# taz.de -- Wahlkampf in Frankreich: Ein linker Held der Freiheit | |
> Jean-Luc Mélenchon könnte es bis in in die Stichwahl schaffen. In | |
> Toulouse versammeln sich Zehntausende bei seinem Wahlkampfauftritt. | |
Bild: Massen fanden sich bei der Wahlkampfveranstaltung ein – darunter auch p… | |
TOULOUSE taz | Es wirkt fast wie eine kleine Völkerwanderung in Toulouse an | |
diesem sonnigen Ostersonntag. Tausende schieben sich durch die Strassen zum | |
Cours Dillon – große weitläufige Grünflächen, die sich an den Ufern der | |
Garonne entlangziehen. Sie alle wollen ihn sehen, Jean-Luc Mélenchon, Chef | |
der Bewegung La France insoumise (das widerständige Frankreich). Eine Woche | |
vor den Präsidentenwahlen am 23. April liegt er laut Umfragen bei 20 | |
Prozent der Stimmen und könnte es sogar in die Stichwahl schaffen. | |
An den Eingängen des Areals, das mit Plastikbändern abgesperrt ist, sind | |
die Kontrollen eher lax. „Was die Frauen immer so alles dabei haben, das | |
ist ja ein Wahnsinn“, sagt ein Ordner, wirft einen kurzen Blick in die | |
Tasche und winkt dann durch. Die Männer, Rucksäcke hin oder her, dürfen so | |
hinein. | |
Kurz darauf nimmt es Mélenchons Vortänzer auf der Bühne mit der Sicherheit | |
etwas genauer. „Ich möchte alle, die auf den Bäumen sitzen, bitten | |
herunterzukommen“, ruft er ins Mikrophon. Auf dem Rasen gibt es kaum noch | |
einen freien Platz, auf den Wegen auch nicht. Doch noch immer kommen | |
weitere Neugierige hinzu und versuchen, sich in Richtung Bühne | |
vorzuarbeiten. Später werden die Organisatoren von rund 70.000 Teilnehmern | |
sprechen. | |
Umtriebige Wahlkampfhelfer versorgen die Ankommenden mit Flugblättern. | |
Darin wird erklärt, „was die Wahl von Jean-Luc Mélenchon in meinem Leben | |
verändern wird“. Drei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze als Folge eines | |
ökologischen Umbaus. Eine garantierte Rente von mindestens 1.000 Euro mit | |
60 für alle, die 40 Jahre eingezahlt haben. 173 Euro mehr im Monat für | |
diejenigen, die Mindestlohn bekommen, besser bezahlte Überstunden. Das | |
klingt vielversprechend und scheint anzukommen. | |
## Die Menge rast | |
Plötzlich ist er da, Jean-Luc Mélenchon – wie aus dem Nichts aufgetaucht. | |
Tausende Trikoloren werden in die Höhe gereckt, die Menge rast, Applaus | |
brandet auf, minutenlang Rufe „Präsident, Präsident, Präsident!“ | |
Jean-Luc Mélenchon lässt sich feiern und kostet den Empfang in vollen Zügen | |
aus. Wie immer bei seinen Auftritten bleibt er nicht an einer Stelle | |
stehen, sondern ist in ständiger Bewegung. „Teilen Sie heute mit mir die | |
Emotionen, die Wahlkampage ist zu etwas anderem geworden, eine neue Zeit | |
ist angebrochen“, ruft er. Dann beschwört Mélenchon das schöne und | |
großmütige Frankreich, das jeden Tag wie ein neuer Morgen beginne unter der | |
Devise: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Jetzt ist für den ehemaligen | |
Trotzkisten zum ersten mal der Zeitpunkt gekommen, an dem er sich an seiner | |
Konkurrenz abarbeitet. Frankreich, sagt er, werde keine Pfarrgemeinde des | |
19. Jahrhunderts sein, wie François Fillon das wolle. Auch keine Spielwiese | |
von Chipherstellern à la Emmanuel Macron. Und erst recht keine Maschine des | |
Hasses, wie sie Marine Le Pen propagiere. „Widerstand, Widerstand!“, grölt | |
die Menge. | |
Nach 20 Minuten ist Mélenchon bei einem seiner zentralen Themen angekommen: | |
Liberté, Freiheit. Zunächst knöpft er sich die Presse vor. Frankreich sei, | |
