# taz.de -- Theater von Punk-Diva in Hamburg: Warten auf Gotod | |
> In „Rainer Gratzke oder Das rote Auto“ erzählt Jens Rachut im Malersaal | |
> vom letzten Patienten eines sterbenden Hospizes. Aber tot sind erst mal | |
> alle anderen. | |
Bild: Autor Jens Rachut steht als grunzender Pfleger selbst auf der Bühne | |
HAMBURG taz | Alles muss man selber machen. Nicht mal auf den Tod ist noch | |
Verlass. Und dass, obwohl man doch der allerletzte Patient im düsteren | |
Hospiz „Moospropfen“ ist, das selbst längst – das zumindest scheint | |
wirklich unausweichlich – dem Untergang qua Abrissbirne geweiht ist. | |
Nach einem Leben als Medizin- und Kosmetiktester bucht sich Rainer Gratzke, | |
zerfressen von Metastasen, in diesem von allen guten Geistern verlassenen | |
Bunker neben einem Verladebahnhof für das letzte Stündlein ein, das ihm nun | |
schlägt. Lebens-Endspiel. Endstation. Kein heldenhafter Kampf gegen den | |
Krebs, nur schnell noch ein paar heimliche Schnäpse und Fluppen und letzte | |
Worte zwischen all den Schmerztabletten. „Gibt Schlimmeres“, sagt der | |
Todgeweihte. „Aber auch Schöneres.“ | |
Aber der Tod lässt auf sich warten. Immerhin: In diesem „Endspiel“ gibt es, | |
anders als in Samuel Becketts gleichnamigen Klassiker des Absurden | |
Theaters, ein Fenster, durch das man nicht bloß in die leere Außenwelt | |
hinausschauen kann. Sondern sich auch in den Tod stürzen. | |
Denn am Ende dieses exakt einstündigen Theaterabends ist nur der eigentlich | |
doch Sterbende noch am Leben und muss die Sache selbst in die Hand nehmen. | |
Aus der Lebenszeit gefallen: 12 Minuten hat Gratzke da seine Besuchs- und | |
Sterbezeit schon überzogen. Gotod, könnte man in einer albernen Verdrehung | |
dieses anderen berühmten Beckett-Stück-Titels sagen, ist nur den anderen | |
begegnet. | |
## Beckett spukt herum | |
Beckett jedenfalls spukt immer wieder durch dieses skurrile Theater-Hospiz | |
im Malersaal des Schauspielhauses. Weil auch „Rainer Gratzke oder Das rote | |
Auto“ die Absurdität des Lebens und Sterbens in den Blick nimmt. Der | |
Mensch: ein schlechter Witz, an dem man sich nicht mal richtig totlachen | |
kann. Und das Hospiz: „Ein Paradies auf Bewährung, aber irgendetwas hat es | |
falsch gemacht.“ | |
Geschrieben hat das Stück Hamburgs Punk-Diva Jens Rachut, der auch Regie | |
führt und als wortlos grunzender Pfleger Bobby nebst Keule selbst auf der | |
Bühne steht. Lange schon tobt sich Rachut nicht nur in seinen Punk-Bands | |
(„Angeschissen“, „Blumen am Arsch der Hölle“, „Dackelblut“, „Oma… | |
aktuell „Ratttengold“ (ja, mit drei t)), sondern auch in Hörspielen und im | |
Theater aus. | |
Hier wie da: Statt Punk-Klischee skurrile kleine Alltagsbeobachtungen, | |
irgendwo zwischen bitterer Komik, Zweifeln und Verzweiflung. Rachuts | |
Themen, Geschichten und Charaktere wirken abstrus, surreal oder zumindest | |
kryptisch. Aber bei aller Komik, die man da entdecken mag, muss man das | |
alles zugleich auch wieder todernst nehmen. | |
## Schrullig wie das Leben | |
Und so spielt Josef Ostendorf den Gratzke überzeugend ambivalent mal als | |
ermatteten Sardoniker, mal als aufrührerischen Rebell gegen die Desolation | |
des Lebens. Gegenspielerin im Kampf um ein würdevolles Ende und die | |
Abwicklung des würdelosen Lebens ist die von Gala Winter todernst-komisch | |
gespielte resolut-morbide Krankenschwester Winter. | |
Überhaupt scheinen hier alle und alles miteinander zu ringen: Gratzke gegen | |
Tod und Winter, Winter gegen Pfleger Bobby, Bobby gegen Pegida vorm | |
Fenster, ein „Wandstrom-Kampfgeist“ gegen all die im Beton hausenden | |
Erinnerungen und Geheimnisse: In großen Projektionen auf den Wänden | |
zerstückelt Rachut als Wunderheiler im Wald seine Patient*innen oder rollen | |
Züge über den verschneiten Verladebahnhof. Jonas Landerschier spielt dazu | |
als blinder Musiker angemessen leise Klagendes. Und zwischendurch | |
verschwindet einer nach der anderen im rot glühenden Feuerschlund des | |
Krematoriums | |
Und wie immer bei Rachut fügt sich das alles mit einer ganz eigenen | |
Schrulligkeit zusammen, ohne in etwas aufzugehen, das noch eindeutig oder | |
sicher wäre – wie der Tod, oder? | |
21 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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