Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Terrorprozess in München: Die Heilpraktikerin mit der Bombe
> In München steht eine Angehörige des „III. Weg“ vor Gericht. Sie soll
> Patronenhülsen verschickt und einen Brandanschlag geplant haben.
Bild: Die Angeglagte Susanne G. wird am Donnerstagmorgen in den in den Sitzungs…
München taz | Es gehört zu den Gepflogenheiten in einem deutschen
Gerichtssaal, dass man aufsteht, wenn die Richter den Saal betreten. Eine
Geste, die den Respekt vor der Justiz zum Ausdruck bringt. An diesem
Donnerstagmorgen sitzen im Hochsicherheitsgerichtssaal in der
Justizvollzugsanstalt Stadelheim jedoch vier Zuschauer, deren Respekt
offensichtlich jemandem anders gilt. Sie erheben sich, als die Angeklagte
den Saal betritt.
Einer der Männer ist Klaus Armstroff, „Elektriker, Politiker und Neonazi“,
wie es bei Wikipedia heißt. Armstroff ist Gründer und Chef der
[1][rechtsextremistischen Partei Der III. Weg]. Zum Auftakt des Prozesses
gegen Susanne G. hat er noch drei adrett gescheitelte Kameraden mit nach
München gebracht.
So sehr die vier dem Klischee entsprechen, so wenig tut dies Susanne G.
selbst, die Angeklagte. Das leicht angegraute Haar der 55-jährigen
Heilpraktikerin fällt auf ein blaues Strickjäckchen. G. ist klein und
zierlich. Wenn ihr die Anwälte ein Dokument reichen, setzt sie sich eine
Lesebrille auf.
Und doch ist es dieselbe Frau, von der die „Süddeutsche Zeitung“ zu
berichten weiß, dass sie auf der Brust das Wort „Staatsfeind“ tätowiert
hat, über deren Bett eine Hakenkreuzfahne gehangen haben soll, die auf dem
Smartphone das Video des [2][Christchurch-Attentäters] heruntergeladen und
regelmäßig an Wehrsportübungen teilgenommen haben soll. Und vor allem: Es
ist die Frau, die nun hier sitzt, weil sie einen Terroranschlag geplant
haben soll.
## Bombenbau nach Lehrbuch
Im Januar hat die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen im Herbst an
sich gezogen hatte, Anklage gegen die Frau aus Mittelfranken erhoben. Der
Hauptvorwurf: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Spätestens ab Ende Mai 2020, so die Anklage, habe die Rechtsextremistin
mindestens einen Brandanschlag vorbereitet. Im Visier hatte sie dabei
offenbar Kommunalpolitiker, Muslime, aber auch Polizisten.
Die Frau soll sich im Internet mit „Literatur zum Umgang mit Sprengstoffen
und unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ versorgt und schon
einige Materialien für den Bau von Brandsätzen gekauft haben.
Als sie am Nachmittag des 7. September 2020 vor einem Hotel in Fürth
festgenommen wurde, fand man in ihrem Auto, einem Jeep, hinter dem
Beifahrersitz einen Zehn-Liter-Kanister mit Benzin, Zündschnüre,
Gaskartuschen, ein Propan/Butan-Gasgemisch, Feuerwerkskörper, ein
Metallrohr und weitere Utensilien. Was sie mit alldem zu tun hätte, entnahm
sie offensichtlich dem Buch „Die Autobombe: Kenne Deinen Gegner“. Auch ein
„Lehrbuch für Profikiller“ fand die Polizei im Besitz der Frau.
Einige ihrer potentiellen Opfer soll sie zu dem Zeitpunkt bereits
ausspioniert haben. Vor allem Wohnungen und Privatautos von Polizisten und
einem Politiker soll sie ausgekundschaftet haben. Auch über die genauen
muslimischen Gebetszeiten im Großraum Nürnberg soll sie sich kundig gemacht
haben.
„Das ist keine Einzeltätergeschichte“
Auf die Spur der Heilpraktikerin waren die Ermittler schon im Frühjahr
vergangenen Jahres gekommen – wegen insgesamt sechs Drohschreiben, die sie
zwischen Dezember 2019 und März 2020 an den Landrat des Landkreises
Nürnberger Land, den Bürgermeister von Schnaittach, einen Moscheeverein und
eine Flüchtlingsinitiative geschickt haben soll. Die Schreiben kamen als
Grußkarten getarnt, enthielten allerdings gefährliche Drohungen, die G.
offenbar mit einer Schablone auf die Karten geschrieben hatte. „Ihr werdet
niemals sicher sein“, stand da beispielsweise.
Der Landrat, der sich in der Flüchtlingshilfe engagiert und auch
Vorsitzender des Trägervereins eines jüdischen Museums ist, erhielt eine
Karte mit einer fingierten Todesanzeige. Eingetragen waren der Name des
Politikers und eine mit Fragezeichen versehene Altersangabe.
Außerdem der Vermerk: „Juden- und Ausländerfreund, erschossen auf der
Terrasse“ – eine offensichtliche Anspielung auf den Mord an dem
[3][Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke], der im Sommer 2019 auf
seiner Terrasse erschossen wurde. Fünf der sechs Schreiben war je eine
scharfe Pistolenpatrone beigelegt. Nach einem dummen Streich sah das Ganze
demnach nicht aus.