was die Pressefreiheit betreffe, auf dem 45. Platz, zitiert er die | |
Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Da könne man besser | |
werden. Aber neun Milliardäre hätten die Medien unter sich aufgeteilt. „Die | |
Stunde eurer Befreiung naht“, ruft der Ex-Senator. Sollte er Präsident | |
werden, werde er mit den prekären Verhältnissen in den Medien aufräumen, wo | |
die Angst sich in den Hirnen der Chefredakteure und Mitarbeiter festgesetzt | |
habe. | |
Dann gleitet Mélenchon geschmeidig zur Freiheit des Gewissens über. „Als | |
Präsident dieser Republik werde ich dafür sorgen, dass sich der Laizismus | |
in diesem Land komplett durchsetzt, angefangen beim öffentlichen Dienst.“ | |
## Hymne der Freiheit | |
Dieser Grundgedanke der Freiheit, der wie eine „Hymne“ zelebriert wird, | |
durchzieht das ganze Programm: das verfassungsmässige Recht auf Abtreibung, | |
unabhängige finanzielle Unterstützungszahlungen für die Jugend, eine | |
Umverteilung der Arbeitszeit sowie die Möglichkeit, einen Abgeordneten | |
während der laufenden Legislaturperiode abzuberufen. „Wir sind das Lager, | |
die Bewegung derjenigen, die die Freiheit möglich machen“, sagt Mélenchon | |
und spaziert in konzentrischen Kreisen über die Bühne. „Dégagez, | |
Dégagez!“-Rufe ertönen aus der Menge, was soviel meint wie: Sich von dem | |
Alten zu befreien, es hinweg zu fegen. Oder wie Mélenchon, auch an diesem | |
Nachmittag wiederholt zu Protokoll gibt: Eine neue Seite aufschlagen. | |
Der „Star“ ist abgetreten, die Menge zerstreut sich. „Ich bin wirklich | |
erstaunt, dass so viele, ganz verschiedene Leute da sind“, sagt ein junger | |
Mann aus der Nähe von Toulouse, der ein Restaurant betreibt. Mélenchon | |
verbreite eine positive Botschaft und offensichtlich gebe es ein | |
gemeinsames Projekt. Er werde Mélenchon wählen. Ist er von François | |
Hollande enttäuscht? „Wirtschaftlich ja, sozial nicht“, sagt er und lacht. | |
Immerhin habe er seinen Freund heiraten können. | |
Ein paar Meter weiter macht sich eine kleine Gruppe auf den Weg nach Hause. | |
Eine Frau trägt eine Fahne der Kommunistischen Partei über der Schulter. An | |
ihrem T-Shirt sind mehrere Buttons angesteckt. Darauf steht: „Ich liebe den | |
Frieden“ und „Der große humane Friede ist möglich – Jean Jaures“. Um | |
Mélenchon live zuzuhören, ist sie 200 Kilometer weit gereist. „Wir haben | |
viele Gemeinsamkeiten mit dem Programm von Mélenchon.“ Wichtig seien ihr | |
Arbeitsplätze, Löhne und eine Gleichheit der Geschlechter. Europa? | |
Europäische Union ja, aber die Verträge müssten neu ausgehandelt werden. | |
„Ein Europa der Völker“, sagt sie und: „Ich habe wieder ein wenig | |
Hoffnung.“ | |
Doch neue Hoffnung zu verbreiten kostet auch Geld. An einem der Ausgänge | |
stehen zwei Wahlkampfhelfer, die ein Tuch zwischen sich aufgespannt haben. | |
„Wir sammeln für die Kampagne“, sagt einer. Offensichtlich mit Erfolg. In | |
dem Tuch liegen bereits etliche Scheine und Münzen. Ja, er werde für | |
Mélenchon stimmen, sagt er. Es müsse mehr Öko geben, Menschen, die die | |
Natur respektieren. Stattdessen zerstöre die Wirtschaft das natürliche | |
Umfeld. „Die Menschen dienen der Wirtschaft. Das muss umgekehrt sein.“ Für | |
diese Änderungen stehe Mélenchon. „Umfragen sind immer fehlerhaft“; sagt … | |
dann noch und zwinkert mit dem linken Auge. „Mélenchon kommt in die zweite | |
Runde. Wir werden das erleben.“ | |
17 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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