# taz.de -- Warum Jens Spahn noch im Amt ist: Die Angst der Bundesregierung | |
> Gesundheitsminister Spahn steht für vieles in der Kritik. Sein Rücktritt | |
> wäre angebracht, ist aber unwahrscheinlich – zumindest bis Sonntag. | |
Bild: Mit Masken kennt sich Jens Spahns Partei zumindest geschäftlich gut aus | |
Es war einmal eine Chefin der Evangelischen Kirche, die von ihrem hohen Amt | |
sofort zurücktrat, weil sie alkoholisiert über eine rote Ampel fuhr. Es | |
waren einmal zwei Bundesminister*innen, die ihre politische Karriere | |
beenden mussten, weil sie bei der Doktorarbeit geschummelt hatten. Heute | |
gibt es einen Gesundheitsminister, in dessen Zuständigkeitsbereich seit | |
vielen Monaten so gut wie alles schiefläuft, der persönlich schwere Fehler | |
gemacht hat – und der trotzdem alles aussitzt, als wäre nichts geschehen. | |
Wie kann das sein? Was schützt Jens Spahn [1][vor dem Amtsverlust]? | |
Die Medien sind es nicht mehr. Auch bürgerlich-konservative Zeitungen, die | |
den Aufstieg des rechten CDU-Flügelstürmers lange freundlich begleitet | |
hatten, wenden sich gerade ab. Es ist nicht mehr besonders originell, den | |
Rücktritt Spahns zu fordern. Im Gegenteil. Von Spiegel bis Springer sind | |
sich inzwischen so gut wie alle einig, dass der Gesundheitsminister gehen | |
sollte. | |
Es haben sich so viele auf Spahn eingeschossen, dass man fast schon wieder | |
skeptisch werden könnte. Wird da nur ein Sündenbock gesucht, ein armes | |
Opfer, dem man die Schuld für das deutsche Coronaschlamassel in die Schuhe | |
schieben kann? Verlieren alle nur deshalb die Geduld, weil nach einem Jahr | |
Coronakrise und scheinbar endlosem Lockdown auch die lange treuherzig | |
braven Deutschen einfach nur erschöpft und sauer sind? Und weil sie wollen, | |
dass endlich irgendjemand für den ganzen Mist büßen sollte? | |
So einfach sollte man es sich in der Tat nicht machen. Spahn hat weder das | |
Virus noch seine Mutanten erfunden, die meisten (Fehl-)Entscheidungen, die | |
zum unerträglich langsamen Impfen und Testen in Deutschland führten, wurden | |
nicht im Gesundheitsministerium allein, sondern im größeren Kreis | |
getroffen, von der EU über die Große Koalition bis zu den Bundesländern – | |
und auch ohne Spahn wäre Corona natürlich noch lange nicht vorbei. Und doch | |
besteht kein Anlass, den von allen Seiten attackierten Minister jetzt in | |
Schutz zu nehmen. Dass er ins Schussfeld geraten ist, hat sich Spahn schon | |
selbst zuzuschreiben. Die Liste seiner Fehler ist zu lang. | |
## Peinliche Blamage | |
Spahns Pannenserie fing mit seiner populistischen Reuebekundung nach dem | |
ersten Lockdown an, wonach die Schließung des Einzelhandels ein Fehler | |
gewesen sei, der sich nicht wiederholen dürfe. Das hat die Akzeptanz der | |
dann natürlich doch wieder nötigen Maßnahmen im Herbst unnötig erschwert. | |
Es ging weiter mit vollmundigen Versprechungen für schnelle Impf- und | |
Testaussichten, die Spahn hinausposaunte, ohne die dafür notwendigen | |
Vorbereitungen geklärt, geschweige denn organisiert zu haben. | |
Am schwersten aber wiegt, dass sich der Gesundheitsminister mitten in der | |
zweiten Welle nicht auf die Bewältigung der größten Gesundheitskrise der | |
deutschen Nachkriegsgeschichte konzentrierte, was ein Vollzeitjob gewesen | |
wäre. Stattdessen versuchte er nebenbei intensiv und ungeniert, erst einmal | |
weiter an der eigenen parteipolitischen Karriere in der CDU zu basteln. | |
Dass er dabei auf die Nase fiel, weil sein [2][peinlicher Werbeauftritt für | |
Armin Laschet] auf dem CDU-Parteitag auch beim eigenen Parteivolk schlecht | |
ankam, macht die eitle Nebentätigkeit des Gesundheitsministers im | |
Coronanotstand nicht besser. | |
## Angst der Regierung | |
Auch wenn Parteipolitik natürlich sogar in schlimmsten Pandemiezeiten | |
erlaubt sein muss: Spahn hat dabei zu viel Vertrauen verspielt. Wer morgens | |
Rücksichtnahme, Solidarität und Disziplin predigt, die Gefahren von | |
Zusammenkünften mit mehreren Menschen beschwört und dann abends bei einem | |
Dinner mit reichen Gönnern speist, die passgenau 9.999 Euro für seinen | |
Wahlkampf zahlen, damit es den Säckel füllt, das aber [3][nicht als | |
meldepflichtige Spende zählt], der hat zwar keine rote Ampel überfahren, | |
dafür aber ganz klar eine rote Linie. | |
Warum also kann er weitermachen? Kurz gesagt: Weil die ganze Regierung | |
Angst hat. Spahns Rücktritt könnte als Eingeständnis verstanden werden, | |
dass die gesamte deutsche Coronapolitik gescheitert ist. Deshalb kann sich | |
Spahn auf den Schutz der CDU verlassen. Aber nur noch bis zu den nächsten | |
Landtagswahlen am Sonntag. | |
9 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Wallraff | |
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