Im Hause des Freien-Wähler-Politikers klingelte wenige Tage später zudem
das Telefon. Eine Frau sagte zur Mutter des Landrats, die sie
offensichtlich mit seiner Ehefrau verwechselt hatte: „Britta, wir kriegen
deinen Mann.“
## Nach der ersten Hausdurchsuchung wollte G. loslegen
Offenbar gelang es den Fahndern, die Verkaufsstelle der verwendeten
Grußkarten zu ermitteln und dann sogar die Käuferin ausfindig zu machen. Im
Frühjahr 2020 kam es dann zu einer ersten Hausdurchsuchung. Der Verdacht,
dass Susanne G. hinter den Drohbriefen stand, bestätigte sich zwar, die
Frau blieb aber auf freiem Fuß – und fasste nach Ansicht der
Bundesanwaltschaft in der Folge den Entschluss, nun wirklich zuzuschlagen.
Im August schließlich tauchte sie unter und wurde zur Fahndung
ausgeschrieben.
Die Auswirkungen der Drohungen auf die Familie des Landrats seien
„katastrophal“ gewesen, erzählt Rechtsanwalt Harald Straßner am Donnerstag
am Rande des Prozesses. Der Landrat tritt wie auch der bedrohte
Bürgermeister in dem Verfahren als Nebenkläger auf, Straßner vertritt ihn.
„Sie öffnen immer noch mit Argwohn den Briefkasten.“
Und obwohl sich die mutmaßliche Täterin aktuell im Gefängnis befindet,
sitzt die Angst tief. Hinter Susanne G. stehe schließlich eine aktive
Szene. „Man kann nicht ausschließen, dass es welche gibt, die sich da
dranhängen.“ Und auch wenn die Angeklagte die Taten vielleicht alleine
geplant habe: „Das ist keine Einzeltätergeschichte.“
Dass Susanne G., die mit ihrem Mann weitgehend unauffällig in einer
Doppelhaushälfte in einer kleinen mittelfränkischen Gemeinde wohnte, in der
rechtsextremen Szene unterwegs und gut vernetzt war, steht indes außer
Zweifel. Von einer „von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
geprägten Grundhaltung“ spricht die Bundesanwaltschaft.
## Bekannte rechte Szeneanwälte vertreten die Angeklagte
Die Frau soll Armstroffs III. Weg angehören. Die winzige Partei gilt als
Auffangbecken für Angehörige der Neonazi-Szene, denen die NPD – O-Ton
Spiegel – „zu lasch“ ist. Dass sie sich 2014 als Partei organisiert hat,
dürfte weniger an parlamentarischen Ambitionen liegen als vielmehr an dem
Wunsch, auf diese Weise ein Verbotsverfahren zu erschweren. „[4][Der III.
Weg agitiert] antisemitisch, ausländerfeindlich und revisionistisch“,
urteilt auch der Verfassungsschutz.
Laut Spiegel soll Susanne G. auch Kontakt zu den verurteilten
NSU-Unterstützern Ralf Wohlleben und André E. gehabt haben. Als diese in
Untersuchungshaft saßen, habe sie regen Briefverkehr mit ihnen gepflegt.
Nach der Haft soll sie sich mehrfach mit den beiden getroffen haben. Dass
sie nun von den Szeneanwälten Nicole Schneiders und Wolfram Nahrath
vertreten wird, dürfte daher kein Zufall sein. Die beiden haben im
[5][NSU-Verfahren] Ralf Wohlleben verteidigt.
Am Ende des ersten Verhandlungstages – der Gerichtssaal beginnt sich schon
zu leeren, gleich wird ein Justizbeamter ihr die Handschellen anlegen –
stellt sich Susanne G. noch einmal aufrecht hin und wendet sich in Richtung
Zuschauerraum. Dort stehen noch ihre vier Kameraden und erwidern die Geste.
Fast eine Minute blicken sie sich stumm an. Kurz darauf wird Susanne G.
abgeführt.
Mit einem Urteil wird frühestens im August gerechnet.
29 Apr 2021
## LINKS
[1] /Neonazis-mobilisieren-fuer-Aufmarsch/!5768818
[2] /Spuren-des-Christchurch-Attentaeters/!5709024
[3] /Urteil-zum-Mord-an-CDU-Politiker/!5748885
[4] /Nazis-nutzen-Coronakrise/!5678947
[5] /Analyse-der-NSU-Urteilsgruende/!5678676
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Der III. Weg
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Neonazis
München
Terror
OLG München
Heilpraktiker
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Walter Lübcke
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Neonazis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommunalpolitiker:innen im Visier: Hass im Lokalen
Immer mehr politisch Engagierte werden bedroht, Angriffe nehmen zu. Schuld
sind auch Coronapöbler, aber der Hass reicht weiter zurück.
Neonazis und organisierte Kriminalität: Drogen, Nazis, ein Bordell
Sie nennen sich Turonen. Jahrelang blieben sie ungestört. Jetzt sitzen acht
in Haft. Die Vorwürfe gegen die Truppe: Drogenhandel und Geldwäsche.
Analyse der NSU-Urteilsgründe: Die Schuld der Beate Zschäpe
Auf 3.025 Seiten Urteilsbegründung wird Zschäpes Handeln im NSU
untermauert. Der treueste Helfer des Trios wird allerdings entlastet.
Nazis nutzen Coronakrise: Solidarität mit Grenzen
Rechte instrumentalisieren die Krise als Moment der
Nachbarschaftssolidarität. Geholfen wird aber nur denen, die vermeintlich
zum „Volk“ gehören.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.