| # taz.de -- Theateranalogien in der Debatte: Politik als Theater zu beschreiben… | |
| > Drama um Merz, Schmierenkomödie – wenn es in der Politik nicht läuft, | |
| > werden häufig Theateranalogien verwendet. Das kommt nicht von ungefähr. | |
| Bild: Politik bleibt Politik – Theater ist spannender | |
| Ein Freund schickte mir neulich eine entrüstete E-Mail. „In letzter Zeit | |
| reden Politiker*innen dauernd davon, dass Theater etwas Negatives | |
| ist“, schimpfte er. Immer wieder höre oder lese er Schlagwörter wie | |
| „Schmierenkomödie“, „Schluss mit dem Theater“, „unwürdiges Schauspi… | |
| als Theatermensch finde diesen Wortschatz ganz furchtbar. Ich als | |
| Schauspielerin sehe das genauso. Erst vergangene Woche konnte man überall | |
| vom [1][„Drama um die Kanzlerwahl“] lesen. | |
| Das Verächtlichmachen der Schauspielkunst ist keineswegs eine | |
| Modeerscheinung. Theatermenschen zählten nie zum ehrbaren Bürgertum. Lange | |
| Zeit durften verstorbene Schauspieler*innen noch nicht mal ordentlich | |
| beerdigt werden. Dieses schlechte Image hat sich in die Sprache geschlichen | |
| und im Denken verankert. Und gerade in der Politik haben Theateranalogien | |
| eine lange Tradition. | |
| Das kommt nicht von ungefähr. Politik findet in der Öffentlichkeit statt, | |
| vor Publikum. Sie lebt von Selbstdarstellung und Inszenierung. Im alten | |
| Griechenland wurden Volksversammlungen im Theater abgehalten. Das war die | |
| [2][Geburtsstunde der Demokratie]. Die antiken Philosophen beschäftigten | |
| sich bereits mit den Parallelen zwischen Theaterbühne und menschlicher | |
| Existenz, im Barock verstand man das weltliche Dasein als teatrum mundi, | |
| und Shakespeare ließ seinen Jacques in „As You Like It“ sagen: „All the | |
| world’s a stage, And all the men and women merely players.“ – „Die ganze | |
| Welt ist eine Bühne, und alle Männer und Frauen sind lediglich | |
| Schauspieler.“ | |
| Büchner, Hauptmann, Brecht, you name it. Politik und Theater, das ist – | |
| gerade in Deutschland – wie Marianne und Michael, Sandalen und | |
| Tennissocken, [3][Söder und Foodporn]: Es gehört zusammen. Nur logisch, | |
| dass Theaterbegriffe den Weg in unsere Alltagssprache gefunden haben, wenn | |
| wir seit jeher das Theater als Spiegel der Gesellschaft begreifen. | |
| Die meisten von uns benutzen sie ganz selbstverständlich. Dein Kind wirft | |
| sich im Supermarkt plärrend auf den Boden? „Mach nicht so ein Theater!“ | |
| Germany’s next wannabe Topmodel hat heute leider kein Foto bekommen? „Jetzt | |
| gibt’s wieder ein Drama!“ Du hörst Papas Haustürschlüssel im Schloss | |
| knirschen, während du bis zu den Ellenbogen in der verbotenen | |
| Süßigkeitenschublade steckst? Schnell „ab durch die Mitte“! Und was „hi… | |
| den Kulissen“ von Gerhard und So-yeon Schröders Insta-Account stattfindet, | |
| möchte man lieber gar nicht wissen. | |
| ## Auf den Kontext kommt es an | |
| Wir alle inszenieren uns mehr oder weniger, sobald wir uns unter Menschen | |
| begeben. Niemand benimmt sich am Sparkassenschalter genauso wie | |
| unbeobachtet im heimischen Bad beim Fußnägelschneiden. Zum Glück. | |
| Gesellschaftlich festgelegte Codes gewährleisten ein funktionierendes | |
| Miteinander. Erwartbares gibt uns Halt und stiftet ein Gefühl von | |
| Verlässlichkeit und Zugehörigkeit. Tritt jemand aus der ihm zugewiesenen | |
| Rolle heraus, entsteht Unbehagen. Komödien spielen oft mit diesen Brüchen, | |
| etwa „Der Menschenfeind“ von Molière. | |
| Doch was auf Bühne und Leinwand befreiendes Lachen auslöst, ruft im wahren | |
| Leben eher das Gegenteil hervor: Das Gleichgewicht gerät ins Wanken, | |
| Vertrauen bröckelt, ein Gefühl von Unsicherheit wächst. Das gilt in | |
| besonderem Maße für die Politik, deren Aufgabe es schließlich ist, unsere | |
| Gesellschaft am Laufen zu halten. Im Idealfall drängt sich uns als | |
| Bürger*innen die Inszenierung auf der politischen Bühne gar nicht als | |
| solche auf – wenn wir Politiker*innen als authentisch empfinden. | |
| Begriffe wie „Schmierentheater“, „Knallchargen“ oder „Farce“ häufe… | |
| stets in dem Moment, wo es unaufrichtig und undurchsichtig wird oder wo | |
| Tabus gebrochen werden. Diese Verunglimpfung, die mein Freund beklagt, gilt | |
| also im Grunde nicht dem Theater als solchem, sondern vielmehr der Art der | |
| Darbietung. Und nicht der Gebrauch dieser Wörter an sich macht uns | |
| ärgerlich, sondern der Kontext, in dem sie fallen. Niemand mag eine miese | |
| Inszenierung, auch nicht im Theater. Aber wenn korrupte Politiker | |
| vermeintlich gleichgestellt werden mit begabten Bühnenkünstlern, wird’s | |
| unverschämt. | |
| Wenn wir etwas als „ganz großes Kino!“ bezeichnen, meinen wir das durchweg | |
| als Lob. Vielleicht kommen wir ja irgendwann dahin, dass auch „Was für ein | |
| Theater!“ als Auszeichnung verstanden wird. | |
| 18 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karen Suender | |
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