# taz.de -- Punk-Sänger Jens Rachut: „Ich bin da so reingerutscht“ | |
> Der Hamburger Punk-Musiker Jens Rachut schert sich wenig darum, was | |
> andere von ihm denken. Manche nennen das Integrität. | |
Bild: Hat früher gern Schach gespielt: Jens Rachut, legendärer Typ. | |
Jens Rachut ist eigentlich immer da gewesen. Seit ich mich erinnern kann | |
zumindest. Seine Band hieß damals Blumen am Arsch der Hölle. Das fanden wir | |
toll. Den Namen, aber auch die Band. Vorher gab es Angeschissen, danach | |
Dackelblut und Oma Hans. Nebenher rief er mit Brezel Göring von Stereo | |
Total das Kommando Sonne-nmilch ins Leben, und vor zwei Jahren gründete er | |
mit Frankie Stubbs von Leatherface die Band: NRFB. Ausgeschrieben heißt | |
das: Nuclear Raped Fuck Bomb – natürlich ein prima Name für eine Band. | |
Stubbs ist heute nicht mehr dabei. „Der ist einfach nicht wiedergekommen“, | |
erzählt Jens Rachut, der sich nicht nur die schönen Band-Namen ausdachte, | |
sondern auch die oft elliptischen Texte für deren Songs schrieb. Über | |
„heilbringenden Urin“, Terroristen und den Tag vor dem 11. September. | |
Grausiges wird zu schierer Poesie: „Die Boote platzen leise in der Nähe von | |
Murmansk.“ Ob das jemand versteht, ist Rachut egal. In einem seiner | |
seltenen Interviews sagte er mal: „Ich habe einfach keine Lust, mich | |
mitzuteilen.“ | |
Weswegen er eigentlich keine Interviews gibt. Aber da sitzen sie nun, | |
Rachut und seine Bandkollegen Thomas Wenzel und Mense Reents: | |
Interviewtage, „face to face“, wie man das im Musikgeschäft nennt, mit | |
Fototermin, rechtzeitig vor Erscheinen des neuen Albums. „Jetzt machen | |
wir’s mal so“, sagt Rachut. „Früher hab ich immer ein Interview pro Plat… | |
gegeben, es ist nicht so, dass wir das gar nicht gemacht haben. Aber jetzt | |
machen wir das wegen dem Label. Nicht weil ich jetzt so ’ne Rampensau wäre | |
und unbedingt in der Zeitung sein will.“ | |
„Trüffelbürste“ heißt das neue Album von NRFB. Es klingt anders. Thomas | |
Wenzel hat die Saiten seiner Gitarre abgeklebt, sodass das Instrument | |
manchmal nach einem Daumenklavier klingt. Es gibt akustische Gitarren zu | |
hören – den Punk-Rock hat Frankie Stubbs mitgenommen. Die Elektronik ist – | |
mit Mense Reents – geblieben. Auch noch in der Band sind Armin Nagel, der | |
schon bei Oma Hans dabei war, die Thalia-Theater-Schauspielerin Lisa | |
Hagmeister und Becci Ohms. | |
Ist das noch Punk? Das ist Rachut so egal wie das ganze Gerede, das fällig | |
wird, wenn es in der Presse um ihn geht. Punk? Was ist das überhaupt? Er | |
will Musik machen, zu seinen Bedingungen. Nur, davon zu leben ist | |
schwierig. Höchstens auf Tour kommt ein bisschen was rum. | |
So ist das leider oft mit Sachen, die nicht einfach nur ein Job sind: Man | |
macht sie eben trotzdem. Und wenn sie zu einem Job zu verkommen drohen, | |
muss schnell was anderes her. Noch weiter Kommando Sonne-nmilch zu machen, | |
findet Rachut zum Beispiel, sei langweilig, weshalb die Band dieses Jahr | |
noch ein paar Konzerte spielt, dann ist Schluss. | |
Marketing-Strategen würden sich die Haare raufen. Für Rachut sind andere | |
Dinge wichtiger. „Wir sind in der Lage, die Musik zu machen, auf die wir | |
Bock haben, ohne Rücksicht auf Verkaufszahlen. Ich will nur nicht, dass das | |
Label in den Miesen hängt. Aber ob ich nun Drei-, Vier- oder Fünftausend | |
verkaufe, ist mir wurst.“ | |
Dass Rachut bei seiner Musik keine Kompromisse macht, ist sicherlich ein | |
Grund für seinen Status. Und dass der ihm so egal ist, ein weiterer. Manche | |
