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# taz.de -- Umweltverschmutzung in Vietnam: Wachstum statt Umwelt
> Wasserkraft gilt in Vietnam als „unsicher“. Deshalb setzen Regierung und
> Bürger auf Energiequellen, die sie für moderner halten: Kohle und Erdöl.
Bild: Ein Paar macht ein Selfie von sich, während ein Wasserkraftwerk seine Fl…
Berlin taz | Wasserkraftwerke gelten in Vietnam als nicht sicher. Wer
das verstehen will, sollte einmal in das nördliche Bergland fahren, das zu
großen Teilen durch Energie aus Wasserkraft versorgt wird. Hat es wenig
geregnet, fällt abends der Strom aus. Selbst in Sapa, einem auf 1.600
Metern Höhe liegenden Kurort, der Touristen aus der ganzen Welt anzieht,
können ab 18 Uhr alle Lichter erlöschen, das Leitungswasser bleibt kalt.
Die Touristenshops schließen dann, damit niemand in den stockdunklen Läden
die Ware klaut. Die Restaurants müssen auf kalte Küche oder Propangaskocher
umstellen, für die Gäste flackern nur noch Kerzen.
Auch in Hoi An, einem Küstenstädtchen in Zentralvietnam, ist man nicht gut
auf die sechs Wasserkraftwerke zu sprechen, die in den letzten Jahren im
Hinterland am Fluss Thu Bon entstanden sind. Zentralvietnam wird im Herbst
nämlich stets von Sturmfluten heimgesucht. Im Zuge des Klimawandels, der
hier längst Realität ist, werden diese tendenziell stärker. Die Küstenlinie
verschiebt sich mit jeder Sturmsaison. Die historische Altstadt ist fast
jedes Jahr überschwemmt, die unteren Etagen der Häuser stehen dann unter
Wasser.
Die Sturmfluten fordern regelmäßig Todesopfer. In dem
[1][Touristenstädtchen] wurden bereits Strandhotels aufgegeben und
Kaimauern hochgezogen, damit nicht weitere Hotels ins Meer kippen. Neben
globalen Ursachen machen die Einwohner auch die Wasserkraftwerke
flussaufwärts verantwortlich: Sie würden verhindern, dass der Fluss Schlamm
an die Küste bringt, um die Verschiebung des Meeresspiegels aufzuhalten.
Jahrhundertelang hätten die Sturmfluten diesen Sand an der Küste verteilt,
heute liegt er flussaufwärts in den Staubecken der künstlich geschaffenen
Stauseen.
Als Alternativen zur „unsicheren“ Wasserkraft gelten der Regierung und
vielen vietnamesischen Bürgern darum Energiequellen, die sie für sicherer
und moderner halten: Kohle und Erdöl. Sie werden in Vietnam abgebaut,
Steinkohle sogar im Tagebau, das ist besonders billig. Und da Vietnams
Wirtschaft wächst, und zwar um sechs bis acht Prozent pro Jahr, braucht das
Land immer mehr davon.
## Verschmutzung sorgt für höhere Sterblichkeit
Aber auch die Einwohner: Vietnam hat sich in den vergangenen 25 Jahren im
Turbotempo von einem der zehn ärmsten Länder der Welt zum Schwellenland
entwickelt. Wellblech- und Holzhütten, in denen ein Einwohner nur vier
Quadratmeter Wohnraum hatte, sind Wolkenkratzern gewichen – mit eigenem
Zimmer für jedes Familienmitglied. Gleichzeitig verdrängten Waschmaschinen
das Waschen mit der Hand im See oder Fluss.
Die Wirtschaft soll weiter wachsen, bis 2030 soll sich das
Bruttoinlandsprodukt laut staatlichen Plänen mindestens verdreifachen. Der
Weg dorthin: mehr Kohleverbrennung. Bis dahin will die Regierung über 30
neue Kohlekraftwerksblöcke bauen und nur einen alten stilllegen. Die dann
über 65 Blöcke sollen laut Regierung mehr als die Hälfte der benötigten
Energie erzeugen.
Die Schattenseite davon benennt eine [2][Studie der Harvard-Universität]:
„2030 wird Vietnam das Asean-Land sein, das am stärksten unter der
vorzeitigen Sterblichkeit infolge der Verschmutzung durch Kohlekraftwerke
leiden wird. Die Verschmutzung durch Kohle wird zu geschätzten 20.000
zusätzlichen Todesfällen im Jahr führen, sprich fünfmal so viel wie 2011.“
Laut dem [3][World Air Quality Ranking], einem Wert, der die Luftqualität
der großen Städte weltweit misst, gehören Vietnams Metropolen Hanoi und
Ho-Chi-Minh-Stadt zu den 20 schmutzigsten Städten weltweit.
