Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tom Fords Film „Nocturnal Animals“: Die zwei Amerikas
> Kühle Gesellschaftssatire und gewalttätiger Thriller: „Nocturnal Animals�…
> erstellt daraus das Psychogramm eines Verlusts.
Bild: Mit „Nocturnal Animals“ zeigt Tom Ford, was für ein herausragender E…
Berlin taz | Obwohl es noch nie so viele Spoiler-Warnungen wie heute gab,
hat die Menge an wirklichen Schocks, die man im Kino der Gegenwart erleben
kann, doch deutlich nachgelassen. Keine „überraschende“ Plotwendung aus
„Rogue One“ oder selbst „Arrival“ kann es in dieser Hinsicht mit der
Eröffnungssequenz von Tom Fords „Nocturnal Animals“ aufnehmen.
Darin sieht man ein paar nackte Frauen, die ihre Körper rhythmisch
schwingen lassen. Was daran besonders schockierend sein soll? Nun, erstens
sind sie alt. Und zweitens sehr, sehr fett. Und drittens scheinen sie auch
noch Spaß daran zu haben.
Tom Ford lässt diese Bilder zuerst eine Weile auf den Zuschauer wirken,
bevor er sie in seine Filmerzählung „auflöst“: Die Frauen sind Teil einer
neuen Ausstellung in der Galerie der Los-Angeles-Kunsthändlerin Susan (Amy
Adams). Erst dann, als deutlich markierte „Kunst im Film“, lässt sich der
Schock der grotesken Frauen und ihrer schwingenden, faltigen Körpermassen
bewältigen.
Hässlichkeit als Provokation, Vulgarität als Infragestellen des
herkömmlichen Geschmacks – man kennt solche Spielchen. Und spätestens mit
der Popularität von Künstlern wie Jeff Koons und Damien Hirst ist dieses
Spiel mit Vulgarität und Hässlichkeit als Pose eines immer sinnentleerteren
Kunstbetriebs entlarvt.
Hirst und Koons tauchen mit ihren Werken dann auch im Film auf, der
zunächst auf eine Satire dieses hohlen Kunstbetriebs und seiner besonders
oberflächlichen Ausformung in den villenbebauten Hügeln von Los Angeles
hinauszulaufen scheint. Als eine Frau, die das Aufgeben ihrer eigenen
kreativen Ambitionen hat erstarren lassen, steht Amy Adams’ Susan mit
vorbildlich geföhntem roten Haar und erlesenen Kleidern im Zentrum der
Erzählung.
In ihren Kreisen nimmt man das Zerschlagen eines Smartphones mit dem
lässigen Hinweis auf das nächste Woche neu herauskommende Modell auf, und
Babykameras werden dafür gepriesen, dass sie einem die Komplettüberwachung
der Babysitter sichern. An einer Stelle stößt Susan zu einer Sitzung hinzu
und begrüßt eine der Anwesenden, deren aufgeplusterte Lippen einen Eingriff
zu verraten scheinen, mit einem beiläufig dahingesagten „neuer Doktor?“. �…
„Neuer Haarschnitt“, hallt es kurz angebunden zurück.
Spätestens da merkt man, wie der Schock der ersten Bilder noch nachwirkt:
Die Angst vor Alter und Vergänglichkeit, an die der Tanz der grotesken
Frauen rührte, die Angst, die Kontrolle über den Körper und seine
„maßvolle“ Form zu verlieren, schwebt wie die ständig diesige Großstadtl…
von L. A. über diesem Milieu.
Die Raffinesse von Fords Film, der auf dem 1993 erschienenen Roman „Tony
and Susan“ von Austin Wright beruht, besteht darin, dass seine Heldin Susan
sich äußerlich perfekt in diese Welt einfügt, aber deren Obsessionen nicht
teilt. Etwas anderes bereitet ihr Unruhe, und der Film offenbart die Gründe
dafür erst nach und nach.
Ein „Roman im Film“ mit zwei Amerikas
Zum einen ist da der lieblos gewordene Ehemann (Armie Hammer), der in
geschäftlichen Schwierigkeiten steckt und wahrscheinlich mit der Sekretärin
schläft, zum anderen hat sich ihr Exmann Edward (Jake Gyllenhaal) nach
langen Jahren wieder gemeldet. Damals, als sie noch verheiratet waren,
hatte er als Schriftsteller groß rauskommen wollen. Nun schickt er ihr ein
Manuskript, das demnächst veröffentlich wird und das ihr, Susan, gewidmet
ist.
In diesem „Roman im Film“ tritt Jake Gyllenhaal gewissermaßen als sein
eigener Buch-Held Tony auf. Aus der Welt der aufgeräumten, kühl-bourgeoisen
Satire auf das Kunstmilieu wechselt der Film von da an wieder und wieder in
den Modus eines schmutzigen, düsteren Outback-Horrorfilms: Romanfigur Tony
ist ein Universitätsprofessor, der mit Frau (Isla Fisher) und Tochter
(Ellie Bamber) nachts im Auto Texas durchquert und dabei mit drei
gewaltbereiten jungen Männern (Karl Glusman, Robert Aramayo, Aaron
Taylor-Johnson) in Konflikt gerät. Tonys taktisch-demütiges Verhalten geht
nach hinten los – er wird von Frau und Tochter getrennt.
