# taz.de -- Verbotene Beschäftigung im Schlachthof: Illegaler Schnitt | |
> In Oldenburg stehen zwei Männer vor Gericht, die mit illegalen | |
> osteuropäischen Arbeitskräften Millionengewinne gemacht haben sollen. | |
Bild: Werksvertragler setzen das Messer an, die Vermittlungsfirma macht den Sch… | |
OLDENBURG taz | Tiere sind bekanntlich nicht die einzigen [1][Ausgebeuteten | |
in der Fleischindustrie]. Im Landgericht Oldenburg hat nun ein Prozess über | |
illegale Arbeitsverträge begonnen. Zwei Männer sind angeklagt, zwischen | |
2007 und 2010 ausländische Arbeitskräfte ohne Genehmigung beschäftigt und | |
dadurch Gewinne in Millionenhöhe erzielt zu haben. | |
Den 53- und 56-jährigen Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft | |
vorgeworfen, Arbeiter:innen in der Fleischverarbeitung illegal beschäftigt | |
zu haben. Es gab zwar Werkverträge, aber die Bulgar:innen seien stattdessen | |
wie reguläre Arbeitnehmer:innen behandelt worden. Damit sollen die | |
Angeklagten Frank D. und Johannes S. laut Anklageschrift Gewinne von | |
jeweils 4,7 Millionen Euro erzielt haben. | |
Sie sollen eine Art Vermittlungsfirma zwischen dem | |
Fleischverarbeitungsbetrieb Wiesenhof im niedersächsischen Lohne und | |
vermutlich mehreren bulgarischen Firmen betrieben haben.Wie in diesem | |
Bereich üblich, arbeiteten die bulgarischen Arbeiter:innen auf | |
Werkvertragsbasis. In diesem Fall vor allem beim Filetieren und Verpacken | |
von Fleisch. | |
Das Problem: Diese Werkverträge der Arbeitskräfte wurden laut Anklage | |
„nicht gelebt“. Das heißt, dass die Arbeiter*innen wie normale Angestellte | |
in den Betrieb von Wiesenhof eingegliedert waren. Sie seien | |
Vorarbeiter*innen unterstellt und im Stempel- und EDV-System von Wiesenhof | |
registriert gewesen. | |
## Stundenlohn: drei bis vier Euro | |
Eigentlich wären sie mit Werkverträgen aber nur den bulgarischen Firmen, | |
die sie beschäftigten, weisungsgebunden gewesen. Und statt wie bei | |
Werkverträgen üblich nach dem „Werk“ – in diesem Fall also nach Kilo – | |
bezahlt zu werden, sollen sie einen Stundensatz bekommen haben. Dieser sei | |
erst nachträglich in einen Kilopreis umgerechnet worden. Die im Prozess | |
geladenen Zeug:innen sprechen von Stundenlöhnen von drei bis vier Euro. Die | |
Staatsanwaltschaft Oldenburg geht davon aus, dass eine sogenannte | |
„Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis“ vorlag. | |
Die Firma, über die die beiden Angeklagten die Arbeitskräfte an Wiesenhof | |
vermittelten, beschäftigte offiziell selbst keine Angestellten. Sie soll | |
die Werkverträge stattdessen an die bulgarischen Firmen weitergegeben, die | |
Arbeitskräfte aber wiederum wie eigene Angestellte behandelt haben. Einer | |
der Angeklagten sei formeller Geschäftsführer, der andere faktischer | |
Geschäftsführer der Vermittlungsfirma gewesen. | |
Die beiden Angeklagten haben sich im Prozess bisher noch nicht geäußert. | |
Wenn die Werkverträge nicht als solche gelebt wurden, verstieße dies gegen | |
das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Als reguläre Arbeitnehmer:innen hätten | |
die Menschen aus Bulgarien zu dieser Zeit nämlich gar nicht in Deutschland | |
beschäftigt sein dürfen, weil die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren in | |
der EU erst später in Kraft getreten ist. Das Strafmaß pro Tat liegt bei | |
bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe. | |
## Einige Taten sind verjährt | |
Laut Anklageschrift wurden die Bulgar:innen in speziellen | |
Registrierungsbüros angeworben und mussten die Reisekosten nach Deutschland | |
selbst bezahlen. Zeug:innenaussagen bestätigen das. Vielen der Zeug:innen | |
fällt es schwer, sich an die genauen Arbeits- und Vertragsbedingungen von | |
damals zu erinnern. Fünf der sieben angeklagten Taten sind nach zehn Jahren | |
bereits verjährt. | |
Die Anklage lag bereits 2012 beim Landgericht Oldenburg vor, verhandelt | |
wird aber erst jetzt, mehr als sieben Jahre später. „Grund dafür ist die | |
Überlastung der Kammer“, sagt der Pressesprecher des Landgerichts Torben | |
Björn Tölle. Andere Haftsachen seien einem so komplexen | |
Wirtschaftsverfahren vorgezogen worden. In einem ganz ähnlichen Prozess | |
2017 wurden die beiden Angeklagten wegen Verjährung der Taten | |
freigesprochen ([2][die taz berichtete]). | |
Mit im Gerichtssaal sitzen auch Vertreter der „Oldenburger | |
Geflügelspezialitäten GmbH & Co. KG“, besser bekannt [3][unter ihrem | |
Markennamen Wiesenhof.] Sie fordern eine Einstellung des Verfahrens, unter | |
anderem mit dem Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat auf | |
die Frage, ob die Firma auch für bereits verjährte Fälle den unrechtmäßig | |
erzielten Gewinn abführen muss, noch keine Entscheidung getroffen. | |
Falls ja, müsste die Vermittlungsfirma der Angeklagten 3,6 Millionen Euro | |
zahlen. Momentan laufen Rechtsgespräche. Falls diese nicht zu einer | |
Einstellung des Verfahrens führen, werden weitere Zeug:innen vernommen. | |
17 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Teresa Wolny | |
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