# taz.de -- Gewerkschafter über Schlachthöfe: „Die Enge ist das Problem“ | |
> NGG-Geschäftsführer Mattias Brümmer findet, Schlachter sollten nicht nur | |
> alle zehn, sondern alle drei Tage auf das Corona-Virus getestet werden. | |
Bild: Abstandhalten schwierig: Schlachthof-Mitarbeiter am Fließband | |
taz: Herr Brümmer, in niedersächsischen Schlachthöfen sollen nur noch Leute | |
arbeiten dürfen, die sich alle zehn Tage auf das Coronavirus testen lassen. | |
Ist das sinnvoll? | |
Matthias Brümmer: Wir fordern schon lange, dass die Beschäftigten der | |
Fleischindustrie kontinuierlich getestet werden. Wir sind froh, dass das | |
jetzt durchgesetzt wird, finden aber nach wie vor, alle drei Tage wäre das | |
Richtige gewesen. | |
Ist die neue Regel ein Problem für kleine Schlachtbetriebe? | |
Man kann Ausnahmen machen, wo es kleine Betriebseinheiten gibt und es | |
garantiert ist, dass die Beschäftigten nicht in Massenunterkünften wohnen. | |
Was soll in einem Handwerksbetrieb mit 30 Beschäftigten groß passieren, | |
wenn das normale Beschäftigte sind, die im Inland leben und arbeiten? | |
Warum ist das Infektionsrisiko in den Schlachthöfen so groß? | |
Das liegt einmal an der Enge, in der die Arbeit stattfindet. Gleichzeitig | |
werden viele Beschäftigte zu prekären Löhnen im Rahmen von Werkverträgen | |
und Leiharbeit eingesetzt. Dadurch kann sich ein Infektionsrisiko anhäufen. | |
Inwiefern technische Voraussetzungen wie Klimaanlagen eine Rolle spielen, | |
entzieht sich unserer Kenntnis. | |
Müssten die Arbeitsbedingungen verändert werden? | |
Die Produktion muss heruntergefahren werden. Das müsste so aufgebaut | |
werden, dass Beschäftigte nicht mehr nur einen Schnitt machen am Fleisch, | |
sondern mindestens zwei und die Leute dadurch mehr Abstand zueinander | |
haben. | |
Wie muss man sich das vorstellen? | |
Manche Schlachtbänder sind, überspitzt gesagt, 50 Meter lang, und es stehen | |
60 Leute am Band. Da ist es fast nicht möglich, Abstand zu halten. Das muss | |
entzerrt werden. Wenn einer einen Schnitt setzt, indem er die Bauchdecke | |
öffnet, muss er noch einen zweiten machen, sodass er einen zusätzlichen | |
Arbeitsschritt bewältigt und derjenige, der neben ihm steht, anders | |
eingesetzt wird. Dafür müssten sich die Schichten ändern. Aufgrund der | |
Corona-Gesetzgebung wäre das im Moment möglich. | |
Es wird aber nicht getan. | |
Nein, es geht den Unternehmen darum, eine Masse durchzuschleusen, um die | |
Gewinne schön hoch zu halten. | |
Wäre die deutsche Fleischindustrie noch konkurrenzfähig, wenn sie sich an | |
Ihre Vorschläge hielte? | |
Wenn sie die Leute nach einigermaßen vernünftigen Bedingungen beschäftigen | |
– 15 Euro die Stunde, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, 30 Tage Urlaub, | |
35-Stunden-Woche, mit Sozialbeiträgen –, dann würde das Fleisch um 9 Cent | |
pro Kilo teurer für den Endverbraucher. | |
Aber Sie hätten überdies einen geringeren Output... | |
Die größeren Abstände sind nur während der Coronapandemie nötig. | |
Wo haben sich die Mitarbeiter tatsächlich angesteckt? | |
Wir gehen davon aus, dass der Arbeitsplatz aufgrund der Enge eine große | |
Rolle spielt. Dazu kommt, dass viele Werkvertragsbeschäftigte in | |
Massenunterkünften untergebracht sind. Wir haben nach wie vor Mietverträge | |
vorliegen, da wird eine Matratze vermietet in einem Mehrbettzimmer und | |
nicht eine eigene Wohnung für einen Beschäftigten mit seiner Familie. Auch | |
der Transport von und zu der Arbeit spielt eine große Rolle. | |
Ist denn absehbar, dass sich daran was ändert? | |
Absehbar ist, insbesondere nach dem Beschluss des Bundeskabinetts, dass | |
für bessere Unterkünfte gesorgt werden muss – neben dem Abschaffen der | |
Werkverträge. | |
Wenn die Werkverträge wegfallen: Was bringt das? | |
Die Beschäftigten an einem Schlachthof würden dann nicht mehr durch zwanzig | |
unterschiedliche Belegschaften repräsentiert werden, sondern durch die | |
Belegschaft des Schlachthofbetreibers. Damit müsste der | |
Schlachthofbetreiber die soziale wie auch finanzielle Verantwortung für die | |
Beschäftigten übernehmen, und die Betriebsräte vor Ort hätten im Rahmen | |
ihrer Mitbestimmung direkten Zugriff auf die Dinge, die auf die | |
Beschäftigten zukommen. | |
30 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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