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# taz.de -- Überwachung durch Verfassungsschutz: AfD lässt Publikum im Regen …
> Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster klagt die AfD gegen ihre
> Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall. Auch am zweiten Tag setzt
> sie auf Blockade.
Bild: Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster: Thilo Korte (l), Erster Direktor…
Münster taz | Am Ende hatten die AfD-Anwälte ihr Ziel erreicht, gut gelaunt
scherzte Michael Fengler von Höcker und Partner mit einer
Justizvollzugsbeamtin. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten diese schon
früher Feierabend gehabt. Die AfD-Seite habe ja ohnehin den Prozess
vertagen wollen. Kurz danach verschicken die beiden Bundesvorstände Roman
Reusch und Carsten Hütter eine Pressemitteilung, die sich liest, als hätten
sie gerade den Berufungsprozess gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz
gewonnen. Sie betonen: „Wir begrüßen, dass sich das Gericht mehr Zeit für
unsere Argumente nimmt.“ Der Verfassungsschutz agiere methodisch fragwürdig
bis unseriös. Dabei ist ein Urteil noch gar nicht gefallen – der Prozess
wurde lediglich vertagt.
Dass das Oberverwaltungsgericht Münster in zwei zähen Verhandlungstagen
nicht zu einem Schluss gekommen ist, lag an der Prozessstrategie der AfD.
210 Beweisanträge hatte der AfD-Anwalt Michael Fengler für den Mittwoch
angekündigt. Für den Vortrag brauche er 25 Stunden, sagte er am
Dienstagabend. Es war die Drohung, dass die Verzögerungstaktik der AfD auch
am Mittwoch weitergehen sollte. Und tatsächlich: Der AfD-Anwalt ließ bis
zur Mittagspause zahlreiche Fragen zu einer einzelnen Prozessnotiz zu den
Akten nehmen, die Fengler der Protokollantin mühsam in die Tastatur
diktierte. Auch der zweite Tag der Berufungsverhandlung im Foyer der
Oberverwaltungsgerichts Münsters begann damit zäh.
[1][Hier klagen die AfD und ihre Jugendorganisation JA] in dem Verfahren
gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz. Es geht unter anderem darum, ob
der Geheimdienst die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen
darf. Die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht Köln, hat das als zulässig
beurteilt.
In Münster wurde der Geduldsfaden des Gerichts im Laufe des zweiten
Verhandlungstages zunehmend kürzer. Bereits am Vortag hatte das Gericht
einen Befangenheitsantrag der Partei als „rechtsmissbräuchlich“
zurückgewiesen, auch Anträge auf Vertagung lehnte es ab. Der AfD gelang es
dennoch, das für zwei Tage angesetzte Verfahren in die Länge zu ziehen. Auf
die Spitze trieben die Anwälte diese Strategie mit teils fast wortgleichen
Beweisanträgen zur Herausgabe eines noch nicht fertiggestellten
Verfassungsschutzgutachtens oder auf Anhörung von Beamt*innen des
Verfassungsschutzes.
In dem Mammutprozess geht es auch um eine riesige Materialsammlung mit
gesammelten Äußerungen ranghoher AfD-Politiker*innen, die nicht nur aus
Sicht des Verfassungsschutzes im Widerspruch zum Grundgesetz stehen und
Prinzipien der Menschenwürde, des Rechtsstaats und der Demokratie
verletzen. Die Rede war von über 270 Akten und 15.000 Seiten. Nicht zuletzt
aufgrund der Fülle an Belegen rechnen die meisten Beobachter*innen
damit, dass auch das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung ablehnen
wird.
## Dem Richter wird es zu bunt
Das wäre auch eine mögliche Weichenstellung auf dem Weg zur Hochstufung der
Partei in die nächste Kategorie als „erwiesen rechtsextrem“ und zu einem
möglichen Parteiverbotsverfahren. Gut möglich, dass die AfD verhindern
will, dass eine Hochstufung noch vor der diesjährigen Europawahl oder den
Landtagswahlen im Osten geschieht, wo die Partei erstmals auf eine
Machtperspektive hofft – oder zumindest auf ein weiteres Bröckeln der
Brandmauer zur CDU, die mit einer Hochstufung wohl eher zusätzliche
Betonschichten bekäme.
Und so beantragte die AfD am Mittwoch zunächst einen wiederholten
Ausschluss des Publikums, weil man angeblich über sensibles Material
verhandeln wolle – obwohl weder Gericht noch Verfassungsschutz ein Problem
mit der Öffentlichkeit signalisierten. Zuschauer*innen mussten daraufhin
erneut im Nieselregen von Münster vor dem Gebäude warten – was wieder
ordentlich Zeit kostete. Später trug AfD-Anwalt Fengler weitere
Beweisanträge vor – mit monotoner Stimme zu ähnlichen Sachverhalten.
Formal ging es darum, etwa den Präsidenten des Bundesamts für
Verfassungsschutz als Zeugen zu hören. Die AfD wollte ihn und weitere
Beamt*innen zur „Staatsfreiheit“ befragen und wissen, ob das ihr im
Verfahren angelastete Material auch unter Mitwirkung von verdeckten
Informant*innen zustande gekommen ist. Ebenso suggerierten die
AfD-Anwälte, dass digitale Agent*innen sogar selbst mögliche Äußerungen
provoziert hätten.
