# taz.de -- Taliban und USA vergessen die Frauen: Hölle statt halber Himmel | |
> Einst dienten sie als Rechtfertigung der Intervention, jetzt werden die | |
> afghanischen Frauen von den USA verraten. | |
Bild: Stärkung der Frauenrechte nicht vorgesehen: Internationaler Frauentag in… | |
Das zwischen den USA und den afghanischen Taliban am 29. Februar in Katar | |
unterzeichnete Abkommen („Agreement for Bringing Peace to Afghanistan“) | |
wird dem Land am Hindukusch [1][keinen Frieden] bringen. Es ebnet nur dem | |
Rückzug der US- und Nato-Truppen den Weg, lässt sie notdürftig das Gesicht | |
wahren und stärkt Donald Trumps [2][selbsterfundenes Image als Dealmaker] | |
und damit seine Chancen zur Wiederwahl – wenn er diese nicht gerade in der | |
Coronakrise verspielt. | |
Für den Truppenabzug bekommt Washington die vage Zusage der Taliban, dafür | |
sorgen zu wollen, dass von Afghanistan keine Bedrohung durch Terroristen | |
wie von al-Qaida für die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten mehr | |
ausgeht. Ob das Abkommen zu mehr führt als dem bereits begonnenen | |
US-Truppenabzug, liegt derzeit mehr am zerstrittenen und deshalb kaum | |
handlungsfähigen Regierungslager in Kabul als an den Taliban selbst. | |
Der von den USA versprochene Abzug liefert Afghanistan den Taliban aus und | |
drängt die fortschrittlichen Kräfte weiter in die Defensive. Zu den | |
unübersehbaren Schwächen des Abkommens gehört dabei, dass an ihm keine | |
Vertreter der afghanischen Regierung sowie der afghanischen Frauen | |
beteiligt waren. | |
Es waren überhaupt keine Frauen beteiligt. Das ist bei den Taliban nicht | |
weiter verwunderlich, doch scheint auch Washington noch nicht gemerkt zu | |
haben, dass wir im Jahr 2020 leben und Frauen nicht nur in einer | |
Demokratie, sondern längst auch in der Diplomatie, beim Militär und den | |
strategischen Instituten dazugehören. An dieser Ignoranz scheinen selbst | |
frühere US-Außenministerinnen wie Madeleine Albright und Hillary Clinton | |
nichts geändert zu haben. | |
Doch kann das Fehlen weiblicher Vertreterinnen nicht wirklich überraschen. | |
Denn von Beginn der Intervention Ende 2001 an herrschte stets der Eindruck, | |
dass die damit postulierte Befreiung der afghanischen Frauen von der sie | |
verachtenden Politik der Taliban immer nur als propagandistische | |
Rechtfertigung für den Militäreinsatz herhalten musste, aber letztlich nie | |
wirklich eine zentrale Rolle gespielt hat. Daran änderte auch die | |
plötzliche Entdeckung der Afghaninnen durch die damalige | |
US-Präsidentengattin Laura Bush nichts, ebenso wenig wie die Tatsache, | |
dass der US-Unterhändler Khalil Khalilzad mit einer bekannten Feministin | |
liiert ist oder dass sich auch die Frau des heutigen afghanischen | |
Präsidenten Ashraf Ghani schon mehrfach deutlich öffentlich im Sinne | |
afghanischer Frauen geäußert hat. | |
Stets haben USA und Nato am Hindukusch mit Warlords zusammengearbeitet, sie | |
finanziert, mit Waffen beliefert und letztlich immer wieder vor | |
juristischer Verfolgung bewahrt. Damit haben sie erklärte Kriegsverbrecher | |
und Islamisten auf Kosten der Frauenrechte gestärkt. Zwar sind diese | |
Warlords Rivalen der Taliban, haben aber quasi dieselben frauenverachtenden | |
Einstellungen und Praktiken wie diese. | |
Dabei hat es seit 2001 immer wieder Versuche gegeben, die Rechte | |
afghanischer Frauen zu stärken, die auch in der Verfassung verankert | |
wurden. Dort stehen sie aber parallel zu einem Bekenntnis zur dort nicht | |
näher definierten Scharia, mit der Islamisten ihre eigene Politik | |
rechtfertigen. Ein Fortschritt war zweifellos die Wiederzulassung von | |
Mädchen und Frauen zum Unterricht an Schulen und Universitäten, doch in der | |
Praxis haben sich die Bedingungen längst wieder massiv verschlechtert. | |
Fast nie war die westliche Intervention bereit, für afghanische Frauen | |
einen Konflikt mit Warlords in- und außerhalb der Regierung zu riskieren. | |
Vielmehr wurden Frauenrechte nur als „nice to have“, also als notfalls zu | |
opferndes Beiwerk behandelt. USA und Nato zogen in den Krieg, um den | |
islamistischen Terrorismus zu bekämpfen – nicht für die postulierte | |
Befreiung afghanischer Frauen von islamistischen Männern und archaischen | |
und frauenverachtenden Traditionen. | |
In der Praxis wurden immer mehr [3][demokratische und rechtsstaatliche | |
Prinzipien verraten], mit denen die Intervention ebenfalls gerechtfertigt | |
wurde. Längst ist offensichtlich, dass diese Intervention nicht nur | |
militärisch gescheitert ist, sondern auch politisch. Afghanistan hat bis | |
heute kein funktionierendes politisches System. [4][Wahlen sind | |
dysfunktional], das Parlament ist machtlos. | |
Das Abzugsabkommen ist ein indirektes Eingeständnis, dass es von Washington | |
und seinen Verbündeten ehrlicher und realistischer gewesen wäre, den | |
Afghanen und Afghaninnen weniger zu versprechen, aber sich dafür an das | |
Wenige aufrechter zu halten. In Afghanistan für Frauenrechte Krieg zu | |
führen, wäre ebenso wenig erfolgversprechend wie der jetzt sichtbar | |
gescheiterte Versuch, das Land mit einer Militärintervention zur | |
Terrorbekämpfung zu stabilisieren und zugleich demokratisieren zu wollen. | |
Zugegeben: Es ist auch etwas müßig zu kritisieren, was alles im jetzt | |
geschlossenen Abkommen fehlt. Es fehlt vieles, weil es letztlich das | |
Eingeständnis eines Scheiterns ist. Sonst hätte sich die gewünschte Politik | |
ja gegen die Taliban durchsetzen lassen und es bräuchte dieses Abkommen so | |
nicht. | |
Doch letztlich waren die USA und ihre Verbündeten nicht nur militärisch und | |
politisch zu schwach, sondern wählten trotz hoher menschlicher Opfer und | |
des Einsatzes von Hunderten von Milliarden Dollar mit der Art und | |
Durchführung ihrer Intervention einen Ansatz, der an der Realität des | |
Landes wie der Region gescheitert ist. Das gilt eben auch für die Rechte | |
der Frauen. | |
Die Lehre sollte sein, künftig bescheidener und ehrlicher aufzutreten und | |
Frauenrechte nicht für eigene Interessen zu instrumentalisieren. Bei deren | |
Stärkung wird kein Weg daran vorbeiführen, massiv in lokale Kräfte zu | |
investieren. Das würde weiter führen als der Versuch, Frauenrechte | |
halbherzig von oben verkünden zu wollen. | |
21 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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