# taz.de -- Abtreibung aus Ärztesicht: Verweigern ist der Normalfall | |
> Was muss sich ändern, damit mehr Ärzt*innen bereit sind, Abbrüche | |
> vorzunehmen? Zwei Medizinerinnen erklären, wo es hakt. | |
Bild: Nicht nur die Frauen stoßen auf Hürden, sondern auch die Ärzt*innen | |
HANNOVER taz | Strafrecht. Das ist das erste, was die meisten | |
Medizinstudent*innen hören, wenn es im Studium um das Thema | |
Schwangerschaftsabbruch geht. Und das, sagt zumindest die junge Ärztin | |
Karla Winter, ist ein großer Teil des Problems. | |
Karla Winter ist nicht ihr richtiger Name, aber weil sie sich sonst zur | |
[1][Zielscheibe für Abtreibungsgegner*innen] macht, gibt sie | |
Interviews unter einem Pseudonym. Winter arbeitet unter anderem für Pro | |
Familia in Bremen und nimmt dort Abbrüche vor. Sie engagiert sich auch in | |
der Weiterbildung von niedergelassenen Gynäkolog*innen und | |
Hausärzt*innen. | |
Die 32-Jährige glaubt, dass die [2][Verankerung im Strafrecht] und das | |
verdruckste gesellschaftliche Klima die wesentlichen Gründe dafür sind, | |
dass es in vielen Regionen immer weniger Ärzt*innen gibt, die Abbrüche | |
anbieten. | |
„Für meine Generation ist das halt nicht mehr so sehr ein Politikum wie für | |
die Generationen vor uns, die sich viel mehr als Anwält*innen der Frauen | |
begriffen haben. Wir sind groß geworden mit der Erzählung: Hier gibt es | |
doch alles mögliche an Verhütungmethoden, da seid ihr auch in der Pflicht, | |
euch darum zu kümmern. Und wenn dann doch mal etwas schief geht – na ja, | |
dann bist du irgendwie selbst schuld.“ | |
Dass es den Abbruch für solche Fälle immer noch gebe, fänden die meisten | |
Mediziner*innen gut, glaubt Winter. Die wenigsten lehnten den Eingriff | |
kategorisch ab. Nur durchführen möchten sie ihn nicht. Auch ihr sei lange | |
nicht bewusst gewesen, dass es da einen Mangel geben könnte. [3][Doch der | |
zeichnet sich immer deutlicher ab]. Für die betroffenen Frauen bedeutet | |
das: längere Wege, höherer Aufwand und keine Chance mehr darauf, sich von | |
einem Arzt, einer Ärztin begleiten zu lassen, den, die man kennt und dem, | |
der man vertraut. | |
## Es fehlt an Leitlinien und Weiterbildungen | |
Dabei könnte es viel einfacher sein: Der medikamentöse Abbruch ist relativ | |
problemlos in jeder Praxis zu bewerkstelligen. Wer eine Zulassung für | |
ambulante Operationen hat, kann auch Saug-Kürettagen durchführen. Aber es | |
fehlt an Kenntnissen und Erfahrungen, sagt Helga Seyler, die sich | |
jahrzehntelang im Familienplanungszentrum in Hamburg für das Thema | |
engagiert hat. Das läge daran, dass es eben immer noch ein „Schmuddelthema“ | |
sei, mit dem man sich lieber nicht im Detail befasst. | |
Und gezwungen wird dazu ja keiner. Noch immer kämpft die pensionierte | |
Frauenärztin Seyler zusammen mit den „Doctors pro Choice“ darum, das Thema | |
in der fachärztlichen Fort- und Weiterbildung zu verankern. „Es gibt bisher | |
keine gesicherte Ausbildung für diesen Bereich und auch keine medizinischen | |
Leitlinien, aus denen hervorgeht, wie ein Abbruch fachgerecht durchgeführt | |
werden sollte.“ | |
Das wird sich allerdings ändern. Derzeit arbeitet die Gesellschaft für | |
Gynäkologie und Geburtshilfe an einer Leitlinie, wie sie der taz auf | |
Nachfrage bestätigte. | |
Die fehlenden Leitlinien macht Seyler dafür verantwortlich, dass immer noch | |