Am nächsten Tag sucht er Hilfe beim nächsten örtlichen Sheriff (Michael
Shannon), der mit seiner habituellen, unkontrollierten Macho-Art für Tony
fast mehr Bedrohung als Erleichterung darstellt. „Was will Edward ihr mit
dieser Geschichte sagen?“, fragt sich Susan beim Lesen. Ihr – und des
Kinozuschauers – Verdacht ist, dass es auf Rache hinausläuft.
Es sind mithin zwei Amerikas, die Tom Ford in „Nocturnal Animals“
gegeneinander ausspielt. Nicht dass sie so einfach in Clinton- und
Trump-Amerika aufzuteilen wären, aber sowohl der Rahmenhandlung in Los
Angeles als auch der Romanhandlung in Texas kommt etwas Exemplarisches zu:
Hier die hochkultivierte Gesellschaft der Reichen und Schönen, die sich um
Kunst und Aussehen scheren und ihr Scheitern sorgfältig hinter
Hochglanzfassaden verbergen, dort das impulsiv handelnde Hinterland mit
seinen derangierten Kleinkriminellen, seiner offenen Fremdenfeindlichkeit
und seinem Hang zu Waffen und Gewalt.
Und dann findet Tom Ford auch hier ein Bild, das auf eigenartige Weise
Künstlichkeit mit Vulgarität paart: Aaron Taylor-Johnson als Outlaw und
Verbrecher, der seine Freiheit nackt vom Klosettsitz seines speziell auf
der Veranda vor dem Haus installierten WCs aus verteidigt. Es ist eine
Szene, die kaum weniger grotesk ist als die tanzenden alten Frauen.
Ästhetik ist nie Selbstzweck
Zu ästhetisch zu sein, zu viel Wert auf „schöne Bilder“ zu legen, solche
Vorwürfe ergehen über Tom Ford schon seit seinem Regiedebüt „A Single Man�…
von 2009. Das sagt sich leicht über einen Modemacher, der sich „anmaßt“,
ins Regiefach zu wechseln. Tatsächlich zeigt Ford mit „Nocturnal Animals“,
was für ein herausragender Erzähler er sein kann. Die Ästhetik seiner
Bilder, seien sie schön oder hässlich, ist nie Selbstzweck, sondern
arbeitet stets für die Geschichte, durch Suggestion, durch Provokation,
durch das Evozieren einer Stimmung.
Dass Susan anders als in der Romanvorlage im Film eine Kunsthändlerin ist,
die im Hochglanzmilieu von L. A. arbeitet, dient Ford, der auch selbst das
Drehbuch schrieb, nicht nur dazu, einen „schönen Rahmen“ für sein Drama zu
schaffen, er fügt dem Roman die beschriebene gesellschaftssatirische und
aktuelle Dimension hinzu. Und er macht Susan zu einer sehr viel
interessanteren Figur als die Hausfrau in Midlife-Crisis aus der Vorlage.
Was natürlich Amy Adams zugutekommt, die hier einmal jenseits des „Braves
Mädchen/gute Frau“-Rollenfachs mit düsterer Schärfe aufspielen darf.
Fords großes Erzähltalent zeigt sich am Ende gerade darin, dass er die
widersprüchlichen Seiten von Roman- und Rahmenhandlung nicht in eine
Erklärung oder gar Deutung auflöst. Die Bezüge, die er setzt, sind
atmosphärischer Natur. Susan sieht sich durch die Manuskriptlektüre dazu
veranlasst, an ihre Zeit mit Edward zu denken, daran, wie sie sich
kennengelernt haben, an die Heirat gegen den Widerstand ihrer Eltern (Laura
Linney hat als Susans Südstaaten-Mutter einen überwältigenden Auftritt) und
die unglückliche Trennung.
Die Gewalt, von der Edwards Roman handelt, erscheint als Echo jener Gewalt,
mit der sie ihn einst aus ihrem Leben entfernt hat. „Nocturnal Animals“
wird so zur Parabel, die von Reue, Rache und der Unwägbarkeit des Lebens
handelt, mit ätzender Kritik an der Leere des modernen Kunstmilieus, aber
auch voll melancholischer Nachsicht mit der Fehlbarkeit des Menschen.
22 Dec 2016
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Film
Drama
Ford
Amerika
Vergewaltigung
Weihnachten
Serien-Guide
Komödie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte um sexualisierte Gewalt im Film: Besser als Butter
In jedem achten Hollywoodfilm wird eine Frau vergewaltigt. So auch Maria
Schneider in Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“. Was tun?
Spannende Weihnachtszeit: „Ich liebe Menschen mit Fehlern“
Der Bremer Nils Willbrandt hat den TV-Thriller Der Thriller „Mörderisches
Tal -Pregau“ geschrieben und inszeniert, der in Österreich spielt
Weihnachten im Kino: Klimpert, ihr Schellen
Weihnachtslieder, Zombie-Elfen, Deko-Fabriken: Das Weihnachtsfilmfestival
im Kino Moviemento hat für jede Stimmung den richtigen Film.
Serienkolumne „Die Couchreporter“: Verteidigung des Spoilerns
Achtung! Im folgenden Text geht es nicht nur um Spoiler- und
Triggerwarnungen vor Online-Artikeln. Es wird auch gespoilert.
Buddy-Komödie im Kino: Er ist halt ein Knuddeltyp
Der Actionklamauk „Central Intelligence“ mit Dwayne Johnson und Kevin Hart
setzt auf klare Gegensätze und deren gelegentliche Verwirrung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.