# taz.de -- Theaterstück über das größte Organ: Die Haut als Grenze | |
> Fünf Performerinnen widmen der Haut einen ganzen Abend. In „Am Rand der | |
> Epidermis“ heben sie dafür die Grenze der Bühne auf. | |
Bild: Die äußerste Schicht: Theaterstück über die Haut | |
HAMBURG taz | Dermatologen, Psychosomatiker, Sonnenstudio-Betreiber, | |
Kulturwissenschaftler, Tätowierer und Kosmetiker: Sie alle beschäftigen | |
sich mit der Haut, behandeln, erforschen, bräunen, verletzen, verzieren | |
oder optimieren sie. Sie alle arbeiten am oder mit dem größten Organ des | |
Menschen und haben damit ein mehr oder weniger einträgliches | |
Betätigungsfeld gefunden. Inzwischen kann man auch eine Hand voll | |
Theatermacherinnen dazu zählen. Die Glitch AG, ein fünfköpfiges | |
Performance-Kollektiv, hat mit „Am Rand der Epidermis“ ein Stück über die | |
Haut erarbeitet. | |
Ausgangspunkt für das Stück ist der gleichnamige Text von Anna Hubner, der | |
2017 für den Retzhofer-Dramapreis nominiert wurde. Hubner ist Teil des | |
durchweg weiblichen Hamburger Kollektivs, die sich im Studiengang | |
„Performance Studies“ kennenlernten und sich 2016 zusammenschlossen. | |
Hubner ist Performerin, Autorin – und Biologin. Und wenn sie von ihrem | |
literarisch-künstlerischen Interesse am Thema Haut erzählt, sind die beiden | |
unterschiedlichen Wissenschaften gar nicht mehr so unvereinbar, wie es | |
zunächst scheint. | |
„Die Haut ist ein Thema, das in erster Linie sinnlich funktioniert, das | |
sofort spürbar wird in der Bewegung und im direkten Kontakt mit anderen | |
Menschen“, sagt Hubner. „Es hat – wenn man die biologische Ebene betracht… | |
– außerdem grafisch total viel Potenzial und genauso auf der Ebene des | |
Wortschatzes. | |
## Kollektive Recherche | |
Man kann Haut abkratzen, abreiben, eincremen. Man kann Falten glätten, | |
Unebenheiten bereinigen und Widerstände beseitigen. Biologie mit einer | |
ästhetischen Annäherung zu kombinieren: Das ist für mich immer ein | |
spannender Moment.“ | |
Nach vielen Probenwochen, einer Forschungsresidenz der Glitch AG an einem | |
kleinen Theater im tschechischen Olmütz und einer ersten Aufführung am | |
Lofft in Leipzig sieht sich Hubner mittlerweile eher als Impulsgeberin, | |
denn als Autorin. Schließlich habe man seit Monaten kollektiv und stetig zu | |
dem Thema weitergeforscht, habe Strukturproteine in Petrischalen wachsen | |
sehen, zum Prozess der Wundheilung recherchiert und unzählige | |
Hautgeschichten von fremden Menschen gesammelt. | |
In seiner Arbeit am Lichthof-Theater legt das Kollektiv den Fokus nun auf | |
die Haut als Grenze. „Als die erste wahrnehmbare Grenze, die wir alle | |
haben. Eine Grenze von unserem Inneren zum Äußeren“, erläutert die | |
Performerin Christine Kristmann. Schließlich schützt die Haut den Körper | |
vor Hitze, Licht und Verletzungen, vor schädlichen Umwelteinflüssen, vor | |
Nässe und Kälte und Sonnenstrahlen, vor Infektionen und Giftstoffen. | |
Sie reguliert die Körpertemperatur, kann Wasser und Fett speichern. Sie | |
bietet Schutz, ist aber gleichzeitig durchlässig. Die menschliche Haut ist | |
laut Kristmann als Rand zu verstehen, der heikel und empfindlich ist, aber | |
durchlässig bleibt für alle Verbindungen mit dem Außen. | |
## Zuschauer sind mittendrin | |
Um Grenzen – und deren Überschreiten – geht es also in der Theaterarbeit | |
„Am Rand der Epidermis“. Die fünf Performerinnen Raha Emami Khansari, | |
Eva-Maria Glitsch, Anna Hubner, Christine Kristmann und Anne Pretzsch | |
verknüpfen dazu Biologie mit Performance-Kunst und fragen, was die oberste | |
Hautschicht – die Epidermis – und äußerste physische Grenze des Menschen | |
über andere Grenzen im Leben erzählen kann. | |
Auch die räumliche Theatergrenze wird dafür aufgehoben: Die Zuschauer | |
befinden sich zum großen Teil mitten im Bühnengeschehen: auf Sitzinseln in | |
einer Art Hautraum. So werden sie eingebunden in eine Erfahrung von Innen | |
und Außen, werden Teil eines durchlässigen Theaterraums. | |
Die Performerinnen verweben Tanz, Performance, Musik und Projektionen mit | |
ihren Forschungsergebnissen und laden das Publikum ein, an diesem Abend | |
durch die verschiedenen Schichten und Assoziationsräume von Haut zu | |
wandern. Biologisches Fachwissen wird in Wort- und Klangmaterial | |
transformiert, da werden Wunden gezeigt, Narben zelebriert, Gesichter zum | |
Erröten gebracht, Grenzen verletzt und wieder neu definiert. | |
Und aus all diesen Gedanken, Recherchen und Assoziationen entsteht ein | |
Theaterabend, der im besten Fall unter die Haut geht. | |
Performance „Am Rand der Epidermis“: Samstag, 20.15 Uhr, Sonntag, 12 Uhr, | |
Lichthof-Theater, Hamburg | |
16 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
## TAGS | |
Haut | |
Theater | |
Performance | |
Hamburg | |
Thalia-Theater | |
Deutsches Schauspielhaus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hanadi Chawaf über feministische Tattoos: „Es kommt darauf an, wie ich zeich… | |
Zum Frauentag veranstaltet Hanadi Chawaf in der Kampnagel-Fabrik Hamburgs | |
erste feministisch-antirassistische Tattoo-Convention. | |
Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow: „Als Kinder zeichneten wir Comics“ | |
Rock, Pop, Pubertät: Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow spricht über sein | |
Buch „Aus dem Dachsbau“, das Surreale und die wahre Freundschaft. | |
Theaterstück „Vor dem Fest“ in Hamburg: Abgesang auf das analoge Leben | |
Regisseurin Charlotte Sprenger bastelt am Thalia Theater aus dem Roman „Vor | |
dem Fest“ des in Hamburg lebenden Autors Saša Stanišić etwas Mächenhaftes. | |
Theater von Punk-Diva in Hamburg: Warten auf Gotod | |
In „Rainer Gratzke oder Das rote Auto“ erzählt Jens Rachut im Malersaal vom | |
letzten Patienten eines sterbenden Hospizes. Aber tot sind erst mal alle | |
anderen. |