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# taz.de -- Wie umgehen mit Bettwanzen?: Konfrontation mit mir selbst
> Unsere Autorin hatte eigentlich den Anspruch, keine Speziesistin zu sein.
> Dann kamen die Bettwanzen.
Bild: Eine Bettwanze auf dem Weg zu einer Sexparty
Ich liebe Tiere. Eigentlich alle. Denn ich habe den Anspruch an mich
selbst, [1][keine Speziesistin zu sein], also etwa die süßen Tiere den
vermeintlich ekligen vorzuziehen, einem Waschbärbaby eine größere
Daseinsberechtigung beizumessen als einer Ratte oder allgemein jenen, die
den Menschen als Quälgeister gelten, Stechmücken, Wespen – oder Bettwanzen.
Letztere sorgen aktuell in Frankreich für Panik. Laut einer Studie sollen
[2][11 Prozent aller französischen Haushalte] betroffen sein. Auch in
Berlin warnte [3][jüngst im Tagesspiegel] ein Kammerjäger vor der
Ausbreitung der Zivilisationsfolger. Und ja, Bettwanzen sind eine
logistische Herausforderung, sie wieder loszuwerden ist teuer und
aufwändig. Vor allem aber zwingen sie uns zu einer schonungslosen
Auseinandersetzung mit uns selbst. Ich habe es selbst erfahren.
Alles fing an mit einem Streit darüber, wer gepupst hat. Das war vor etwa
fünf Jahren. Wir waren gerade ins Bett gegangen, plötzlich roch es seltsam,
ein bisschen metallisch. Komischer Pups. Egal, wir schliefen trotzdem ein.
Einige Wochen später fanden wir uns morgens im Wohnzimmer vor dem Laptop
wieder, das Schlafzimmer hatten wir fluchtartig verlassen, die Tür krachend
zugeschlagen. Der eine untersuchte die juckende gerötete Haut, die andere
las auf [4][tierenzyklopaedie.de]: „Das Paarungsverhalten der Bettwanzen
ist recht einfach und erfolgt meist zur Nachtzeit. Das Weibchen lockt das
Männchen mit einem Duftstoff an.“ Dabei kriecht das Männchen an das
Weibchen heran und begattet es, indem es einfach die [5][Körperwand
durchbohrt].
Der Pups war gar kein Pups gewesen, sondern ein Lockmittel, um direkt unter
uns vermutlich noch in derselben Nacht eine wilde Sexparty zu feiern! Die
Zeichen waren unverkennbar, die Nachkommen dieser Wanzen-Party waren unter
uns. Etwa ein bis zwölf Eier legt ein Weibchen täglich, sieben Tage später
schlüpfen die Larven, fünf Wochen später feiern diese als junge Erwachsene
die nächste Sexparty.
Nachdem wir ein wenig Mut gefasst hatten, stellten wir im Schlafzimmer
weitere Nachforschungen an. Und plötzlich sahen wir sie überall: kleine
schwarze Punkte, Wanzenkacke, auf den Fußleisten, an der Tapete, hinter dem
Bilderrahmen, an den Steckdosen, pfui bah.
In den folgenden Wochen focht ich mit meinem besseren Ich einen erbitterten
Kampf aus. Da war die Nora mit dem anerzogenen Ekel vor allem, was kreucht
und fleucht und krabbelt und saugt, die am liebsten das ganze Schlafzimmer
auseinandergenommen hätte, um voller Genugtuung jede Wanze eigenhändig mit
der Giftsprühdose zu erledigen. Und da war die friedvolle, vernünftige,
harmoniesüchtige Nora, die Gewalt gegenüber jeglichen Lebewesen verurteilt
und Ekel nicht mehr zeitgemäß findet, ommm …
Ich erinnere mich noch lebhaft an einen Sonntagmorgen. Ich bin gerade
aufgewacht, setze mich langsam auf und schlage die Bettdecke zurück, da
kommt sie auf mich zugerast auf ihren kurzen Beinchen, wie eine
Kamikaze-Wanze, die schreit: „Neiiin, nicht aufstehen, ich will noch mal
ran!“ In nackter Panik spreche ich der Wanze binnen einer Millisekunde ihre
Daseinsberechtigung ab und lösche sie aus, zermalme sie in der Falte des
Bettbezugs zwischen Daumen und Zeigefinger, mit ungeahnter Energie.
Als ich mich beruhigt habe, versuche ich, mildere Gedanken zuzulassen: Die
Wanze wollte doch nur ein zweites Frühstück einnehmen. Oder einen letzten
Snack vorm Schlafengehen. Das kennst du doch auch, Nora, wenn du von einer
durchzechten Nacht nach Hause kommst und noch ein Käsebrot essen musst,
bevor du ins Bett gehst.
Irgendwann waren die Wanzen und ich per Du. Das ganz bestimmt. Sie haben
mir meinen eigenen ansozialisierten Speziesismus vor Augen geführt und mich
dazu gebracht, ihn zu hinterfragen, immer wieder, dafür bin ich ihnen
dankbar.
Trotzdem mussten sie sterben und diese Erde verlassen, die ich mir doch
eigentlich so gern mit ihnen geteilt hätte. Eigentlich. Denn ja, ich muss
zugeben, dass das mit dem Alle-Tiere-lieben-Wollen im Fall der Bettwanzen
nicht ganz geklappt hat. Aber lieben ist ein starkes Wort, und es ist wie
mit den Menschen: Die einen lassen sich eben leichter lieben als die
anderen.
13 Oct 2023
## LINKS
[1] /Performance-zu-Rechten-der-Natur/!5861137
[2] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/bettwanzen-in-paris-was-urla…
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/befall-ist-nicht-meldepflichtig-kammerja…
[4] https://www.tierenzyklopaedie.de/bettwanze/
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Bettwanze
## AUTOREN
Nora Belghaus
## TAGS
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