nennen das Integrität. Das sind meistens die, die nicht drin stecken in der | |
Situation, in der andere integer bleiben. Integrität muss man sich schon | |
leisten können. | |
Vor dreizehn Jahren hat er angefangen, Theater zu spielen. „Ich bin da so | |
reingerutscht.“ Das Stück hieß „Die Palette“ und war Schorsch Kameruns | |
erste Regiearbeit am Hamburger Schauspielhaus. Rachut und Kamerun kannten | |
sich natürlich schon ewig. Ich konnte mir Rachut damals irgendwie nicht so | |
richtig im Stadttheater vorstellen. Auf der Bühne ergab das dennoch einen | |
Sinn. | |
„Theater ist anstrengend, weil die so viel labern“, sagt Rachut. „Beim | |
Musikmachen ist das viel einfacher. Da denkt jemand, da muss ’ne Trompete | |
rauf, fertig. Das probiert man einfach aus. Im Theater sitzen die rum und | |
labern stundenlang über einen Knopf. Das Proben selber, das Quatschmachen, | |
das Ausprobieren, das ist okay, aber sobald es ernst wird und so heilig, | |
dann ist das nicht so meins.“ | |
Aber es ist eben ein Job. „Die zahlen ziemlich gut teilweise. Da kriegst du | |
manchmal utopische Summen“, sagt Rachut. Thomas Wenzel, der selbst | |
gelegentlich Musik fürs Theater macht, ergänzt: „Deswegen machen das so | |
viele Leute. Das ist eine Nische, wo eben noch was weitergereicht wird.“ | |
Auch in die Sache mit den Hörspielen ist Rachut „so reingerutscht“. Jacques | |
Palminger, der früher bei Dackelblut Schlagzeug spielte, und Rocko Schamoni | |
hatten gerade eins verkauft. „Rocko sagte mir: Schick da doch mal was hin. | |
Dann hab ich denen den ,Seuchenprinz‘ geschickt, dafür gab’s Geld.“ | |
Ein Job. Einer mit dem man leben kann. Auch als Roadie war Rachut | |
unterwegs, mit den Goldenen Zitronen. Und irgendwann trafen wir uns auf | |
einer Sexmesse in Bremen, wo wir beide einen Job machten. Er, weil der | |
Veranstalter ein alter Bekannter aus Hamburg war. Ich, weil ein gemeinsamer | |
Freund mich gefragt hatte. | |
Zur Crew gehörten noch ein paar Typen aus der Hamburger Punk-Ursuppe. Das | |
war lange vor dem Theater. Aber im Grunde hat sich nicht so viel geändert. | |
„Man kann sich das ja nicht aussuchen. Da kommen ja nicht immer drei | |
Stadttheater und bieten einem etwas an. Wir hangeln uns von Job zu Job, wie | |
du wahrscheinlich auch. Manchmal ist es total super, manchmal ist es aber | |
auch wahnsinnig anstrengend, weil du wirklich nicht weißt, was im nächsten | |
halben Jahr kommt.“ | |
Eher als Scherz frage ich, ob er denn nicht auch mal ein Buch herausbringen | |
will. „Ja, ich bin dran, aber ich muss das noch verschieben. Ich will | |
versuchen, das im August, September fertig zu machen. Ich hab schon achtzig | |
Seiten.“ Memoiren? „Nein, bist du wahnsinnig? Das ist ein Roman. Ich muss | |
das jetzt nur noch so schreiben, dass man das versteht. Ich hab ja die | |
Stärke, mit großer Begeisterung unverständliche Sachen aufzuschreiben, wo | |
alle immer sagen: Das klingt gut, aber ich versteh das nicht.“ | |
Was dann kommt? „Geht halt weiter.“ Malen tut er auch noch, eine | |
Ausstellung soll es bald geben, mit „abstrakten Schachbrettern“. Die „hab… | |
nicht die richtige Anzahl der Felder, und sie sind nicht eckig. Ich hab | |
früher gern Schach gespielt und mich damit beschäftigt, als Bobby Fischer | |
noch gespielt hat. Ich hab sogar die Partien nachgespielt.“ | |
## NRFB: „Trüffelbürste“, ab 14. Juni (Staatsakt / Major Label) | |
10 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
## TAGS | |
Deutsches Schauspielhaus | |
Popmusik | |
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