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# taz.de -- Bombay unter Schock: Tage des Grauens
> Nach und nach bringt die Armee die von Islamisten besetzten Gebäude unter
> ihre Kontrolle. Die Bilanz von 48 Stunden Terror ist verheerend. Mehr als
> 140 Menschen wurden getötet.
Bild: Sicherheitskräfte bestimmen das Stadtbild in Bombay.
BOMBAY taz Freitagabend von dem Taj-Mahal-Hotel in Bombay. Ein indischer
Kameramann liegt auf dem Boden und schreit. Kollegen drängen sich um ihn,
versuchen, ihn ins Bild zu nehmen, andere rennen davon. "Ich bin
getroffen", brüllt der Mann und windet sich vor Schmerzen. Er sind Szenen
wie aus einer kriegsentscheidenden Schlacht.
Vor mehr als 43 Stunden haben bewaffnete Attentäter damit begonnen, ein
Blutbad anzurichten, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Einige von
ihnen waren vermutlich schon in der Stadt, weitere sind mit Schnellbooten
von der offenen See gekommen. Sie haben vor Restaurants, in Krankenhäusern
und in den Lobbys zweier Luxushotels wahllos Menschen erschossen. Zwei der
Terroristen kaperten einen Polizeijeep, fuhren mit ihm durch mehrere
Straßen und feuerten auf Passanten. In der Nähe des Flughafens sprengen die
Terroristen ein Taxi in die Luft.
Ein britisch-indischer Geschäftsmann, der in der Lobby des Taj-Mahal-Hotels
stand, als das Morden dort begann, beschreibt die Attentäter als Männer,
Anfang, Mitte zwanzig. Sie seien hereingestürmt, hätten Angestellte des
Hotels erschossen und geschrien, sie suchten nach Menschen, die einen
britischen oder amerikanischen Pass haben.
Besonders stark gesichert waren die angegriffenen Gebäude nicht. Zwar hat
Bombay in der Vergangenheit schon mehrfach blutigste Anschläge erlebt. Erst
im Juli 2006 rissen sieben Bomben in Vorortzügen und an Bahnhöfen 209
Menschen in Stücke. Aber Indien ist nicht Afghanistan; mit schwer
bewaffneten Angreifern, die sich skrupellos ihren Weg durch die Menge
schießen, hatte niemand gerechnet.
Noch vor wenigen Tagen schauten die Menschen in Bombay voller Stolz auf den
Turm ihres Taj-Mahal-Luxushotels. Wer in einem der Restaurants dieses
Hotels einen Tisch bekam, hatte es in Bombay, der indischen Variante von
New York, ganz nach oben geschafft. Doch nun thront das riesige Gebäude
über dem Stadtteil Colaba wie ein dunkles Verhängnis. Immer noch hält eine
unbekannte Zahl von Attentätern Menschen als Geiseln. Rauch dringt aus
einem Seitenflügel des historischen Gebäudes. Einige Zimmer sind komplett
ausgebrannt, die Fassade ist an mehreren Stellen schwarz. Das Feuer, immer
wieder von Neuem gelegt, bahnt sich seinen Weg. Die Feuerwehrleute, die
direkt vor dem Hotel stehen, sind machtlos. Denn niemand weiß, aus welchem
der etlichen Fenster tödliche Schüsse fallen könnten.
Auf der anderen Seite, vor dem Gateway-of-India-Denkmal, drängen sich mehr
als hundert Kameraleute und Journalisten in gefährlicher Nähe zu dem
besetzten Hotel. Wie gefährlich es ist, hier zu stehen, zeigt sich, als
Sicherheitskräfte einen weiteren Großangriff starten. Von der Seite aus
schießen Soldaten Raketen auf einen Raum, in dem Attentäter vermutet
werden. Sekunden später liegt ein Kameramann schreiend auf dem Boden, Chaos
bricht sich Bahn. Ob er von Splittern der explodierenden Rakete getroffen
wurde oder durch Schüsse aus dem Haus, ist unklar.
Auch an anderen Schauplätzen des Grauens drängen sich etliche Menschen in
die Schussweite der Attentäter. Freitagvormittag: Das Nariman House ist von
Soldaten umstellt. Polizisten sichern die Umgebung. Hunderte von
Schaulustigen versuchen etwas zu sehen. Mehrere Attentäter sollen in dem
jüdischen Kulturzentrum in dem Gebäude bis zu zehn Geiseln genommen haben.
Ein Hubschrauber taucht plötzlich über dem Haus auf. Mindestens neun schwer
bewaffnete Männer in schwarzen Anzügen seilen sich aufs Dach ab: Die "Black
Cats", eine paramilitärische Antiterroreinheit, soll die Terroristen
stellen.
Kurze Zeit später zerreißen Maschinengewehrsalven die Stille. Heftige
Explosionen folgen, es wird eine halbe Stunde lang erbittert gekämpft. Dann
wird es ruhiger, offenbar wird wieder verhandelt. Stellungskrieg. Einige
Stunde später bricht Jubel vor dem Gebäude aus. Hunderte Menschen stehen
auf der Straße, klatschen und feiern abrückende Soldaten. Der Horror hat,
zumindest hier, endlich ein Ende gefunden. Oder auch nicht: Kleinlaut
schiebt ein Sprecher der "Black Cats" ein wenig später nach, die Operation
sei nur "mehr oder weniger" vorbei. So geht es seit Tagen. Offizielle
Erklärungen der Polizei kommen nur sporadisch, häufig haben die Sprecher
selbst mit widersprüchlichen Meldungen zu kämpfen.
