# taz.de -- Politik für junge Menschen: Mehr Räume für Jugendliche! | |
> Junge Erwachsene sind heute unglücklicher, das zeigt eine neue Studie. | |
> Das ist auch politisch, auf Lösungen warten wir schon viel zu lange. | |
Bild: Ins Handy starren macht auch nicht glücklicher | |
Die Blüte des Lebens kommt erst im Herbst. Kurz vor dem Lebensende ist das | |
Leben am schönsten, also, sofern man alt genug wird, es zu erleben. Denn am | |
zufriedensten sollen die meisten Menschen mit ihrem Leben mit 70 Jahren | |
sein. Das ist ein Ergebnis einer großangelegten Studie zu Wohlergehen, der | |
[1][Global-Flourishing-Studie]. Vergangene Woche veröffentlichte das Team | |
um Tyler J. VanderWeele seine Zwischenergebnisse im Fachmagazin Nature | |
Mental Health. 200.000 Menschen aus 22 Ländern, darunter Deutschland, die | |
USA, China, Kenia und Indonesien, hatten Forschende seit 2022 zu ihrem | |
Wohlergehen befragt. Die Studie läuft noch bis 2027. | |
Gut zu wissen, dass es nur besser werden kann. Aber warum eigentlich | |
warten? Sollte nicht eigentlich auch die Jugend mit Wohlergehen erfüllt | |
sein? Sollte sie nicht eine Phase des Ausprobierens sein? Lange Zeit | |
konnten Wissenschaftler*innen beobachten, dass sich Wohlergehen im | |
Lauf der Jahre verändert wie ein freundliches Lächeln. | |
Das Glück verteilte sich U-förmig über das Leben, Menschen in jungem und im | |
höheren Alter blühten auf, während die dazwischen im Mid-Life-Dip im Bauch | |
des U festhingen. In den [2][vergangenen Jahren] und auch mit der neuen | |
Studie mehrt sich die Evidenz für einen anderen Verlauf in Deutschland und | |
anderen Ländern mit hohen Pro-Kopf-Einkommen. Nur noch der eine Mundwinkel | |
zeigt steil nach oben, nur die Zufriedenheit der Älteren ist geblieben – | |
bei den Jungen schwächt sich die Glückskurve ab. | |
Die Studie reiht sich ein in ein Bild, dass es jüngeren Menschen – zwischen | |
18 und 29 – heute wesentlich schlechter geht. Die Depressionsraten steigen | |
seit 2014 unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen; und das zeigt sich | |
nicht nur, weil die Krankheit inzwischen weniger stigmatisiert ist. | |
Expert*innen gehen auch davon aus, dass die psychische Belastung | |
zugenommen hat. | |
## Politik ignoriert Gefühltswelt junger Menschen | |
Nur politisch scheint diese Gefühlswelt nicht zu interessieren, es passiert | |
zu wenig. Zwar richtet sich, seit die AfD bei einigen Wahlen bei | |
Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders gut abgeschnitten hat, immer | |
wieder der Blick auf sie. „Are the kids all right?“, fragt sich so | |
manche*r. Deshalb sind auch die Erkenntnisse der Global-Flourishing-Studie | |
so frustrierend, weil auch diese wohl bis zur nächsten Wahl, | |
Kriminalstatistik oder Studie, in der die Jungen auffallen, wieder | |
ignoriert werden. | |
Die Ursachen klärt auch diese Studie nicht genau. Wie sehr hat Corona alles | |
verschlimmert? Liegt es – wie zuletzt diskutiert – an zu hoher | |
Bildschirmzeit und hohem Social-Media-Konsum? Daran, dass Junge etwa auf | |
Tiktok einige Konflikte, wie den Krieg in Gaza, näher und anders als der | |
Rest der Gesellschaft erleben? All das diskutieren Forschende, finale | |
Antworten haben sie nicht. Auch die aktuelle Studie kann nicht sagen, ob | |
nur diese Befragten betroffen sind oder ob sich dauerhaft etwas verschiebt. | |
Doch das ändert nichts daran, dass es politische Antworten auf diese | |
Probleme braucht. Bildungspolitische, sozialpolitische, medienpolitische | |
Antworten. Die Forderungen und die Klagen aus der Jugendarbeit sind seit | |
vielen Jahren unüberhörbar. In Kitas und Schulen sind Pädagog*innen an | |
der Belastungsgrenze. Sozialarbeiter*innen überlegen, ihren Job zu | |
schmeißen, oder haben es längst getan, weil sie zu wenig Gehalt bekommen | |
und Gelder fehlen, um wirklich Projekte zu gestalten. | |
Und auch ohne abschließend beurteilen zu können, inwieweit soziale Medien | |
Teil des Problems sind: Dass die Debatte so sehr um Handyverbote an Schulen | |
kreist, ist vielsagend. Wir sollten über mehr analoge Räume für Jugendliche | |
sprechen, in denen Kreativität möglich ist, soziale Kontakte entstehen, in | |
denen sie erkunden können, wofür sie brennen. Dann verläuft der linke Bogen | |
des U vielleicht auch wieder steiler. | |
10 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nature.com/articles/s44220-025-00423-5 | |
[2] https://www.nber.org/papers/w32337 | |
## AUTOREN | |
Adefunmi Olanigan | |
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