# taz.de -- Vor der Parlamentswahl in Indien: Modis magere Bilanz | |
> Indiens Premier Narendra Modi will bei der Wahl vom Konflikt mit Pakistan | |
> profitieren. Denn seine Wirtschaftsversprechen blieben unerfüllt. | |
Bild: Wahlkampfveranstaltung in Assam: Viele InderInnen feiern Modi als einen M… | |
MUMBAI taz | In einer Gasse in Mumbais Viertel Juhu stehen an einer Ecke | |
die Fischerinnen Angelina und Ritu in rotweißen Blumenkleidern. Über | |
Politik sprechen die Endvierzigerinnen nicht so gern öffentlich. Doch sie | |
wollen zur Wahl gehen. „Wir haben genug von den letzten fünf Jahren“, sagt | |
Angelina. „Alle gehen hier wählen.“ Ab diesem Donnerstag wird in der | |
größten Demokratie der Welt gewählt. Doch die beiden Frauen müssen noch bis | |
zum 29. April warten. Mumbai ist erst in der vierten Phase an der Reihe. | |
Die politischen Parteien profitieren vom Rotationssystem der Wahl und | |
nutzen die Zeit zur Werbung. Viele haben noch [1][die Versprechen Narendra | |
Modis] im Gedächtnis, mit denen der heutige Ministerpräsident und seine | |
hindunationalistische Volkspartei (Bharatiya Janata Party – BJP) vor fünf | |
Jahren die Kongresspartei an der Macht ablösten. Modi hatte 10 Millionen | |
neue Jobs pro Jahr versprochen. | |
Doch heute ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie seit 45 Jahren nicht mehr. | |
Der Thinktank Center for Monitoring Indian Economy schätzt, dass in Modis | |
Amtszeit [2][11 Millionen Stellen verloren gegangen] sind. Zu Beginn dieses | |
Jahres waren seine Umfragewerte deshalb gesunken. Trotzdem setzt Modi auf | |
eine zweite Amtszeit und seine Chancen dafür stehen gut. | |
Der Bankangestellte Ram, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, hat | |
gerade noch den Vorortschnellzug von Mumbais Innenstadt nach Borivali | |
erwischt. Der 23-Jährige möchte Modi weitere fünf Jahre im Amt sehen, auch | |
wenn der vor allem für seine Währungsreform, die als Demonetarisierung | |
bekannt wurde, viel Kritik erntete. | |
## „Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer“ | |
Über Nacht waren 2016 [3][mehr als drei Viertel des Bargelds entwertet] | |
worden. Das traf vor allem die einfachen Menschen. Für Ram zählt aber, dass | |
„jetzt mehr Menschen Bankkonten nutzen“. Der Anwalt Anup, der neben ihm | |
steht, schätzt Modis Außenpolitik. Zudem gäbe es keine Alternative, auch | |
wenn der Premier seine Versprechen nicht alle gehalten habe. | |
Rosa D’Souza, die als Haushälterin im informellen Sektor arbeitet, ist | |
weniger optimistisch: „Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.“ Die | |
50-Jährige will jetzt nicht wählen. „Auf uns einfache Leute schaut kaum | |
jemand.“ Sie erinnert sich an den Schock der Demonetarisierung vor | |
zweieinhalb Jahren. | |
Das Ziel war, gegen Schwarzgeld vorzugehen. Doch ein Jahr später wurde | |
bekannt, dass das meiste Schwarzgeld über Umwege wie religiöse Stiftungen | |
umgetauscht wurde. Manche hätten ihr Geld in den Hausmüll geworfen, andere | |
ins Meer, sagt Rosa. Danach herrschte Chaos, bis die Bevölkerung mit neuen | |
Banknoten versorgt werden konnte. Besonders kleine Gewerbe litten. Nicht | |
alle konnten sich finanziell erholen. | |
Das kritisiert auch der Mumbaier Ökonom Ajit Ranade an Modis Politik: „Wenn | |
die Demonetarisierung dem Kampf gegen Korruption und Schwarzgeld gedient | |
haben soll, dann hat sie mehr geschadet, als sie gebracht hat.“ Ranade | |