Das Nachrichtenchaos zehrt in der scheinbar nicht enden wollende Belagerung
der Stadt zusätzlich an den Nerven der Menschen. Normalerweise ist Bombay
für seine Leichtigkeit und seine Lebensfreude bekannt. Doch nun wirken die
wenigen Menschen auf den ansonsten überfüllten Straßen wie gelähmt.
Steven de Souza ist einer von ihnen. Er ist 31, stammt aus Goa und arbeitet
seit mehr als zehn Jahren in Bombay. Drei Jahre lang hat er im Luxushotel
Trident Oberoi gearbeitet. Jetzt steht er vor dem Hotel. Sorgenfalten
graben sich in seine Stirn. "Die Menschen sind in das Hotel gekommen, weil
sie Schutz gesucht haben", sagt er. Jetzt seien sie dort gefangen und
würden mit dem Leben bedroht. Zahlreiche andere Männer schauen besorgt nach
oben. Viele von ihnen tragen weiße Hemden und halten Aktentaschen in den
Händen. Das Trident Oberoi liegt in einem der vielen Geschäftsviertel der
Stadt. "Wie lange soll das noch weitergehen", sagt ein Mann um die vierzig.
Die Menschen, die so lange als Geiseln oder in ihren Zimmern gefangen
ausharren, müssten doch sterben vor Angst.
Dann wird es an einem Seitenausgang des Hotels unruhig. Die "Black Cats"
haben in dem Luxushotel mehr als 120 Menschen befreit, die auf ihren
Zimmern gefangen waren. Ein Mann um die sechzig, Brille, blaues Hemd,
Glatze, wird von einem Hotelmitarbeiter nach draußen geführt. Er ist
vermutlich Brite, sieht sehr blass und vollkommen erschöpft aus. "Ich habe
nichts gesehen", sagt er im Vorübergehen. "Ich war die ganze Zeit auf
meinem Zimmer." Dann zieht ihn der Hotelmitarbeiter an der Menge vorbei zu
einem bereitstehenden Auto. Weitere Überlebende folgen ihm. Ein Mann um die
vierzig sitzt in einer Nebenstraße in seinem Taxi und starrt auf das
Gebäude. Er hat einen langen Bart und rot gefärbte Haare. Sein Name ist
Ahmed Khan, er ist Muslim. Während er spricht, kämpft er mit den Tränen.
"Das hier ist so falsch. Das dürfte nicht sein", sagt er. Das, was "diese
jungen Männer" da getan hätten, sei "Haram", eine Sünde. Keiner seiner
muslimischen Bekannten, erzählt er weiter, hätte Verständnis für das, was
geschehen ist.
Der Terrorangriff hat auch das Wirtschaftsleben der Megametropole teilweise
lahmgelegt. Eigentlich ist der Colaba Causway, die Hauptstraße, die sich
durch das am meisten betroffene Viertel zieht, eine bunte Einkaufs- und
Café-Straße. Doch heute haben alle Geschäfte geschlossen. Nicht einmal die
etlichen Stände und Bauchläden sind heute geöffnet. An den verwaisten
Geschäften rasen alle fünf Minuten Truppentransporter der Armee vorbei.
Jeder von ihnen wird von zwei Soldaten mit Maschinengewehren bewacht.
Sie fahren auch an dem Ort vorbei, an dem der unglaubliche Terrorangriff
seinen Ausgang genommen hat. Die Rollgitter des Leopold-Restaurants sind
geschlossen. Bestialischer Verwesungsgeruch dringt bis auf die Straße: Ein
Blick durch die Lüftungsschlitze im oberen Teil der Rollgitter zeigt, dass
auf einigen der Tische noch Teller mit Essen stehen. Hier ist am
Mittwochabend um 21.30 Uhr die Zeit stehengeblieben.
Das Leopold ist bei Ausländern in Bombay, bei Touristen und den hippen
reichen Jugendlichen der Stadt sehr beliebt. Wie immer standen an diesem
Abend einige der Tische beinahe auf der Straße, als mindestens zwei Männer
von draußen das Feuer eröffneten und davonrannten. Mindestens zehn Menschen
lagen in tiefen Blutlachen. Eine indische Tageszeitung berichtet sogar, ein
Augenzeuge habe gesehen, dass die Männer zuvor in dem Restaurant gegessen
und bezahlt hätten, bevor sie aufgestanden seien und damit begonnen hätten,
wild um sich zu schießen.
Nun ist das geschlossene Lokal zu einem Wallfahrtsort des Grauens geworden.
Einige Männer stehen davor und erklären Passanten, was geschehen ist. Sie
deuten auf Blutlachen auf der Straße. Touristen schlendern vorbei und gehen
instinktiv schneller weiter, sobald sie realisieren, wo sie gerade stehen.
Die Bilanz von bislang 48 Stunden Terror ist verheerend: Die Polizei findet
in den befreiten Gebäuden und Etagen der noch besetzten Gebäude immer
wieder Leichen. Mehr als 140 Menschen sollen in den Tagen des Terrors
getötet worden sein, an die 400 Verletzte soll es gegeben haben. Unter den
westlichen Opfern sollen vier deutsche Staatsangehörige sein, drei weitere
Deutsche sollen verletzt worden sein.
Und immer noch hallen Schüsse aus dem Taj-Mahal-Hotel durch das gesamte
umgebende Viertel. Ein einziger Attentäter soll sich dort noch verschanzt
halten. Auch im jüdischen Zentrum im Nariman House wird noch gekämpft.
Niemand rechnet mehr damit, dass dort noch Geiseln am Leben sind.
Die Tage des Schreckens in Bombay sind noch immer nicht vorbei.
29 Nov 2008
## AUTOREN
Sascha Zastiral
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