# taz.de -- Verkaufsverbot für Spätis: Sonntags kommt der Sheriff | |
> In Neukölln bleiben immer mehr Spätkaufs sonntags geschlossen. Sie | |
> fürchten die Bußgelder, seit sich ein Polizist die Umsetzung des | |
> Verkaufsverbots zum Ziel gesetzt hat. | |
Bild: Sonntags mit einem Bier in den Park? In Neukölln schwierig | |
„Heute geschlossen“ steht handgeschrieben an der Tür von „Kiosk 138“ i… | |
Karl-Marx-Straße. Ein paar Meter weiter, bei „Telewelt“, sind die Rollläd… | |
herunter gelassen, und auch der nächste Spätkauf hat heute zu. Es ist | |
Sonntagnachmittag in Neukölln, wer jetzt eine Flasche Wasser, ein Eis oder | |
ein Bier kaufen will, hat es schwer. Das sonntägliche Verkaufsverbot für | |
Spätis, im Rest der Stadt eines der Berliner Gesetze, deren Existenz von | |
Betroffenen und Ordnungshütern gleichermaßen ignoriert wird: Hier in | |
Nord-Neukölln ist es fast komplett umgesetzt. | |
Fast. Burhan Korkmaz, der eigentlich anders heißt, dreht den Schlüssel von | |
innen im Schloss und öffnet die Tür. Ja, auch er habe heute eigentlich | |
nicht geöffnet, sei nur zum Putzen hier, aber für Stammkunden mache er eine | |
Ausnahme. „Ich gucke, wer an der Tür steht, wenn ich ihn kenne, mache ich | |
vorsichtig auf – ich will auf keinen Fall erwischt werden“, sagt er. Wer | |
gegen das Verbot verstößt, muss zahlen, bis zu 2500 Euro Strafe. | |
## Bedrohung für die Existenz | |
Die Rechtslage ist kompliziert, aber eindeutig, spätestens seit einer | |
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts 2012: Läden, die auch unter der | |
Woche nur ein begrenztes Angebot haben – erlaubt sind Zeitschriften, | |
Blumen, Backwaren und Milchprodukte – dürfen am Sonntag bis 16 Uhr öffnen. | |
Wer „ausschließlich Touristenbedarf“ verkauft – Stadtpläne, Andenken, u… | |
Getränke oder belegte Brötchen, aber keine Tiefkühlpizza – darf von 13 bis | |
20 Uhr aufmachen. Die meisten Spätis mit ihrem Angebot von Klopapier bis | |
Wodka passen weder in die eine noch in die andere Kategorie. Anders als | |
Tankstellen und Zeitungskioske, für die eine Extra-Erlaubnis besteht, | |
müssen sie sonntags schließen. | |
Nur: In den meisten Bezirken wird das Verbot kaum kontrolliert und folglich | |
auch kaum umgesetzt. Kontrolliert also das Ordnungsamt hier in | |
Nord-Neukölln schärfer, ist das der Grund, warum seit einigen Monaten immer | |
mehr Spätis geschlossen bleiben? Nein, nicht das Ordnungsamt, winkt Korkmaz | |
ab. Das sei ein einziges Mal vorbeigekommen in den sechs Jahren, die er | |
seinen Spätkauf jetzt betreibt – und damals hätten sie ihm gesagt, er könne | |
ruhig bis 16 Uhr öffnen, weil er auch Zeitungen verkauft. Nein, das | |
Problem, sagt Korkmaz, habe einen anderen Namen: Robert Ruf, | |
Polizeioberkommissar im Abschnitt 54, Spitzname „Sherrif“. | |
„Vor drei Wochen war er hier und hat mich gewarnt: Wenn ich noch einmal | |
Sonntags öffne, muss ich zahlen“, sagt Korkmaz. Von anderen Späti-Besitzern | |
weiß er, dass Ruf diese Ankündigung ernst meint. Tatsächlich deckt sich das | |
Gebiet, in dem die Spätis mittlerweile Sonntags fast ausnahmslos | |
geschlossen haben, ziemlich genau mit dem Zuständigkeitsbereich des | |
Abschnitts 54 östlich der Karl-Marx-Straße. | |
Mit dem Tagesspiegel hat Ruf vor Kurzem geredet und von seiner Jagd auf die | |
Spätis erzählt: Vor einem guten Jahr habe er sich in diesem Thema | |
„festgebissen“, seitdem gehe er jedes Wochenende auf Kontrollgänge, zum | |
„selbsterlernten Spezialisten“ sei er geworden. Bei der Polizei kam das | |
offenbar nicht gut an: Herr Ruf stehe für Interviews nicht zur Verfügung, | |
heißt es aus der Pressestelle, hier sei etwas „schiefgelaufen“. „Das | |
Verkaufsverbot zu kontrollieren, ist Aufgabe des Ordnungsamts, nicht der | |
Polizei“, sagt ein Sprecher – dass Ruf das anders sieht, soll offenbar | |
nicht an die große Glocke gehängt werden. | |
„Der Sonntag ist für alle Spätis der wichtigste Verkaufstag“, sagt Korkma… | |
„am Sonntag habe ich das verdient, was am Monatsende übrig bleibt“. Die | |
Mieten in Neukölln steigen auch für Ladenbesitzer, reich wurde man mit | |
einem Spätkauf ohnehin nie. „Ohne den Sonntag ist meine Existenz bedroht“, | |
sagt er. | |
Gegen das Verbot regt sich Widerstand: Unter den Späti-Besitzern, die sich | |
per Telefonkette über Kontrollen informieren, und unter den Kunden. Eine | |
Petition gegen das Verbot haben binnen drei Monaten über 30.000 Menschen | |
unterzeichnet. Allerdings: Die Aussichten auf eine Gesetzesänderung sind | |
gering, Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) hat erklärt, an dem Verbot | |
festhalten zu wollen. Wer sich am Sonntag in Nord-Neukölln ein Bier kaufen | |
will, muss also suchen – oder Geduld haben: Um Mitternacht, wenn der | |
Sonntag offiziell zu Ende ist, machen die meisten Spätis wieder auf. | |
16 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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