieser Woche mussten die Stimmzettel beim Parteivorstand | |
angekommen sein – nicht im wenig mehr als einen Kilometer Luftlinie | |
entfernten Willy-Brandt-Haus, sondern in einer Postlageradresse in Leipzig. | |
Von dort kommen sie per Lkw nach Kreuzberg zur „Station“. Das | |
Mitgliedervotum ist auch im wörtlichen Sinn eine gewichtige Sache. Bis | |
Mittwoch hatten sich bereits fast zwei Drittel der 473.000 Parteimitglieder | |
beteiligt, wodurch mit ca. 15 Gramm pro Brief gut viereinhalb Tonnen | |
zusammenkommen. | |
Rund 700 Helfer sollen im Einsatz sein, 200 kommen nach Vorstellungen des | |
Bundesvorstands aus Berlin und Brandenburg. Das sei schon komisch, ist da | |
von hiesigen Mitgliedern zu hören – beim Parteitag habe man gerade mal 16 | |
von 600 Delegierten, aber hier schultere man einen großen Teil der | |
Auszählung. Ähnliches gilt für SPDler aus Brandenburg, die beim jüngsten | |
Bundesparteitag in Leipzig sogar nur neun Delegierte hatten. | |
Was die mehreren hundert Helfer und Kontrolleure da auszählen, sind nicht | |
simple Papierzettel wie im Wahllokal. Zum Abstimmungszettel gehört eine | |
eidesstattliche Erklärung, ein Strichcode soll zudem sicherstellen, dass | |
kein Mitglied mehrfach abstimmen kann. | |
Vor dem Auszählen müssen die maximal 473.000 Stimmzettel noch aus ihren | |
Umschlägen heraus, die zusammen mit der eidesstattlichen Versicherung in | |
einem zweiten äußeren Briefumschlag stecken – naheliegenderweise in | |
SPD-Rot. Das Öffnen besorgen sechs eigens dazu besorgte | |
Hochleistungsbriefschlitzmaschinen. 40.000 Umschläge sollen die pro Stunde | |
schaffen. | |
Am Samstagnachmittag soll schließlich ein knapp ein Meter siebzig großer | |
und ziemlich fülliger Mann zwischen den Maschinen und den Zähltischen | |
stehen und das Ergebnis bekannt geben: Sigmar Gabriel, der Parteichef, der | |
Mann mit dem Sinn für Stimmungen, will vor Ort sein, wenn es um die Zukunft | |
Deutschlands geht – und um seine eigene. Denn falls eine Mehrheit der | |
Mitglieder Nein zum Koalitionsvertrag sagt, soll Gabriel abtreten. Die | |
„Station“ wäre für ihn dann nur noch eins: Endstation. | |
13 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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Potsdam | |
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