| # taz.de -- Stromproduktion in Südostasien: Staudämme zerstören Mekongdelta | |
| > Mit dem Bau von Staudämmen im Mekong will das arme Laos | |
| > Strom-Großexporteur werden. Damit ist die Existenz vieler in der Region | |
| > bedroht. | |
| Bild: Millionen leben in bitterer Armut: Reisbäuerin im Mekong-Delta | |
| PAKSE taz | Kuye reibt sich die Augen. Bedächtig greift er nach seinen | |
| Habseligkeiten, einer braunen Reisetasche aus Kunstleder, einer | |
| Einkaufstüte, einem Paar ausgetretener blauer Plastiksandalen. „Hoffentlich | |
| wird es heute besser“, sagt er, übersetzt durch einen Dolmetscher, | |
| „hoffentlich habe ich heute Glück und finde eine Arbeit.“ | |
| Glück – für Kuye war es am 23. Juli letzten Jahres damit vorbei. Damals, | |
| als ein Seitendamm des Xe-Pian-Xe-Nam-Noy-Staudamms in der Provinz | |
| Champasak im Süden von Laos „explodierte“, wie der 27-Jährige die | |
| Katastrophe beschreibt. 5 Milliarden Liter Wasser überschwemmten die | |
| Landschaft in der benachbarten Provinz Attapeu, als der Damm nach | |
| wochenlangen Regenfällen dem Druck des Wassers nicht mehr standhalten | |
| konnte. Dutzende, wenn nicht Hunderte von Menschen kamen bei dieser | |
| Katstrophe um, weggeschwemmt, erschlagen von entwurzelten Bäumen. Dörfer, | |
| Häuser, ganze Farmen – sie wurden von einer braunen Masse aus Wasser, | |
| Schlamm und Erde verschluckt. 7.000 Menschen wurden obdachlos. | |
| Kuyes einfacher Laden, in dem er Lebensmittel, Getränke und Zigaretten | |
| verkauft hatte, ging an diesem 23. Juli 2018 unter. Er, seine Frau und | |
| seine sechsjährige Tochter überlebten. „Wir konnten uns auf einen Baum | |
| retten“, erzählt er. „Nur mit den Kleidern, die wir trugen. Sonst haben wir | |
| alles verloren.“ Seit diesem Tag sucht Kuye nach Arbeit. Inzwischen lebt er | |
| weit weg von zu Hause, in der Stadt Pakse. Er schläft unter Wellblech im | |
| Hinterhof eines Transportunternehmens. Gelegenheitsarbeiten halten ihn am | |
| Leben. | |
| Kuye ist eines von vielen Opfern des Ehrgeizes der Regierung, mit dem | |
| [1][Bau von Staudämmen] im Fluss Mekong und seinen Seitenarmen das arme | |
| Laos zu einer „Batterie Südostasiens“ zu machen. Abnehmer des Hydrostroms | |
| sind die energiehungrigen Nachbarländer, allen voran Thailand. | |
| ## Über 4.350 Kilometer Fluss | |
| Über 4.350 Kilometer zieht sich der Mekong vom tibetischen Hochland durch | |
| China, Myanmar, Laos und Thailand bis nach Kambodscha und Vietnam. Die | |
| kommunistische Regierung in der laotischen Hauptstadt Vientiane will mit | |
| dem Verkauf von Strom jährlich Millionen Dollar an Exporteinkommen | |
| generieren. | |
| 80 Prozent der etwa 7 Millionen Laoten arbeiten in der Landwirtschaft, oft | |
| als Selbstversorger, viele in kleinen Familienbetrieben. Millionen Menschen | |
| leben in bitterer Armut. Schätzungen zufolge sind vier Fünftel der Fläche | |
| von Laos von Wald bedeckt. Holz ist ein wichtiges Exportprodukt. Dazu | |
| kommen Kaffee, Zinn, das Gewürz Kardamom sowie Lederwaren. | |
| Zwei Elefanten wippen nervös mit ihren Köpfen. Hin und her, tagein, tagaus. | |
| Ein erbärmliches Bild. „Das war schon immer so“, sagt die alte Frau hinter | |