so unverhältnismäßig viele Ausschabungen durchgeführt würden, obwohl das | |
nicht das Mittel der Wahl sei. Es ist aber die Technik, die in der | |
Facharztausbildung ganz sicher gelehrt wird, weil sie auch nach | |
Fehlgeburten zum Einsatz kommt. | |
Bei den Fachgesellschaften hatte die Frauenärztin bisher auf Granit | |
gebissen. „Viele möchten das Problem oder die Notwendigkeit einfach gar | |
nicht sehen.“ Und argumentieren ansonsten gern mit der Freiwilligkeit. | |
Tatsächlich kann kein Arzt und keine Ärztin gezwungen werden, einen Abbruch | |
vorzunehmen – auch nicht zu Übungszwecken. Aber warum, fragt Seyler, | |
sollten die Betroffenen das nicht einfach erklären können – wie | |
Kriegsdienstverweigerer früher? Dann würden die sich eben aus | |
Gewissensgründen von diesem Teil der Weiterbildung befreien lassen. | |
Im Moment ist es umgekehrt, hat auch Karla Winter erfahren. „Das hat man | |
mir von Anfang an gesagt: Wenn du das jetzt machst, musst du dich andauernd | |
rechtfertigen. Dafür, dass man es nicht macht, muss man sich nie | |
rechtfertigen.“ | |
## Praxisinhaber haben Angst vor zu vielen Anfragen | |
Dabei, sagt ihre Kollegin Seyler, könne es doch eine zutiefst bedeutsame | |
und deshalb befriedigende Arbeit sein, Patientinnen in dieser | |
Krisensituation gut zu begleiten. Sie verstehe ja schon, dass es in | |
bestimmten Gegenden sicher schwierig sei, sich den Stempel | |
„Abtreibungspraxis“ einzuhandeln. Aber letztlich habe es jede*r | |
niedergelassene Mediziner*in in der Hand, wie viele Termine er oder sie | |
dafür vergibt. | |
Die Befürchtung mancher Kolleg*innen, mit Anfragen überrannt zu werden, | |
hält Seyler jedenfalls für übertrieben. Man könne die Leistung problemlos | |
auf die Patientinnen beschränken, die man sonst auch betreut, so wie es | |
jetzt eine Bremerhavener Praxis geplant hat. Das ist auch der Grund, warum | |
sich viele Praxen nicht auf die offizielle Liste eintragen lassen, auf der | |
Adressen aufgeführt sind, die Abbrüche vornehmen. | |
Auch Karla Winter hält solche Bedenken für vorgeschoben. „Dieses Argument, | |
aber dann kommen die Schwangeren ja nicht mehr zu mir, finde ich seltsam. | |
Zu uns kommen ja auch ganz viele Mütter, die eben kein weiteres Kind wollen | |
oder jetzt gerade keines. Die würden sich sicher gern immer von ihrer | |
Ärztin betreuen lassen.“ | |
Das Problem ist, dass die Praxisbetreiber*innen schon sehr gewillt | |
sein müssen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: mit der rechtlichen | |
Lage, der Methodik, der anderen Abrechnung, weil Abbrüche ja auch keine | |
Kassenleistung sind. | |
Die große Frage wird nun sein, wie lange sich der Konzentrationsprozess auf | |
immer weniger Großpraxen oder Fachkliniken noch fortsetzen muss, bevor sich | |
jemand bemüßigt fühlt, zu handeln. Karla Winter glaubt, dass es erst noch | |
sehr viel schlimmer werden muss, bevor es einen politischen Aufschrei geben | |
wird. | |
Helga Seyler ist da optimistischer: „Ich sehe viele junge, engagierte | |
Feministinnen, da bewegt sich schon etwas.“ Auch wenn man die gut | |
vernetzten Abtreibungsgegner*innen und ihre hartnäckigen Versuche, | |
auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, keinesfalls unterschätzen sollte. | |
27 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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