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# taz.de -- Die Ziele der Attentäter von Bombay: "Die beiden Hotels sind auf j…
> Die Anschläge hatten es auf Wahrzeichen der Metropole abgesehen, meint
> der Historiker Nikhil Rao. In Bombay wird Konsum immer wichtiger,
> zugleich nimmt die Segregation zu.
Bild: Gezielter Angriff auf ein Wahrzeichen: das brennende Taj Hotel in Bombay.
taz: Herr Rao, die Angriffe von Bombay zielten vor allem auf die beiden
Luxushotels, das Taj Mahal und das Oberoi Trident. Beide liegen im
südlichen Teil der Stadt, neben dem Torbogen des Gateway of India und im
Viertel Nariman Point. Was charakterisiert diese Gebiete?
Nikhil Rao: Die Gegend am Gateway of India mit ihren feststehenden, solide
konstruierten Gebäuden war Teil jener "europäischen Stadt", die Anfang des
20. Jahrhunderts errichtet wurde. Heute ist hier die obere Mittelschicht zu
Hause - auch wenn sich in der Nähe des Taj-Mahal-Hotels noch immer ein
großes Areal mit einem Fischerdorf erstreckt. Es ist eine Besonderheit von
Bombay, dass die unterschiedlichen Schichten auf engem Raum koexistieren.
Woran liegt es, dass es hier dieses krasse Nebeneinander von Reich und Arm
gibt?
An drei Gründen. Der erste ist, dass die Haushalte der Mittelschicht viel
Arbeitskraft beanspruchen - sie brauchen Köche, Hausmädchen, Putzfrauen und
Fahrer. Die Wohlhabenden und die Armen pflegen eine symbiotische Beziehung,
sie hängen voneinander ab. Der zweite Grund liegt darin, wie sich die Stadt
entwickelt hat. Die Bewohner der Fischerdörfer nahe dem Taj-Mahal-Hotel und
dem Oberoi-Trident-Hotel genießen bestimmte verbriefte Rechte - etwa, dass
sie nicht umgesiedelt werden dürfen. Das führt zu diesen dörflichen
Enklaven mitten in einer hypermodernen, großstädtischen Umgebung.
Und der dritte Grund?
In den Slums rund um die Hochhäuser von Nariman Point wohnen auch noch
Bauarbeiter - und zwar diejenigen, die die Häuser einst errichtet haben.
Sie wurden während der Bauarbeiten in temporären Siedlungen untergebracht
und sind hinterher einfach geblieben. Das Gebiet rund ums Oberoi-Hotel mag
sich zwar von dem rund ums Taj Mahal unterscheiden, weil es erst in den
60er-, 70er-Jahren errichtet wurde. Aber eine Gemeinsamkeit gibt es: Beide
Orte liefern Motive für Postkarten. Das Taj, weil es neben dem Wahrzeichen
der Stadt, dem Gateway of India, liegt; das Oberoi, weil es am südlichen
Ende des Marine Drive liegt. Diese Orte schaffen die einprägsamsten Bilder
der Stadt; das war sicher ein Antrieb für die Angreifer - neben dem
Umstand, dass man hier Ausländer und Reiche treffen würde.
Sie glauben, es war ein Motiv für die Terroristen, dass die Orte
Wahrzeichen der Stadt sind?
Ja, der symbolische Wert spielt eine entscheidende Rolle. Die Ziele sind
ganz anders gewählt als bei vorangegangenen Bombenangriffen. Als 1993 die
Börse attackiert wurde, war das zwar auch symbolisch, zugleich aber ganz
praktisch - dasselbe gilt für die Passbehörde. Beim Oberoi Trident, beim
Taj Mahal und dem Chatrapathi Shivaji Terminus handelt es sich dagegen
eindeutig um Orte mit hoher visueller Ausstrahlung - um Orte, die die
Postkarten von Bombay zieren.
Bombay erleidet seit 1993 immer wieder Bombenattentate - zuletzt traf es im
Sommer 2006 zwei Vorortzüge, 187 Menschen wurden dabei getötet. Wie gehen
die Bewohner der Stadt denn mit dieser konstanten Bedrohung um?
