| # taz.de -- Debatte um Paragraf 219a: Niemand „bewirbt“ Abtreibungen | |
| > Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen | |
| > Schwangerschaftsabbruch. Paragraf 219a aber tut so, als sei Abtreibung | |
| > durch Werbung manipulierbar. | |
| Bild: Demonstration für die Streichung des Paragraf 219a in Berlin | |
| Wenn ich das Wort „Werbung“ höre, denke ich an in der Sonne glitzernde | |
| Autos, an Espressomaschinen oder an den Wohnst-du-noch-Slogan von Ikea. | |
| Firmen bewerben etwas, was sie teuer verkaufen wollen, indem sie es als | |
| verführerisch und sexy darstellen. Abstrus finde ich hingegen, dass | |
| Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs dasselbe Wort benutzt: Um „Werbung für | |
| den Schwangerschaftsabbruch“ geht es dort. Der Paragraf besagt, dass | |
| niemand zum „Vermögensvorteil“ oder in „grob anstößiger Weise“ | |
| Informationen zum Schwangerschaftsabbruch anbieten, ankündigen oder | |
| anpreisen darf. Wer das tut, wird zu einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe | |
| verurteilt. | |
| Immer wieder werden Ärzt*innen nach Paragraf 219a bestraft, weil sie | |
| Informationen zum Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung stellen. Im | |
| Frühjahr [1][wurde der Gynäkologe Detlef Merchel verurteilt], weil er auf | |
| seiner Webseite über den medikamentösen Abbruch informierte – und | |
| gleichzeitig dazu aufrief, zu prüfen, ob eine Austragung des Kindes | |
| wirklich keine Option sei. Die Ärztin Alicia Baier wurde angezeigt, weil | |
| sie die schwierige Gesetzeslage öffentlich kritisiert hatte. Das Verfahren | |
| wurde eingestellt. | |
| Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch, | |
| keine Frau will einen Schwangerschaftsabbruch. Aber: Genauso wie manche | |
| Männer sich nicht bereit fühlen für ein Kind, oder schlicht keines wollen, | |
| oder die Lebensumstände es nicht erlauben, geht es manchen Frauen. Das ist | |
| keine Frage des Geschlechts, sondern des Menschen. Man muss das nicht gut | |
| finden. Aber Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. | |
| [2][Verbote, Bestrafungen und Einschüchterungen ändern das nicht]. Das | |
| lässt sich in Ländern beobachten, wo strenge Gesetze gegen | |
| Schwangerschaftsabbrüche bestehen – die Zahl der Abtreibungen sinkt dort | |
| nicht, sondern Abbrüche werden schlicht illegal oder im Ausland | |
| durchgeführt. Das bedeutet einen starken Anstieg des Risikos der | |
| Betroffenen, an dem Eingriff zu erkranken oder sogar zu versterben. Wider | |
| aller Evidenz wird weiter mit Verboten hantiert. | |
| ## Längst nicht mehr rational | |
| Den Bereich der Rationalität hat die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche | |
| schon lange verlassen. Denn was denken sich [3][die Verfechter*innen | |
| von Paragraf 219a]? Dass Schwangere durch die Welt laufen, fröhlich | |
| pfeifend, an nichts denkend, und dann sehen sie eine „Werbung“ für | |
| Abtreibung und denken: Ach schau mal, ich habe heute noch nichts vor, und | |
| wenn mir das so freundlich angeboten wird, könnte ich das doch machen? | |
| Paragraf 219a degradiert Frauen zu leicht manipulierbaren, | |
| unselbstständigen Menschen, die keine rationalen Entscheidungen treffen | |
| können. | |
| Welche Regierungskoalition auch immer bald an die Macht kommt – es ist | |
| Zeit, diesen Paragrafen zu streichen. Ärzt*innen wollen nichts zum | |
| eigenen „Vermögensvorteil“ verkaufen. Niemand, wirklich niemand, würde auf | |
| die Idee kommen, „Werbung“ für Abtreibungen zu machen. | |
| 11 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gilda Sahebi | |
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