| dem Tisch aus Bambusrohr. Sie warnt, dem einen Tier nur nicht zu nahe zu | |
| treten. „Er steht sein 21 Jahren hier und kann plötzlich aggressiv werden.“ | |
| Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor auf dem Bolaven-Hochplateu | |
| hinter Pakse. Die beiden Elefanten gelten als eine große Attraktion bei der | |
| Tad Lo Lodge, einer Hotelanlage. Besucher kaufen für ein paar Cent Bananen | |
| und verfüttern sie an die Tiere. Viele Touristen kommen wegen des Kaffees, | |
| der dank einem kühleren Klima auf dem Plateau angebaut werden kann. Während | |
| weite Teile des Landes verkehrsmäßig wenig erschlossen sind, ist der Zugang | |
| zu dieser Hochebene gut und einfach. Große Busse mit Urlaubern aus Thailand | |
| fahren vor. Zehn Minuten für ein Selfie mit Elefant und Banane. | |
| Einen Steinwurf weiter spielen drei Jungen am Bach. „Selfie, selfie“, rufen | |
| sie, und stellen sich in Pose. Im Hintergrund hört man das dumpfe Donnern | |
| der Wasserfälle von Tad Lo. Sie sind so wie Hunderte Bäche, Flüsse und | |
| Rinnsale im Gebiet des Mekong Teil eines der größten | |
| Elektrizitätswerksysteme auf dem Globus. Ende 2018 waren in Laos in den | |
| Zuflüssen zum Mekong bereits 46 Dämme in Betrieb, mit einer Gesamtkapazität | |
| von rund 6.500 Megawatt. An 54 Staudämmen wird derzeit gebaut, bis zu 100 | |
| weitere sind geplant. | |
| ## Blockade von Nährstoffen | |
| Dazu kommen elf Großstaudämme im Hauptfluss des Mekong mit einer | |
| Gesamtleistung von mindestens 10.000 Megawatt, so die offiziellen Zahlen. | |
| Neun dieser Mammutanlagen befinden sich in Laos – zwei sind bereits in | |
| Betrieb. Vor drei Jahren gab die laotische Regierung bekannt, sie wolle in | |
| den nächsten 12 Jahren eine Kapazität von 30.000 Megawatt erreichen. | |
| Der freie Zufluss von Wasser ist für die Bewohner entlang des Mekong seit | |
| Jahrhunderten ein Garant für Nahrungssicherheit und wirtschaftliche | |
| Stabilität. Nährstoffreiche Sedimente, die vom Wasser transportiert werden, | |
| sind entscheidend für die Ernährung und die Fortpflanzung von Fischen. Doch | |
| eine Untersuchung der Unesco ergab, dass im nördlichen Teil der | |
| Mekongregion bereits 70 Prozent der Sedimente von den vielen Dämmen | |
| zurückgehalten werden. Die damit verbundene Blockade von Nährstoffen wirkt | |
| sich auf die Eiweißversorgung von Millionen Menschen im Süden des | |
| Flussgebiets aus. Der Tonle Sap in Kambodscha gilt als produktivster | |
| Süßwasserfischereiplatz der Welt – aber nur solange sediment- und | |
| nährstoffreiches Mekongwasser ungehindert in diesen 2.700 Quadratkilometer | |
| großen See fließen kann. | |
| Eigentlich wäre es Aufgabe der Mekong River Commission (MRC), die | |
| „gemeinsamen Wasserressourcen und die nachhaltige Entwicklung des Mekong zu | |
| verwalten“. Das sagen die Statuten der Körperschaft, der Laos, Kambodscha, | |
| Thailand und Vietnam angehören. Doch die bald 25 Jahre währende Kooperation | |
| sei durch Bürokratie und vor allem von die Eigeninteressen ihrer | |
| Mitgliederstaaten gelähmt, klagen die Kritiker. | |
| 750 Kilometer südlich der Tad Lo Lodge, in der vietnamesischen Stadt Can | |
