# taz.de -- Vermeintliche Werbung für Abtreibung: Arzt wegen 219a verurteilt | |
> Ein Gericht hat den Gynäkologen Detlef Merchel zu einer Geldstrafe | |
> verurteilt. Das Vergehen: Er informierte im Netz über | |
> Schwangerschaftsabbrüche. | |
Bild: Reformbedarf? Protest beim Prozess gegen die Ärztin Kristina Hänel 2018 | |
COESFELD taz | Das Amtsgericht Coesfeld hat den Gynäkologen Detlef Merchel | |
nach Paragraf 219a verurteilt. Der Richter verhängte eine Geldstrafe von | |
3.000 Euro gegen den 63jährigen Mediziner. Das Vergehen: „Werbung zum | |
Abbruch der Schwangerschaft“. Wie die in der Vergangenheit bereits wegen | |
Paragraf 219a verurteilten Ärztinnen Christina Hänel und Bettina Gaber, | |
könnte nun auch Merchel vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. | |
Der Amtsrichter begründete sein Urteil auch mit Merchels | |
„Uneinsichtigkeit“: [1][Der Gynäkologe aus dem westfälischen Nottuln] hat… | |
in der Verhandlung deutlich gemacht, dass er die Informationen zum | |
Schwangerschaftsabbruch auf seiner Homepage und auf einem Merkblatt für | |
notwendig halte und nicht entfernen wolle. | |
Merchels Anwalt Wilhelm Achelpöhler argumentierte in der Verhandlung, dass | |
„Verbreitung der Wahrheit nicht bestraft werden kann.“ Kenntnis der | |
Wahrheit sei die Voraussetzung von Freiheit. Um eine Entscheidung treffen | |
zu können, müssten ungewollt schwangere Frauen die Möglichkeit zur | |
Information haben, damit sie ihr Persönlichkeitsrecht wahrnehmen könnten, | |
zu dem auch die Durchführung eines nicht strafbaren | |
Schwangerschaftsabbruchs gehöre. | |
Merchel selbst stellte vor Gericht die Frage, wie es sein könne, dass er | |
vor der Reform 15 Jahre lang dieselben Informationen ungestraft verbreiten | |
durfte, die ihm jetzt zur Last gelegt werden. Es half ihm nichts. | |
## Sachliche Informationen? Verboten | |
Mit dem Urteil folgt das Gericht im Münsterland der Linie von zwei Urteilen | |
höherer Instanzen in Berlin und Frankfurt/Main aus jüngerer Vergangenheit. | |
Die dortigen Richter:innen hatten bejaht, dass Ärzt:innen nach | |
Paragraf 219a verbotene „Werbung“ betreiben, wenn sie auf ihrer Homepage | |
mitteilen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, darüber hinaus | |
aber auch weiterführende Informationen liefern. Ersteres ist seit der | |
[2][Reform des Paragrafen im Jahr 2019] erlaubt, letzteres nicht. | |
Beim Verfahren gegen die Berliner Gynäkologin Bettina Gaber hatten die | |
Worte „medikamentös“ und „narkosefrei“ als solch eine zusätzliche | |
Information für eine Verurteilung gereicht. Auch das Oberlandesgericht | |
Frankfurt urteilte im Revisionsverfahren gegen die Ärztin Kristina Hänel, | |
dass nach der Reform des Paragrafen 219a solche sachlichen Informationen | |
nicht mehr gestattet seien. | |
Ein Blick auf Detlef Merchels Homepage zeigt, dass er seinen Informationen | |
zum Abbruch einen sehr ausgewogenen Text voranstellt. „Prüfen Sie bitte, ob | |
nicht auch in Ihrer Situation das Austragen des Kindes und das Leben mit | |
dem Kind möglich ist“, heißt es, bevor der Frauenarzt kleinschrittig den | |
medikamentösen Abbruch beschreibt, den er durchführt. Für den sogenannten | |
operativen Eingriff verweist er auf einen Kollegen. | |
Dass Merchel so sachlich informiert und „werbend“ allenfalls für eine | |
Fortsetzung der Schwangerschaft auftritt, bewahrte ihn aber nicht vor der | |
Anklage. Angezeigt hatte ihn ein 30jähriger Mann aus Frankfurt am Main. | |
Bereits vor der Reform des Paragrafen 219a war Merchel angezeigt worden, | |
damals hatte die Staatsanwaltschaft aber keine Anklage erhoben – obwohl es | |
vor der Reform bereits sanktionierbar war, nur darüber zu informieren, dass | |
man überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durchführt. | |
Es gibt keine Statistik, wie viele Anzeigen wegen §219a bei deutschen | |
Staatsanwaltschaften eingehen und wie oft diese auf eine Anklage | |
verzichten. Mehrere Dutzend Demonstrierende vor dem Gerichtsgebäude | |
forderten am Donnerstag die Abschaffung von Paragraf 219a. | |
Aktualisierung 12.07.2021: Detlef Merchel und sein Anwalt haben | |
angekündigt, Revision einzulegen. Der Gynäkologe aus Nottuln ist damit wie | |
Kristina Hänel und Bettina Gaber auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht. | |
d. R. | |
20 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gaby Mayr | |
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