# taz.de -- Taliban in Afghanistan: In Islamabad überwiegt die Freude | |
> In Pakistan freuen sich viele Menschen über den Sieg der Taliban. Doch | |
> damit sind auch Ängste und Erwartungen an die neuen Machthaber verbunden. | |
Bild: Angehörige warten an der pakistanischen Grenze auf in Afghanistan freige… | |
BERLIN taz | „Pakistan hat am meisten zu gewinnen, wenn in Afghanistan | |
Frieden herrscht, und am meisten zu verlieren, wenn es dort Streit und | |
Instabilität gibt“, sagte die pakistanische Diplomatin Maleeha Lohdi laut | |
einem pakistanischen Journalisten in Islamabad. Seit die Taliban am 15. | |
August in Kabul die Macht übernommen haben, betonen Offizielle in Islamabad | |
immer wieder, dass sich Pakistan, das selbst viele Terroropfer zählt, | |
Stabilität im Nachbarland wünsche. | |
Das stimmt aber nur bedingt. Denn hätte die von den Taliban gestürzte | |
Regierung unangefochten in Afghanistan herrschen können, hätte das vielen | |
in Pakistan nicht gefallen. Denn Afghanistans Regierungen nach 2001 hatten | |
ein [1][gutes Verhältnis zu Indien], das in [2][Pakistan als Erzfeind] | |
gilt. Es gehört zu Pakistans Staatsdoktrin, dass in Kabul eine befreundete | |
Regierung sitzen sollte. Der Sieg der Taliban ist damit eine Niederlage | |
Indiens. | |
„In Pakistan überwiegt die Freude über den Sieg der Taliban, denn Pakistan | |
ist deren Ziehvater“, sagt Christian Wagner, Südasienexperte der Stiftung | |
für Wissenschaft und Politik in Berlin. Diese Freude werde dem Westen | |
gegenüber aber nicht so deutlich gezeigt, so Wagner. Übrigens machte | |
Premierminister Imran Khan daraus keinen Hehl, als er sagte, in Afghanistan | |
hätten die Taliban jetzt „die Ketten der kolonialen Sklaverei abgestreift“. | |
Dabei hat auch Pakistan seit dem 15. August mehrere hundert Staatsbürger | |
aus Kabul evakuiert. „Pakistaner haben in Afghanistan ein schlechtes Image | |
und viele Feinde“, sagt Wagner. Viele Afghanen nehmen insbesondere | |
Pakistans Militärgeheimdienst ISI übel, dass er so stark in Afghanistan | |
mitmischt. Islamabad musste laut Wagner in dem gegenwärtigen Chaos und | |
Sicherheitsvakuum deshalb auch befürchten, dass die Terrormiliz | |
„Islamischer Staat“ (IS), die mit den afghanischen Taliban verfeindet ist, | |
oder die pakistanischen Taliban (TTP) in Kabul Anschläge auf Pakistaner in | |
Kabul verüben. | |
## Furcht vor Flüchtlingen und Angriffen | |
Laut einem [3][Kommentar] der liberalen pakistanischen Tageszeitung Express | |
Tribune freuen sich vor allem drei Gruppen über den Sieg der Taliban in | |
Afghanistan: die Gegner einer indienfreundlichen Regierung in Kabul; | |
diejenigen, welche die Taliban verklären, und Islamisten, die sich auch für | |
Pakistan eine Taliban-Regierung wünschen. | |
Doch trübten laut Wagner zwei Sorgen die Freude über die Entwicklungen | |
jenseits der 2.600 Kilometer langen Grenze. Zum einen die Furcht vor neuen | |
Flüchtlingen aus Afghanistan. Pakistan hatte früher schon mehr als 3 | |
Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Zum anderen fürchtet | |
Islamabad auch Angriffe der TTP sowie von separatistischen Belutschen. | |
Beide militanten Gruppen operieren laut ISI von Afghanistan aus. Bei der | |
Öffnung der afghanischen Gefängnisse durch die dortigen Taliban kamen jetzt | |
auch etliche TTP-Kämpfer frei. | |