| Tho: Es ist sechs Uhr früh. Auf dem schwimmenden Markt herrscht | |
| Hochbetrieb. Bauern verkaufen von Holzbooten aus Früchte, Gemüse und | |
| Hühner. Eine Frau mit traditionellem Strohhut bietet auf ihrem Boot „Pho“ | |
| an, vietnamesische Reisnudelsuppe mit geschnittenem Rindfleisch und | |
| Schalotten. | |
| ## Die „Reisschüssel Asiens“ | |
| „Es gibt kein besseres Frühstück“ erzählt Yuen, ein dreißigjähriger | |
| Geschäftsmann, während er die Nudeln laut schlürfend in den Mund zieht. | |
| Hier, im Distrikt Cai Rang in Vietnam, wo sich der Mekong ins | |
| Südchinesische Meer ergießt, zeigen sich die Folgen des flussaufwärts | |
| herrschenden Baubooms an jeder Ecke. 20 Prozent der 92 Millionen Einwohner | |
| Vietnams leben im Mekongdelta, einem Gebiet, fast so groß wie die Schweiz. | |
| 75 Prozent der Früchte und des Gemüses Vietnams sowie viele Zuchtfische und | |
| Krabben werden in diesem Dreieck produziert. Bekannt ist die Region aber | |
| vor allem wegen ihrer Bedeutung als Reisschüssel Asiens: Die Hälfte des in | |
| Vietnam produzierten Reises stammt aus dem Mekongdelta. | |
| Doch das Mekongdelta als Garten der Nation ist bedroht – möglicherweise auf | |
| fatale Weise, wie die Weltbank warnt. Es ist nicht nur der Schwund von | |
| Sedimenten und damit Nährstoffen im Flusswasser. Der steigende | |
| Meeresspiegel – eine Folge des globalen Klimawandels – lässt Salzwasser | |
| immer weiter in die Agrargebiete eindringen. Gleichzeitig wird der Zustrom | |
| von Süßwasser aus dem Mekong mit dem Bau jedes neuen Staudamms in seinem | |
| Oberlauf schwächer. | |
| Reis wird im Delta traditionell in stehendem Wasser angebaut. Fehlt es an | |
| frischem Süßwasser, steigt die Salzkonzentration auf den Feldern. Die | |
| Reispflanze kann sich dann nicht entwickeln oder stirbt. „Das Wasser | |
| enthält heute rund 20-mal so viel Salz wie noch vor ein paar Jahren“, | |
| erzählt Yuen, „und das vergiftet alles, nicht nur den Reis.“ Der Vater | |
| zweier Kinder fürchtet um die Zukunft. | |
| Später, wieder auf festem Boden, zeigt er auf die Überreste einer Pflanzung | |
| von Bananenbäumen – die normalerweise grellgrünen Blätter sind braun. | |
| „Immer mehr Landwirte diversifizieren deshalb in die Zucht von Krabben, | |
| weil die Tiere den hohen Salzgehalt ertragen können“, sagt Yuen. | |
| ## Abhängigkeit von Thailand | |
| Der schleichende Rückgang der Reisproduktion wird Folgen haben: Das | |
| Getreide ist nicht nur Hauptnahrungsmittel für Millionen Menschen, sondern | |
| oftmals die einzige Nahrung, die sich arme Familien in ausreichenden Mengen | |
| leisten können. Analysten warnen vor drohenden Versorgungsengpässen. Der | |
| vietnamesische Ökologe Nguyen Huu Thien ist tief besorgt über die | |
| Entwicklung in den nächsten 15 bis 20 Jahren. „Ich bin nicht sicher, wie | |
| Vietnam als Nation überleben kann ohne das Delta.“ | |
| Als wirtschaftlich stärkstes Land der Region ist Thailand der wichtige | |
| Absatzmarkt für die Elektrizität aus den laotischen Kraftwerken. Das macht | |
| Laos abhängig vom Willen Bangkoks. Vergangenes Jahr erlebten die | |