Ich weiß nicht, wie, aber irgendwie gelingt es ihnen. Es hat etwas von
einem Wunder. Die Stadt kann eine Bestie sein, aber sie kann einem auch mit
Anstand und Mut begegnen. Das gehört zu ihr. Etwas pragmatischer betrachtet
ist es schlichtweg so, dass die Bewohner Bombays keine Wahl haben. Sie
können ja nicht einfach wegziehen. Also kommen sie mit der Bedrohung aus
und vertrauen darauf, dass die Dinge wieder ihren normalen Lauf nehmen.
Im Stadtkern von Bombay, der etwa 440 Quadratkilometer umfasst, leben fast
14 Millionen Menschen, im Großraum der "Mumbai Metropolitan Region" sogar
über 20 Millionen. Wie kommen so viel Menschen auf so engem Raum zurecht?
Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie viel Raum sie
brauchen und was Privatheit bedeutet. Es gibt Menschen, die nicht viel mehr
haben als das Stück Bürgersteig, auf dem sie die Nacht verbringen. Aber all
diesen furchteinflößenden Statistiken zum Trotz hat die Stadt genug
Strahlkraft. Es gibt noch immer jede Menge Leute, die ihre Heimatdörfer und
-städte verlassen, um in Bombay ihr Glück zu versuchen - was vielleicht
kein allzu gutes Licht auf die Dörfer und Kleinstädte wirft.
Sie selbst sind in den 70er-, 80er-Jahren in Bombay großgeworden. Heute
leben Sie in den USA, in der Nähe von Boston. Wenn Sie Ihre Heimatstadt
besuchen, welche Veränderungen nehmen Sie da wahr?
Als ich in den Nachrichten die Bilder des Taj-Mahal-Hotels sah, fiel mir
auf, dass sich neben dem Eingang ein Louis-Vuitton-Laden befindet - das
wäre in meiner Jugend undenkbar gewesen. Damals war die Wirtschaft
kontrolliert. Seit sie Anfang der 90er-Jahre dereguliert wurde, ist Bombay
zu einer Stadt des Konsums geworden. Heute gibt es größeren Wohlstand, aber
auch größere Armut; die Ungleichheit hat zugenommen. Außerdem wurden in den
70er-Jahren, ganz im Sinne Nehrus, säkulare, kosmopolitische Werte
hochgehalten. Es ging um Arbeit, es ging ums Geschäft. Da interessierte es
nicht, ob man Hindu, Christ oder Muslim war.
War das wirklich so?
Nun, es mag zum Teil auch Mythos sein, aber eines ist sicher: Seit dem
Aufruhr, den Pogromen und den Bombenattentaten von 1992, 1993 hat sich die
Situation verändert. Als ich aufwuchs, hat sich kaum jemand über das
Zusammenleben von Hindus und Muslimen den Kopf zerbrochen, während heute
die Spannungen wegen religiöser Zugehörigkeit zunehmen und die Menschen
sich zugleich viel stärker über ihre Religion definieren.
Wie ist es denn heute um das Zusammenleben der diversen religiösen und
ethnischen Gruppen in Indien bestellt?
In den vergangenen 15 Jahren hat es eine Polarisierung gegeben. Viele
Muslime, die ich kenne, sind aus Süd-Bombay weggezogen; die Konzentration
der einzelnen Gruppen in bestimmten Stadtgebieten nimmt zu. Wobei es sich
vor allem in der unteren Mittelschicht und in der Mittelschicht so verhält,
dass Hindus und Muslime segregiert leben. Sobald man einen der ärmeren
Slums betritt, wird man sehen, wie ungeheuer dicht er besiedelt ist; dort
leben Hindus und Muslime auf engstem Raum nebeneinander. Am anderen Ende
der sozialen Skala ist es ähnlich: In einem Hochhaus der Oberschicht wohnen
immer auch Muslime. Wobei es meinem Eindruck nach auch in solchen Gebäuden
in letzter Zeit die Tendenz gibt, auf Homogenität zu achten.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund denn die Politik der
hindunationalistischen Shiv-Sena-Partei, die in Bombay aktuell sogar die
Bürgermeisterin Shuba Raul stellt?
Shiv Sena hat etwas an Profil verloren, die rechtsextreme Partei von Raj
Thackeray ist aktiver geworden. Sie hat ein ähnliches Programm wie Shiv
Sena, in jüngster Zeit hat sie vor allem gegen Einwanderer aus Nordindien
agitiert. Aber wer weiß, was jetzt passiert? Ich hoffe sehr, dass die
Menschen die Ruhe bewahren.
INTERVIEW VON CRISTINA NORD
29 Nov 2008
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