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# taz.de -- Kaschmir-Konflikt eskaliert: In der Gewaltspirale
> Pakistan übt Vergeltung für einen Luftangriff Indiens. Dessen Premier
> Modi muss nun Härte zeigen, ohne den Konflikt anzuheizen.
Bild: Getroffen: Abgeschossenes indisches Flugzeug in Pakistan
Delhi taz | Die verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan stehen erneut
am Rande eines Kriegs. Am Mittwoch schoss das pakistanische Militär nach
eigenen Angaben zwei indische Kampfflugzeuge über pakistanischem Luftraum
ab und hat einen Piloten „festgenommen“. Einen Tag zuvor hatte die indische
Luftwaffe ein angebliches Lager der Terrororganisation Dschaisch-e-Mohammad
(JeM) in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP)
[1][bombardiert] – Vergeltung für einen Terroranschlag letzte Woche in der
umstrittenen Region Kaschmir.
Das indische Außenministerium bestätigte am Mittwoch in einer extrem kurzen
und angespannten Pressekonferenz den Verlust eines Kampfflugzeugs vom Typ
MiG 21; der Pilot sei „im Einsatz vermisst“ gemeldet. Im Norden des Landes
wurden neun Flughäfen für den zivilen Flugverkehr vorübergehend gesperrt.
„Jetzt haben wir die Eskalationsspirale, die eigentlich keiner will“, sagt
der ehemalige Marineoffizier Abhijit Singh, Senior Fellow bei der Observer
Research Foundation (ORF), einer Denkfabrik in Delhi.
In der Tat hatte die indische Regierung noch am Dienstag versucht, den
Eindruck zu erwecken, ihr Angriff in dem Ort Balakot in Khyber Pakhtunkhwa
sei gar keine Militäraktion. Delhi sprach von einem „nichtmilitärischen
Präventivschlag“: der Begriff soll signalisieren, dass es kein Angriff auf
die pakistanische Armee war, sondern ein Antiterroreinsatz. Delhi
versicherte ausländischen Diplomaten in einem Hintergrundgespräch am
Dienstag, Indien wolle keine Eskalation.
Doch die Marketingstrategie zeitigte in Islamabad keine Wirkung. Pakistan
wertete die Bombardierung auf seinem Staatsgebiet als Angriff und schlug am
Mittwoch umgehend zurück. „Weder Premierminister Imran Khan noch Armeechef
General Qamar Bajwa wollen derzeit eine Eskalation“, betonte ein
pakistanischer Diplomat in Delhi. „Doch einen solchen Angriff können wir
nicht hinnehmen.“ Der Sprecher des pakistanischen Militärs, Generalmajor
Asif Ghafoor erklärte zugleich, Pakistan sei nicht in den indischen
Luftraum eingedrungen, sondern habe die indischen Flugzeuge von Pakistan
aus abgeschossen.
Indien wird nun wohl oder übel deeskalieren müssen, wenn es nicht zwei
Monate vor der Parlamentswahl einen Krieg riskieren will, dessen Ausgang
unvorhersehbar ist. „Die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) weiß, dass
sie eine gute Chance auf Wiederwahl hat, wenn sie ihre Karten gut spielt.
Wenn nicht, sinken ihre Chancen erheblich“, sagt der Politikwissenschaftler
Happymon Jacob von der Jawaharlal Nehru University in Delhi. Das mache die
Situation gefährlicher als sonst.
## „Unkalkulierbare Folgen“
Bisher gab es zwischen den beiden Atommächten ein Einverständnis, diese Art
von Scharmützeln zu vermeiden, weil sie keiner Seite nutzen. Doch die
hindunationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi ist nicht
nur im Wahlkampfmodus, sie denkt auch seit Längerem darüber nach, wie sie
militärisch unterhalb der Nuklearschwelle auf Terroranschläge reagieren
kann.
Der [2][Selbstmordanschlag am 14. Februar] in Pulwama im indischen
Bundesstaat Jammu und Kaschmir bot den Hardlinern in der Regierung
Gelegenheit, ihre theoretischen Überlegungen in die Tat umzusetzen. Bei dem
Attentat auf einen Bus des indischen Militärs, zu dem sich die in Pakistan
ansässige Terrororganisation Dschaisch-e-Mohammad bekannt hatte, starben
mehr als 40 indische Soldaten.
Es war der blutigste Anschlag seit dem Angriff auf das [3][Tadsch-
Mahal-Hotel in Mumbai 2008] durch die Terrororganisation Laschkar-e Taiba
(LeT) und der Attacke auf das indische Parlament 2001 durch Mitglieder von
LeT und JeM. Beide Organisationen operieren aus Pakistan und haben im
Süden des dortigen Bundesstaats Punjab ihren Hauptsitz. Sie wurden explizit
mit dem Ziel gegründet, den indischen Teil der zwischen beiden Ländern
umstrittenen Region Kaschmir „zu befreien“; für LeT ist dies zugleich Teil
eines globalen „Dschihads“.
Es heißt, dass der mächtige pakistanische Militärgeheimdienst Inter
Services Intelligence (ISI) an der Gründung beider Organisationen beteiligt
war. Pakistan betrachtet den Fall Kaschmir als „offene Rechnung der
Teilung“. Es ist der Meinung, dass die mehrheitlich muslimische Region
schon nach der Unabhängigkeit 1947 Pakistan hätte beitreten müssen, und
sieht die indische Herrschaft in Kaschmir als Besetzung. Zugleich leugnet
Islamabad regelmäßig jegliche Beteiligung an den Attentaten der
Terrororganisationen, greift aber auch nicht gegen diese durch.
Pakistans Premierminister Imran Khan warnte am Mittwoch in einer kurzen
Fernsehansprache vor den „unkalkulierbaren Folgen“ eines Krieges und rief
dazu auf, sich „zusammenzusetzen und zu reden“. Doch Delhi kann zum
jetzigen Zeitpunkt nicht zurückrudern, ohne erneut als Papiertiger
dazustehen. Bereits im September 2016 hatte Indien nach einem Terrorangriff
in Kaschmir mit sogenannten chirurgischen Schlägen auf pakistanischem
Staatsgebiet reagiert – doch Pakistan leugnete schlicht, dass diese
überhaupt stattgefunden haben.
„Indien muss bereit sein, weiter zu eskalieren, wenn Pakistan
zurückschlägt“, sagt der Politikwissenschaftler Rajesh Rajagopalan von der
Jawaharlal Nehru University. Nur so lasse sich auf Dauer eine glaubwürdige
Abschreckungsstrategie aufbauen. Doch genau davon versucht die
internationale Gemeinschaft Delhi nun abzubringen: US-Außenminister Mike
Pompeo rief beide Seiten dazu auf, „weitere militärische Aktivitäten zu
vermeiden“. Für Premierminister Modi ist dies allerdings kaum möglich, ohne
das Gesicht oder gar – schlimmer noch – die Wahl zu verlieren.
27 Feb 2019
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## AUTOREN
Britta Petersen
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