# taz.de -- Verfahren gegen Neonazi eingestellt: „Judenpack“ gilt nicht als… | |
> Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft findet auch bei wiederholter | |
> Prüfung nichts Volksverhetzendes an den Ausfällen von Martin Kiese. | |
Bild: Per Handyvideo dokumentiert: Martin Kiese beim Volkstrauertag 2020 (laut … | |
„Judenpresse, Judenpack, Feuer und Benzin für euch“, rief Martin Kiese auf | |
einer von rechten Gruppen organisierten Veranstaltung am Volkstrauertag im | |
November 2020 in Braunschweig. Er ist [1][Mitglied von „Die Rechte“], einer | |
neonazistischen Partei. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig sieht darin | |
auch nach wiederholter Prüfung keine Volksverhetzung. | |
Kiese hatte seine antisemitischen Ausfälligkeiten gegenüber Journalisten | |
ausgesprochen, die den Auftritt der Rechtsextremen beobachteten. Ein kurzes | |
Video des Journalisten Moritz Siman dokumentiert die Szene. Die | |
Staatsanwaltschaft ermittelte „wegen Verdachts auf Volksverhetzung und | |
Beleidigung“, stellte das Verfahren aber ein. | |
Aufgrund mehrerer Beschwerden [2][hob die Generalstaatsanwaltschaft diese | |
Entscheidung auf]. Die Staatsanwaltschaft ermittelte erneut, kam aber zum | |
gleichen Ergebnis. | |
Eine dieser Beschwerden kam von dem Ehepaar Gottschalk, das in dem Ausruf | |
eine „öffentliche, antisemitische hetzerische Vernichtungsproklamation | |
gegen das Judentum, gegen jede einzelne jüdische Person unserer | |
Gesellschaft“ sieht. | |
Auch die Antisemitismusbeauftragte des Landesverbandes der israelitischen | |
Kultusgemeinden von Niedersachsen, Rebecca Seidler, sagte damals: Es sei | |
„nicht hinnehmbar, dass Rechtsextreme antisemitische Äußerungen tätigen | |
können [3][ohne Konsequenz]“. Der [4][Volkstrauertag] ist ein Gedenktag in | |
Deutschland. Er erinnert an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft | |
aller Nationen. | |
Anfang Februar teilte die Staatsanwaltschaft Braunschweig dem Ehepaar | |
Gottschalk mit, das Verfahren werde zum zweiten Mal eingestellt. Der | |
Tatbestand der [5][Volksverhetzung] nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuches | |
sei nicht erfüllt; es bestehe kein Tatverdacht. Die Äußerungen des | |
Beschuldigten seien klar gegen die vor Ort anwesenden Medienvertreter | |
gerichtet gewesen und nicht gegen die in Deutschland lebenden Juden. Zwar | |
habe er die Journalisten als „Judenpack“ bezeichnen wollen, nicht aber die | |
in Deutschland lebenden Juden als „Pack“. | |
Das sieht der Rechtsanwalt und Strafverteidiger Jacob Schwieger aus Hamburg | |
anders: Die Begründung, warum kein Tatverdacht vorliege, sei falsch. Es | |
stimme, dass Journalisten nicht als Volksgruppe nach dem Strafgesetzbuch | |
erfasst seien, Juden hingegen sehr wohl. „Diese Argumentation geht am Punkt | |
vorbei und verkennt das Angriffsobjekt“, sagt Schwieger. „Es sind nicht die | |
Journalisten, sondern die Juden.“ | |
Außerdem schreibt die Staatsanwaltschaft Braunschweig, dass Kiese sich | |
spontan geäußert habe. Auch dies ist für Schwieger kein Argument dafür, | |
dass es sich nicht um Volksverhetzung gehandelt haben sollte. „Spontaneität | |
schließt eine Strafbarkeit nicht aus, sondern betrifft höchstens die | |
Strafzumessung“, sagt der Anwalt. | |
Damit der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist, muss die Tätigkeit | |
geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies liegt laut der | |
Staatsanwaltschaft schon nicht vor, weil die Aussage nur gegenüber | |
Medienvertretern getroffen wurde: „Die Äußerungen des Beschuldigten waren | |
in der konkreten Situation nicht geeignet jemanden aufzuhetzen, da keine | |
Personen anwesend waren, die hätten aufgehetzt werden können“, | |
argumentieren die Staatsanwälte. Schwieger hat auch dazu eine klare | |
Meinung: „Der betroffene Teil muss davon nichts erfahren“, sagt er. In | |
Betracht kämen auch Äußerungen gegenüber Einzelpersonen. | |
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft konnte Kiese auch nicht damit rechnen, | |
dass seine Aussagen öffentlich würden, wie es durch das ins Internet | |
gestellte Handy-Video geschah. Schwieger hält das für abwegig. Schließlich | |
habe Kiese ja Journalisten beschimpft. | |
Das Ehepaar Gottschalk möchte in diesem Fall erstmal keine weiteren | |
rechtlichen Schritte einleiten. Allerdings hofft es, Aufmerksamkeit auf das | |
Thema zu lenken. Die „antisemtische Verseuchung“ der Gesellschaft müsse | |
gestoppt werden, sagt Joachim Gottschalk. | |
22 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kommunalwahl-in-Niedersachsen/!5800215 | |
[2] /Staatsanwaltschaft-muss-doch-ermitteln/!5766031 | |
[3] /Kampf-gegen-Antisemitismus/!5760805 | |
[4] /Der-Volkstrauertag-als-Buehne-fuer-Rechte/!5812436 | |
[5] /Volksverhetzung/!t5024468 | |
## AUTOREN | |
Nina Spannuth | |
## TAGS | |
Braunschweig | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Antisemitismus | |
Volksverhetzung | |
Strafverfolgung | |
Antisemitismus | |
Die Rechte | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Braunschweig | |
Antisemitismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anklage im dritten Anlauf: „Judenpack“ vielleicht doch Hetze | |
Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft klagt nun doch den Rechtsextremen | |
Martin Kiese an. Der habe Pressevertreter antisemitisch beleidigt. | |
Aufruf zu Kundgebung vor Synagoge: Antisemitische Hetze wird teuer | |
Wegen Beleidigung wurde ein Rechtsextremer in Braunschweig verurteilt. Er | |
hatte 2020 eine antisemitische Mahnwache vor der Synagoge angemeldet. | |
Kommunalwahl in Niedersachsen: Rechte Wahlpleite | |
Die AfD fällt bei der niedersächsischen Kommunalwahl weit hinter frühere | |
Ergebnisse zurück. Auch die NPD und die Rechte schneiden schlecht ab. | |
Staatsanwaltschaft muss doch ermitteln: Kein Freibrief für Volksverhetzer | |
„Judenpresse“ riefen im November in Braunschweig Rechtsextreme | |
Journalist*innen zu. Die Generalstaatsanwaltschaft fordert nun | |
Ermittlungen. | |
Kampf gegen Antisemitismus: Viele Worte, oft keine Taten | |
Wie wichtig es ist, Antisemitismus zu bekämpfen, betonen Niedersachsens | |
Minister gern. Im konkreten Fall fällt eine Strafverfolgung aber oft aus. |