# taz.de -- Einkaufen in Berlin: „Der Späti wird zur Ersatzkneipe“ | |
> Das Bier ist schön kalt, und man hat immer einen zum Quatschen: Autor | |
> Christian Klier hat 250 Berliner Spätkaufläden besucht und ein Buch | |
> darüber geschrieben. | |
Bild: Dieser Kioskbetreiber wartet in Athen auf Kundschaft. | |
taz: Herr Klier, Ihr Lieblings-Späti ist die „Eck-Oase“ in Neukölln. Wie | |
oft sind Sie da? | |
Christian Klier: Drei-, viermal in der Woche, meistens zum Feierabend, um | |
mir noch eine Kleinigkeit zu besorgen, die ich vergessen habe. Zahnpasta, | |
eine Tafel Schokolade, sonntagvormittags auch mal eine Packung Nudeln mit | |
Tomatensauce. Oder eben ein Bier – im Späti kommt das immer schon kalt aus | |
dem Kühlschrank. Und dazu quatsche ich dann noch ein wenig mit Hasan, dem | |
Betreiber. Während meiner Arbeit an dem Buch haben wir uns ziemlich gut | |
kennengelernt. | |
Wieso ausgerechnet dieser Späti? | |
Der ist einfach am nächsten. Rund um meine Wohnung sind zwar noch drei | |
andere, aber die sind sehr klein und nicht so interessant. Zur „Eck-Oase“ | |
gehört noch ein Nebenraum, in den man aber nur über den Späti kommt – eine | |
kleine Kneipe namens „Sultan“. | |
Nicht gerade der typische Spätkauf. | |
Stimmt, es gibt auch eine kleine Küche, in der Hasan für seine Gäste kocht, | |
eine Toilette und eine Dusche. Dort lässt er auch mal jemanden duschen, | |
wenn in dessen Wohnung das Warmwasser abgestellt wurde. Der Späti übernimmt | |
da manchmal auch die Rolle einer Sozialstation. Typisch ist aber das | |
Warenangebot und das, was die meisten kaufen: Alkohol und Zigaretten. | |
Klingt zwar naheliegend – aber wieso eigentlich? | |
Na, der Alkohol ist immer kalt, und Zigaretten kosten überall gleich viel. | |
Viele Kunden, die Sie für Ihr Buch fotografierten, haben tatsächlich Bier | |
in der Hand. Alles Feierabendbiere? | |
Der Hauptumsatz wird zwischen 20 Uhr abends und 2 Uhr morgens gemacht. Die | |
meisten machen ihr Bier direkt an der Kasse auf. Ein Engländer sagte mir, | |
das sei für ihn typisch deutsch: Bier sofort im Laden öffnen und trinken. | |
Aber alles andere ist doch teurer als etwa im Supermarkt. | |
Schon, aber der Späti wird für viele zur Ersatzkneipe, man verweilt dort, | |
quatscht sich fest, es gibt viel nachbarschaftliche Kommunikation. Ich | |
grüße jetzt dauernd Leute auf der Straße, die ich aus der „Eck-Oase“ ken… | |
Das hat man eben nicht, wenn man im Supermarkt einkauft. | |
Der Spätkauf ist ein Relikt aus der DDR. Was haben heutige Spätis noch mit | |
ihren Vorgängern zu tun? | |
Die von damals haben spätestens um 22 Uhr zugemacht und verkauften mitunter | |
auch Bückware, alles, was rar war, Magazine, Schallplatten, bestimmte | |
Lebensmittel. Ich habe in den sieben Monaten Recherche überall nach einem | |
der alten Läden gesucht, konnte aber keinen mehr finden. Die meisten der | |
250, die im Buch sind, gibt es seit sieben, acht Jahren. Die heutigen Läden | |
haben mehr von den früheren Tante-Emma-Läden, die aber auch schon um 18 Uhr | |
zumachten. Die Händlerstruktur war ja auch ganz anders. | |
Inwiefern? | |
Das waren vor allem ältere Damen. Spätis werden aber vor allem von Männern | |
betrieben. Nachts gibt es auch mal Überfälle oder Stress mit Kunden, darauf | |
haben viele Frauen keine Lust. | |
Unterscheiden sich die Spätis je nach Bezirk? | |
Absolut. In Mitte und Prenzlauer Berg sind sie eher schicker, haben oft | |
fast Café-Charakter, alles etwas langweilig. Die interessantesten | |
Geschäftsmodelle gibt es in Neukölln und in Wedding: Das sind dann | |
Kombinationen mit Baumarkt, Galerie oder Reisebüro. Und meistens stellte | |
ich fest, dass das mit den Biografien der Betreiber zu tun hat. | |
Laut Ihrer Statistik hatten 95 Prozent früher einen anderen Beruf. Ist der | |
Späti Berufung oder Notlösung? | |
Meistens eine Notlösung. Viele hatten gastronomische Interessen, sich dann | |
aber dagegen entschieden, ein Restaurant aufzumachen. Manche haben frisches | |
Obst und Gemüse, das finde ich super. Daran merkt man, dass die Betreiber | |
Lust haben, ihre eigenen Späti-Konzepte zu entwickeln, sie kümmern sich | |
meist sehr herzlich um ihre Kunden. | |
Was für ein Typ muss man sein, wenn man so einen 24-Stunden-Laden hat? | |
Man muss vor allem Lust haben, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen. Als | |
Betreiber von so einem Geschäft ist man nun mal das Herz und die Seele des | |
Ladens. Das Persönliche gibt den Spätis ja ihren Charme. Eine der | |
Betreiberinnen sagte auf die Frage, was denn das Besondere an ihrem Laden | |
sei: „Na, icke.“ Es gibt sogar einen in Wedding, der zu Weihnachten jedes | |
Jahr ein kleines Menü kocht für alle, die allein sind. Letztes Jahr gab’s | |
Gulasch, ich habe ihm sogar meinen großen Topf geliehen. | |
Jetzt steht der nächste Feiertag an. Angenommen, es ist Silvesterabend und | |
ich will noch ein Menü zaubern – was taugt aus dem typischen Späti-Angebot? | |
Man könnte etwa einen Kartoffeleintopf aus der Dose aufpimpen: Aus | |
Toastbrot, Trockenkräutern und Butter macht man Croutons, dazu gibt’s eine | |
Wursttrilogie aus Wiener Würstchen, gebratener Bifi und Frühstücksfleisch | |
aus dem Ofen. Ich habe das mit zwei Köchen aus Berliner Sternerestaurants | |
mal ausprobiert. Die wollten zuerst nicht glauben, dass das geht. Wir haben | |
dann aus Späti-Zutaten sogar ein 5-Gänge-Menü gekocht. | |
29 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
## TAGS | |
Einzelhandel | |
Polizei Berlin | |
Ladenschlussgesetz | |
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