# taz.de -- Suche nach HIV-Impfstoff: Aufgeben ist keine Option | |
> Seit vier Jahrzehnten wird nach Therapien gegen das HI-Virus gesucht. Die | |
> Behandlung hat sich verbessert, doch ein Durchbruch lässt auf sich | |
> warten. | |
Bild: Elektronenmikroskopische Aufnahme von HI-Viren | |
Die Frage liegt nah: Gegen das Coronavirus wurden innerhalb weniger Monate | |
wirksame Impfstoffe gefunden, selbst eine Anpassung auf neue Varianten | |
scheint problemlos möglich. Einen ähnlichen Erfolg gegen das HI-Virus gibt | |
es bisher nicht, [1][trotz fast 40 Jahren Forschung.] „Es liegt sicher | |
nicht an den fehlenden Anstrengungen seitens der Forschung. HI-Viren sind | |
deutlich komplexer als das Coronavirus“, sagt Philipp Schommers von der | |
Uniklinik Köln. Ihr perfider Trick: Sie integrieren ihre eigenen | |
Erbinformationen in die menschlichen Zellen. Das macht sie für unser | |
Immunsystem nur schwer angreifbar. | |
Eine Heilung und eine damit verbundene Immunität ist deshalb anders als bei | |
Sars-CoV-2 nicht möglich. Einmal HIV-positiv, immer HIV-positiv. Außerdem | |
kann das HI-Virus viel leichter mutieren, Patientinnen und Patienten tragen | |
oft eine große Zahl von Varianten im Körper. Trotz großer Herausforderungen | |
und fehlender Erfolge hat die Wissenschaft noch nicht aufgegeben. Einige | |
klinische Studien zu verschiedenen Impfstoffen laufen derzeit. | |
Auch Moderna entwickelt und testet in vorklinischen Studien gerade einen | |
mRNA-Impfstoff gegen HIV, Biontech hat ebenfalls die Entwicklung eines | |
entsprechenden Impfstoffes angekündigt. „Trotz vieler Sackgassen haben wir | |
noch einige Pfeile im Köcher. Die Suche nach einem Heilmittel oder einem | |
Impfstoff aufzugeben, ist für die meisten Forschenden keine Option“, sagt | |
Schommers. | |
Der 35-Jährige ist selbst einem möglichen Pfeil auf der Spur, und zwar dem | |
Antikörper 1-18. Dieser Antikörper wurde bei einer Studie mit 2.200 | |
Patienten entdeckt. Bei etwa ein Prozent von ihnen fand das Immunsystem | |
eine besonders wirksame Antwort gegen das HI-Virus. Im Labor wurden die | |
dafür verantwortlichen Antikörper untersucht, 1-18 verspricht den größten | |
Erfolg. | |
In Laborversuchen war er gegen 97 Prozent der getesteten HIV-Varianten | |
aktiv. Besonders interessant: Er konnte sogar Fluchtmutationen des Virus | |
verhindern. Bislang sind diese Ergebnisse noch im frühen Stadium und | |
klinische Tests erst in Planung. „Ich halte 1-18 doch für einen ziemlich | |
vielversprechenden Kandidaten für die Behandlung und Vorbeugung von | |
HIV-Infektionen“, so Schommers. [2][Seit vier Jahrzehnten wird nach | |
Therapien gegen das HI-Virus gesucht.] Die Behandlungsmethoden haben sich | |
zwar verbessert, doch ein Durchbruch lässt auf sich warten | |
## Studienpreis für Forschungsarbeit | |
Eine Meinung, die offenbar auch andere Forschende teilen, immerhin bekam | |
Schommers für seine Untersuchungen den [3][Deutschen Studienpreis 2021]. | |
Doch was würde eine Therapie mit Antikörpern für Patienten bringen? | |
Schommers sieht hier zwei Optionen: Möglicherweise könnten länger wirksame | |
Medikamente entwickelt werden. Menschen mit einer HIV-Erkrankung müssten | |
dann vielleicht nicht mehr täglich ein Kombi-Präparat nehmen, sondern nur | |
alle sechs Monate eine Antikörpertherapie. | |
Auch die Nebenwirkungen wären hier geringer. Auch eine passive Impfung mit | |
einem zeitlich begrenzten Schutz hält der Forscher für denkbar. Der Haken | |
an der Sache: Antikörpertherapien sind bisher teuer in der Entwicklung und | |
Herstellung. Außerdem: Viele Antikörperansätze in der HIV-Forschung | |
scheiterten bereits. | |
Neben den mRNA und Antikörpern gibt es noch einen dritten | |
vielversprechenden Ansatz, dieses Mal in puncto Heilung – „shock and kill“ | |
genannt. Ihn verfolgt auch [4][Christine Goffinet, Professorin für | |
Virologie an der Berliner Charité.] Die Idee: Das Virus steckt in ruhenden | |