Dabei war der Verfassungsschutz der AfD sogar in diesem Punkt bereits am
Vortag entgegengekommen und hatte blankgezogen: Das Bundesamt hatte
erklärt, dass nur zwei der mehreren tausend Belege auch unter Mitwirkung
von „menschlichen Quellen“ entstanden seien. Die Quellen hätten keinen
steuernden Einfluss auf die Partei. Für den Großteil der Belege gilt laut
Verfassungsschutz-Anwalt Wolfgang Roth: „Sie sind alle namentlich
gekennzeichnet.“ Die AfD wisse seit mehreren Jahren, von wem die
Erklärungen stammten. „Erst recht gilt das für öffentliche Reden, die nicht
von irgendwelchen Avataren gehalten wurden, sondern von
AfD-Mandatsträgern“, so Roth. Er warf der AfD auch am Mittwoch „Ablenkung�…
vom eigentlichen Sachverhalt vor.
Irgendwann wurde es auch dem Vorsitzenden Richter zu bunt, der die weiteren
Beweisanträge schließlich zu einem späteren Zeitpunkt verhandeln wollte.
Das wiederum rügte die AfD und beantragte wiederum 45 Minuten
Verhandlungspause, angeblich um spontan einen weiteren unaufschiebbaren
Antrag zu stellen. Der Richter gab ihr 30 Minuten, wonach die AfD erneut
einen Befangenheitsantrag gegen Richter Buck vorbrachte, den sie wiederum
20 Minuten lang diktierte.
## Gericht lehnt Befangenheitsantrag ab
Verfassungsschutz-Anwalt Roth brachte das Gefühl auch im Zuschauerraum auf
den Punkt und nannte das Vorgehen der AfD-Anwälte „Missbrauch prozessualer
Rechte“. Offensichtlich sei es nicht im Interesse der AfD gewesen, über die
nächsten Tagesordnungspunkte zu reden, in denen es auch um die
„Verunglimpfung der Demokratie“ und „Ausländerfeindlichkeit“ gehen sol…
Das Gericht lehnte den Befangenheitsantrag wie auch jene am Tag zuvor ab
als „rechtsmissbräuchlich“ ab.
Inhaltlich interessant wurde es erst am späten Nachmittag, als es um die
Belegsammlung des Verfassungsschutzes ging. Hier äußerte sich auch
Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch erstmals im Berufungsprozess und
offenbarte die Prozessstrategie der AfD zu den Rechtsextremismus-Vorwürfen
und der Belegsammlung des Verfassungsschutzes. Die lässt sich frei
zusammenfassen nach dem Motto: Ich kann kein Rassist sein, ich habe
ausländische Freunde. Roman Reusch benannte drei anwesende AfD-Mitglieder
mit Migrationshintergrund als Kronzeugen dafür, dass die Partei keinen
ethnisch-homogenen Volksbegriff habe und nicht rassistisch sei.
Es handelte sich um die Mitglieder des Vereins „Mit Migrationshintergrund
für Deutschland“, die der hessische AfD-Landesvorsitzende Robert Lambrou
maßgeblich vorangetrieben hat. Der Verein hat laut Bericht von [2][t-online
50 Mitglieder und sucht händeringend um Neu-Mitglieder]. Gründer Lambrou
wirbt dabei auch um Mitglieder ohne Migrationshintergrund.
Offenbar nicht sonderlich erfolgreich: Seit seiner Gründung hat der Verein
in den letzten 8 Monaten 14 Neumitglieder gewonnen. Damit dürfte er für die
AfD eine ähnliche Relevanz haben wie [3][Verein „Juden in der AfD“], die
nach ein wenig PR bei der Gründung politisch weitgehend bedeutungslos und
klein blieb. Das Gericht hörte alle drei Zeug*innen an, die dann
sinngemäß behaupteten, dass die AfD ein „safe space“ für sie sei und sie
dort niemand diskriminiere.
## Keine einfachen Leute in der AfD
Den Anwalt des Bundesamts für Verfassungsschutz Roth ließen die
Ausführungen unbeeindruckt: Die Ausführungen stünden nicht „pars pro toto�…
für die Gesamtpartei – im Gegenteil. Die AfD habe ein ethnisch-kulturelles
Volksverständnis, dass dem Grundgesetz zuwider laufe und werte pauschal
Bevölkerungsgruppen ab – auch Staatsangehörige mit Migrationshintergrund.
Als Belege führte er unzählige Aussagen vom „Großen Austausch“,
„Umvolkung“, „schleichenden Genozid am deutschen Volk“ und vom „Volks…
Reusch hielt dagegen, dass es nun einmal Leute in der Partei gäbe, die
„Blech redeten“. Das seien teilweise „einfache Leute, die einen einfachen
Bildungshintergrund haben und eben keine Staatsrechtler und Juristen sind“.
Die ließen eben mal am Computer mit Postings Dampf ab, so Reusch.
Der Anwalt des Verfassungsschutzes Roth antwortete: „Einfache Menschen
finden sie in den Belegen überhaupt nicht. Es sind Äußerungen hochrangiger
Funktionäre.“ So hätten alle ostdeutschen Landesvorsitzenden in der
sogenannten Dresdner Protestnote geschrieben, dass sie gegen die
„planmäßige Ersetzung der Deutschen durch Migranten protestieren“.
Oder Maximilian Krah: Der habe geäußert, dass man keinen „Meltingpot“ wol…
und dass es bei Einwanderung nur um Zerstörung der Kultur ginge. Das sei
ein durchgängiges Muster. Und Krah sei nicht irgendwer, sondern
AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl. Roth resümierte: Wenn hochrangige
Funktionäre so etwas äußerten, würden sie an der Macht versuchen, die
Gesetze anhand ihrer verfassungsfeindlichen Positionen auszurichten.
Was das Gericht von alledem hielt, blieb am Ende offen. Wann der Prozess
fortgesetzt wird, ist noch unklar.
13 Mar 2024
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
[2] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100355842/-…
[3] /Kolumne-Gott-und-die-Welt/!5529929
## AUTOREN
Gareth Joswig
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