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# taz.de -- Fehlendes Wissen über HIV und AIDS: Am eigenen Bild gescheitert
> Der 40. Jahrestag der Krankheit AIDS ist an unserem Autor vorbeigegangen.
> Und als er sich damit beschäftigt, begegnet er seinen eigenen
> Vorurteilen.
Bild: Unser Autor dachte bei HIV bislang meist an schwule cis Männer und trans…
Die Krisen fließen ineinander wie zähe Flüssigkeiten, wer schafft es schon,
die Feste zu feiern, wie sie fallen? Der 40. Jahrestag der Krankheit AIDS
im Dezember ist an mir vorbeigezogen, also gehe ich in eine Ausstellung
[1][über vier Jahrzehnte HIV/AIDS], um ihn nachzuholen. Die Ausstellung
„L'èpidemie n'est pas finie“ („Die Epidemie ist nicht vorbei“) gibt es…
bis zum 2. Mai im „Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers“
im Hafen von Marseille. Über [2][den dazugehörigen Podcast] hat der Kollege
Jan Feddersen hier neulich schon geschrieben.
Im ersten Raum haben sie Bildschirme aufgestellt, in denen HIV-positive
Menschen aus der Region ihre Geschichte erzählen. Zu sehen sind fast nur
cis Frauen um die 50 oder 60. Darüber empfinde ich erst Überraschung, dann
Erleichterung und schließlich Scham. Überraschung, weil ich HIV so stark
mit schwulen cis Männern und trans Menschen verbinde, dass mir die
betroffenen cis Frauen ganz entfallen sind. Erleichterung deshalb, weil ich
denke, dass diese netten Damen das Thema für die durchschnittliche
Besucher*in sicher zugänglicher machen – so PR-mäßig gedacht – als würde
sie von Homos und Trans begrüßt. Und darüber, dass ich so denke, schäme ich
mich.
So auf kategorieller Ebene, wird mir klar, entflutscht mir Wissen über die
queere Geschichte immer wieder. Es ist da, aber auch verzerrt von Phobien,
überlagert von vermeintlichen Normalitäten. Ich muss dazu sagen, dass ich
die Generation bin, die auf das [3][Thema HIV/AIDS] nicht mehr durch
sterbende Bekannte gestoßen wurde, sondern pädagogisch safe durch den
„Marienhof“ in der ARD.
Manche in der Queeren Theorie reden gerne davon, dass Wissen in Körper
eingeschrieben werde (durch uns alle), und hier zwischen den Bildschirmen
wird die Sache für mich greifbar. Geht es um HIV, gucke ich durch cis
Frauenkörper hindurch, als wären sie irrelevant. An schwulen und trans
Körpern gucke ich aus Scham und Schmerz gezielt vorbei.
Die Ausstellung spielt mit gefühltem Wissen, mit Bildern, Diskursen – vor
allem mit deren Brüchen. Ich selbst erinnere nur Kampagnen, die HIV
entstigmatisieren und [4][die HIV+ Community] von der Assoziation mit dem
Monströsen befreien wollten.
In den Achtzigern kämpften einige Aktivist*innen dagegen noch darum,
dass die apathische Gesellschaft das Bild des Monströsen, des von der
Krankheit gezeichneten Körpers ansehen musste. Bilder von einer der ersten
Personen, die sich zu diesem Zweck kurz vor ihrem Tod fotografieren ließen,
sind in der Ausstellung zu sehen. Während ich diese Fotos betrachte und
mich schon wieder zwischen Ekel und Scham entscheiden muss, bleibt neben
mir eine ältere Frau stehen und lacht laut auf. Ich möchte sie gerne
erwürgen für diesen Fauxpas oder mindestens zurechtweisen, aber dann fällt
mir ein, dass Lachen manchmal eine Reaktion auf Überforderung ist. Ich
beiße mir auf die Lippe.
17 Apr 2022
## LINKS
[1] /Suche-nach-HIV-Impfstoff/!5817062
[2] /!5831192/
[3] /Weltaidstag-in-der-Coronapandemie/!5815706
[4] /Weltaidstag-in-der-Coronapandemie/!5815706
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Kolumne Unisex
Schwerpunkt HIV und Aids
Niedersachsen
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Tuberkulose
Schwerpunkt Coronavirus
PrEP
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