Wirtszellen im Körper, in die es seine Erbinformationen hineingeschmuggelt | |
hat. Diese Zellen müssten erst aufgeweckt und dann mit Hilfe des | |
Immunsystems abgetötet werden, vielleicht zusätzlich angestoßen durch eine | |
Behandlung. | |
Die Herausforderung: Es müssen wirklich alle HIV-positiven Zellen getötet | |
werden. Schon wenige Vergessene würden für eine erneute Virusvermehrung | |
ausreichen. Ähnlich wie bei der neuen Antikörpertherapie ist dieser neue | |
Ansatz von echten klinischen Studien noch einen guten Schritt entfernt. | |
Gerade die Frage nach dem effektiven und vor allem nebenwirkungsarmen | |
„kill“ ist noch nicht abschließend geklärt. | |
„Zum Glück“ gibt es einen entscheidenden Faktor, der es Forschenden | |
ermöglicht jeder noch so kleinen Spur in Sachen Heilung oder Impfung | |
nachzugehen. Die Therapie von Betroffenen ist sehr gut. „Wir haben zwar | |
keine Heilung, aber seit knapp 25 Jahren immer bessere Medikamente, die | |
Betroffenen ein weitgehend normales Leben ermöglichen“, sagt Goffinet. Die | |
Menschen mit einer HIV-Infektion müssen zwar die Medikamente täglich und | |
lebenslang nehmen. Dafür drückt die antiretrovirale Therapie die Viruslast | |
unter die Nachweisgrenze und sorgt dafür, dass diese Menschen nicht mehr | |
ansteckend sind. Werden die Medikamente abgesetzt, kehrt das Virus | |
allerdings sofort zurück. | |
Aus der einst tödlichen Krankheit ist so eine chronische geworden – | |
übrigens nicht nur in den Industrieländern. Drei Viertel – also 27,5 | |
Millionen – der Patienten haben inzwischen Zugang zu einer Therapie – | |
darunter auch in immer mehr stark betroffenen Ländern. | |
Vor zehn Jahren lag der Anteil noch bei 25 Prozent. Damit ist auch die Zahl | |
der Todesfälle deutlich gesunken. 2020 starben noch 680.000 Menschen an den | |
Folgen einer HIV-Infektion, 2010 waren es noch doppelt so viele. [5][Ein | |
weiterer Durchbruch ist auch die sogenannte PrEP.] Sie schützt bei | |
zuverlässiger Einnahme und in Kombination mit Kondomen mit einer hohen | |
Wirksamkeit vor einer HIV-Neuinfektion. Von den Krankenkassen bezahlt wird | |
die PrEP neuerdings für Menschen mit erhöhten Ansteckungsrisiko, zum | |
Beispiel homosexuelle Männer, Menschen mit einer Drogenabhängigkeit oder | |
Partnerinnen und Partner von Menschen mit HIV, die noch nicht lange genug | |
in Behandlung sind. Auswirkungen auf die Zahl der Neuinfektionen müssen | |
sich noch zeigen. | |
Angesichts solcher Erfolge drängt sich eine unbequeme Frage auf. Sollten | |
wir die HIV-Forschung vielleicht auf die Medikamente beschränken und eine | |
Heilung einfach als aussichtslos abhaken? | |
Goffinet hat dazu eine klare Meinung. „Wir bräuchten eher noch mehr | |
Investitionen und mehr Willen auf der Suche nach einer Heilung und bei der | |
gesundheitlichen Aufklärung in den Ländern“, sagt die Forscherin. Natürlich | |
sei diese Entwicklung von Medikamenten und die Präventionsarbeit teuer, | |
aber das sei die HIV-Pandemie auch. US-Forscher errechneten, dass die | |
Behandlung von HIV/Aids zwischen 2000 und 2015 mehr als 562 Milliarden | |
US-Dollar gekostet hat. Von Todesopfern ganz schweigen. | |
An dieser Stelle zeigt sich: Zur Bekämpfung von HIV braucht es am Ende doch | |
mehr als „nur“ gute Ideen im Labor, nämlich auch politischen Willen und | |
Erfolgsdruck – neben der geringeren Viruskomplexität auch zwei wichtige | |
Erfolgsfaktoren bei der schnellen Entwicklung der Corona-Impfstoffe. | |
12 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Testreihe-an-gesunden-Menschen/!5362804 | |
[2] /Weltaidstag-in-der-Coronapandemie/!5815706 | |
[3] https://www.koerber-stiftung.de/deutscher-studienpreis/preistraeger/2021 | |
[4] https://virologie-ccm.charite.de/metas/person/person/address_detail/goffine… | |
[5] /Eine-Pille-zur-HIV-Praevention/!5271736 | |
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Birk Grüling | |
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