„Pakistan begrüßte deshalb die Zusage der Taliban, dass Afghanistan nicht | |
für Angriffe auf andere Länder benutzt werden kann“, sagt Wagner. Da | |
Pakistan für Afghanistan, das keinen Zugang zum Meer hat, das wichtigste | |
Transitland sei, verfüge es auch über einen wichtigen Hebel. | |
In Islamabad wird stets bestritten, dass Pakistan und sein | |
Militärgeheimdienst ISI überhaupt großen Einfluss auf die Taliban hätten. | |
Zugleich ist Islamabad interessiert, diese als „reformiert“ darzustellen. | |
Denn sollten sie sich wieder als brutales Regime wie vor 2001 entpuppen, | |
gehen pakistanische Medien davon aus, dass Islamabad von westlichen Staaten | |
dafür mitverantwortlich gemacht werde. | |
## Sorge der liberalen Pakistaner*innen | |
Doch dürfte Pakistan dann auch wieder hofiert werden wie nach 2001, als es | |
als eines der wenigen Länder überhaupt Einfluss auf die Taliban hatte. | |
Damals spielte Pakistan ein Doppelspiel, indem es den [4][US-Krieg in | |
Afghanistan] unterstützte, aber zugleich den fliehenden Taliban eine neue | |
Basis bot. | |
Pakistans Einfluss wird mit davon abhängen, welcher [5][Talibanführer in | |
Afghanistan] letztlich die Oberhand hat. Der derzeitige Politikchef Mullah | |
Abdul Ghani Baradar wird nicht gut auf Islamabad zu sprechen sein. Er saß | |
in Pakistan acht Jahre im Gefängnis, weil er es 2010 wagte, an Islamabad | |
vorbei mit Afghanistans damaligem Präsidenten Hamid Karsai sprechen zu | |
wollen. Der ISI zog Baradar aus dem Verkehr. Die letzten Jahre residierte | |
er in Katar, wo er kaum vom ISI kontrolliert werden konnte. | |
Ein besseres Verhältnis zum ISI hat der Taliban-Vizechef und Führer des | |
Hakkani-Netzwerkers Seradschuddin Hakkani. Sein Netzwerk zählt zu den | |
brutalsten Gruppen und operiert von Pakistan aus. | |
Liberale Pakistaner*innen freuen sich über den Sieg der afghanischen | |
Taliban ohnehin nicht. Sie verweisen auf das zu erwartende Leid der | |
afghanischen Bevölkerung, [6][vor allem der Frauen], und fürchten, dass der | |
Sieg der Taliban und die Niederlage des Westens auch in Pakistan die | |
Islamisten stärkt. Zudem sehen sie trotz mancher Differenzen wenig | |
Unterschiede zwischen afghanischen und pakistanischen Taliban. Warum sollen | |
die einen gut und die anderen schlecht für Pakistan sein? | |
Pakistan hatte als nur eines von drei Ländern das frühere Taliban-Regime | |
diplomatisch anerkannt. Auch jetzt gibt es Anzeichen, dass Islamabad dazu | |
bereit ist. Doch deutet alles darauf hin, dass Islamabad sich Zeit lassen | |
will. Die Anerkennung ist auch ein diplomatischer Hebel, den man in | |
Islamabad nicht zu früh aus der Hand geben will. Doch schon jetzt ist | |
Pakistans Botschaft in Kabul neben der russischen und der chinesischen eine | |
der wenigen, die dort noch arbeiten und noch nicht vollständig evakuiert | |
sind. | |
26 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Taliban-Sieg-in-Afghanistan/!5790010 | |
[2] /Geschichte-des-Kaschmir-Konflikts/!5574247 | |
[3] https://tribune.com.pk/article/97460/talibans-takeover-of-afghanistan-shoul… | |
[4] /US-Debatte-ueber-Afghanistan/!5789630 | |
[5] /Afghanistan-unter-der-Taliban-Herrschaft/!5767398 | |
[6] /Frauenrechte-in-Afghanistan/!5794609 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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