sieht die Amtszeit Modis mit gemischten Gefühlen. | |
## Präsent in Medien und der Welt | |
Das Wirtschaftswachstum lag in den letzten fünf Jahren durchschnittlich bei | |
7 Prozent. Das liege unter Indiens Potenzial. „Obwohl das Wachstum zu den | |
höchsten in der Welt gehört, reicht es nicht, um die Armut zu vermindern.“ | |
Modis Programme „Make in India“, „Skill India“ oder Start-up India“ s… | |
nicht, was sie versprochen hatten. | |
„Das Problem ist, dass 90 Prozent der indischen Arbeitskräfte im | |
informellen Sektor beschäftigt sind. Dieser Sektor litt stark unter der | |
Reform“, sagt Ranade. Hinzu kam die Einführung der Mehrwertsteuer, die | |
mutig gewesen, aber schlecht umgesetzt worden sei. In dieser Zeit | |
verlangsamte sich das Wachstum. Positiv sieht Ranade Modis Umweltkampagne | |
„Sauberes Indien“. Sie machte die Versorgung mit Toiletten zum | |
Mainstream-Thema. Investitionen in Infrastruktur wie Schienenverkehr oder | |
den Kampf gegen Vetternwirtschaft zählt er ebenso auf. | |
Statt auf Wirtschaft setzt Modi jetzt auf die Sicherheitspolitik und machte | |
den [4][Kaschmir-Konflikt] zu seinem Wahlkampfthema. [5][Die harte Haltung | |
gegenüber Pakistan] verhalf ihm aus dem Umfragetief. Doch seine | |
antipakistanische Rhetorik ist zu gleich eine antimuslimische, die von der | |
hindunationalistischen Agenda der BJP verstärkt wird. Der Professor für | |
Entwicklungsethnologie, Balmurli Natrajan aus Bangalore, spricht von einer | |
vergifteten Atmosphäre und sieht Indiens politische Freiheiten gefährdet. | |
„Diese Wahl wird Indiens erste sein, in der eine Partei keine andere Basis | |
als Hass hat“, glaubt er. | |
Bevor Indien im Februar militärische Vergeltung an Pakistan für einen | |
Anschlag in Kaschmir übte, hatte Oppositionsführer Rahul Gandhi in Umfragen | |
stark aufgeholt. Das Geschwisterpaar Rahul und Priyanka Gandhi versprach | |
neuen Wind für die Kongresspartei. Doch belasten diese weiterhin alte | |
Korruptionsfälle. Heute scheint die Wahl nur noch eine für oder gegen Modi | |
zu sein. | |
Die Kongresspartei versucht es dabei mit Sozialpolitik und verspricht den | |
Ärmsten ein jährliches Grundeinkommen von umgerechnet 920 Euro, wenn sie an | |
die Macht kommt. Doch bleibt Modi weiterhin für viele der Mann, der Dinge | |
anpackt. Er hat in seiner fünfjährigen Amtszeit viele Kampagnen | |
medienwirksam präsentiert und ist anders als seine Vorgänger um die Welt | |
gereist. | |
„Indien hat weltweit ein besseres Image und viel bessere internationale | |
Beziehungen“, sagt der Erstwähler Maheshwar Khetan. Wen der 22-jährige | |
Student aus dem zentralindischen Chandrapur am 11. April wählt, weiß er | |
noch nicht. Er arbeitet sich noch durch die Themen des Kongress-Programms, | |
das er per WhatsApp bekommen hat. „Ich sehe online viele Trolle der | |
Regierungspartei“, sagt er. Er wünscht sich, dass per Social Media mehr | |
Inhalte als Propaganda veröffentlicht werden. Jetzt sei die Zeit, in der | |
sich die Menschen ihre Meinung bildeten. | |
11 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Hindu-Nationalist-Narendra-Modi/!5042611 | |
[2] https://www.cmie.com/kommon/bin/sr.php?kall=warticle&dt=2019-01-08%2009… | |
[3] /Folgen-der-Demonetarisierung-in-Indien/!5457943 | |
[4] /Kommentar-Konflikt-Indien-und-Pakistan/!5574145 | |
[5] /Reaktion-auf-Terroranschlag-in-Kaschmir/!5576760 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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