| Regierenden in Laos einen Schock, weil die Elektrizitätsbehörde von | |
| Thailand einen Vertrag über die Abnahme von Strom aus einem großen | |
| Kraftwerk kurzzeitig suspendiert hatten. 90 Prozent des produzierten Stroms | |
| waren eigentlich für den Export nach Thailand vorgesehen. | |
| Doch die thailändische Regierung hatte die gesamte Stromversorgung | |
| überarbeitet. Das Ziel: Statt sich weiterhin auf den Import aus den | |
| Nachbarländern zu verlassen, sollte Thailand vermehrt selbst Strom | |
| generieren – aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Biogas. Bis 2036 | |
| will man so den Anteil der Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen von | |
| 20 auf 30 Prozent steigern, erklärt das thailändische Energieministerium. | |
| Wasserkraft zähle nicht dazu. | |
| Grund für das Umdenken ist weniger der Wunsch nach umweltfreundlichen | |
| Alternativen, es sind vielmehr die Kosten. Nach Angaben von Brian Eyler, | |
| dem Südostasiendirektor der Denkfabrik Stimson Center, zeigten mehrere | |
| Studien, dass große Staudämme deutlich teurer im Unterhalt sind als bisher | |
| angenommen. Diese Kosten würden über den Preis an die Abnehmer | |
| weitergegeben. Das stelle die Wettbewerbsfähigkeit solcher Anlagen infrage | |
| – und damit das Geschäftsmodell der laotischen Regierung. Sollte Thailand | |
| seinen Strom vermehrt selbst produzieren, statt ihn zu importieren, seien | |
| die Staudämme im Mekonggebiet „kommerziell nicht überlebensfähig“, sagt | |
| Eyler. Doch damit nicht genug: Auch China habe bereits einen „massiven | |
| Kapazitätsüberschuss“. Kurz: Der gesamten Region Mekong droht eine | |
| Stromschwemme. | |
| Das einzige Land, das eine zu hohe Stromproduktion in Laos vielleicht | |
| absorbieren könne, sei Vietnam, glaubt Eyler. Die dortige Regierung sei | |
| aber „logischerweise sehr zurückhaltend, Elektrizität aus Wasserkraft zu | |
| importieren“, nachdem Studien „konsequent zeigen, dass die Staudämme das | |
| Mekongdelta vernichten“. Eyler, ein Experte für grenzübergreifende Politik | |
| in den Mekongländern, sieht für Laos langfristig nur eine Lösung: die | |
| strikter Fokussierung auf erneuerbare Energien. Das ärmste Land der Region | |
| müsse „eine grünere, sauberere und deutliche weniger risikobehaftete | |
| ‚Batterie Südostasiens‘ werden“, empfiehlt er. | |
| Zurück ins laotische Pakse. Die Unsicherheit seiner Existenz hat das | |
| Überschwemmungsopfer Kuye depressiv werden lassen. „Ich bin eigentlich | |
| immer traurig“, sagt er, selbst wenn er einmal Glück habe und etwas | |
| verdiene. Meist aber wisse er nicht, was er am Abend essen könne, erzählt | |
| er. Am schlimmsten aber sei das Schuldgefühl, nicht länger für seine | |
| Familie sorgen zu können. Selten, vielleicht einmal im Monat, kann er | |
| seiner Frau etwas Geld schicken. „Ich war mein eigener Chef“, erzählt Kuye, | |
| mit Tränen in den Augen. „Jetzt bin ich ein Bettler.“ Der Schlamm des | |
| Dammes hat nicht nur seine Existenz weggespült. Er hat ihn seiner Würde | |
| beraubt. | |
| 5 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Urs Wälterlin | |
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