## Wirtschaftswachstum wichtiger als Umwelt
Auf dem Papier klingt Vietnams Klimapolitik trotzdem richtig gut. Das Land
hat das Pariser Klimaschutzabkommen ratifiziert. Auf der Klimakonferenz
in Marokko 2016 verkündete die Regierung, Vietnam werde bis 2050
klimaneutral sein. Um das zu schaffen, gibt es Umweltauflagen,
beispielsweise für Baujahr und Schadstoffausstoß importierter Autos, für
die Entsorgung von Schadstoffen und Müll, für die Ableitung von Abwässern.
Aber die Realität ist: Wirtschaftswachstum ist wichtiger als Umwelt. Wenn
sich ein Investor an Umweltauflagen stört, dann ignorieren Behörden eher
die Auflagen als auf den Investor zu verzichten. Für Geld können sich
Firmen leicht von Umweltauflagen freikaufen. Das geht offiziell, noch öfter
aber inoffiziell durch die Zahlung von Bestechungsgeldern an die Behörden,
die dann wegschauen.
Ein Beispiel: Als im Oktober in Teilen der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi
über Wochen nur schwarzes, stinkendes Wasser aus den Wasserhähnen kam,
reagierten die Behörden erst, als der Frust in den sozialen Netzwerken
nicht mehr zu überhören war. Die Ursache: Eine Firma hatte illegal Altöl in
der Wasseraufbereitungsanlage entsorgt. Filter waren dort trotz
entsprechender Auflagen eingespart worden.
Eine Ursache für mehr Treibhausgase ist auch die Zunahme des
Straßenverkehrs. Motorräder und Autos haben klapprige Räder und
Ochsengespanne verdrängt, die noch vor 20 Jahren Vietnams Straßen
dominierten. Heute sind 67 Millionen Motorräder registriert – bei 93
Millionen Einwohnern. Tendenz schnell steigend. Öffentlicher Nahverkehr
ist abgesehen von wenigen unzuverlässigen Bussen in großen Städten
Fehlanzeige.
Der Termin für die Fertigstellung einer S-Bahn in der 8 Millionen Einwohner
zählenden Hauptstadt Hanoi wurde etwa so oft verschoben wie der des neuen
Berliner Flughafens. Die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor
dürften sich somit bis 2030 im Verhältnis zu 2014 verdreifachen.
Um daran etwas zu ändern, fehlt es an vielem, schon bei der Datenerfassung
hapert es. Die Behörden müssten in die Lage versetzt werden,
Treibhausgasemissionen pro Fahrzeug genau zu berechnen, Minderungsmaßnahmen
zu überwachen und nationale Instrumente für die Festsetzung eines
CO2-Preises zu erarbeiten und umzusetzen, fordert Truong Duc Tri von der
Abteilung für Klimawandel der vietnamesischen Regierung auf einer
offiziellen Website. Dafür erhält das Land internationale Hilfe von der
Weltbank, aber auch von der deutschen GIZ. „Vietnam ist eines der am
stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder der Welt“, begründet das ein
Sprecher des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung der taz.
## Für Umweltpolitik ist das Ausland zuständig
Die internationale Unterstützung bei der Datenerfassung, der Aufforstung
und dem Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht zu überschätzen. Sie hat
aber auch eine Kehrseite: Im Bewusstsein vieler Vietnamesen ist für Umwelt-
und Klimapolitik das Ausland zuständig. Ganz falsch ist diese Auffassung
nicht. Vietnam ist nicht daran schuld, dass die US-Amerikaner im Krieg mit
dem Pflanzengift Agent Orange riesige Urwaldgebiete, die grüne Lunge des
Landes, entlaubt haben.
Dementsprechend schnell entwickelte sich die CO2-Bilanz des Landes:
Insgesamt haben sich die Emissionen in Vietnam seit Anfang der 1990er
Jahren verzehnfacht, pro Kopf und Jahr sind es derzeit etwa 2,2 Tonnen. Das
ist zwar nur knapp ein Drittel der Pro-Kopf-Emissionen von EU-Bürgern.
Allerdings liegt die Wirtschaftskraft pro Kopf in Vietnam im weltweiten
Vergleich auf Platz 139, die der EU auf Platz 31.
Vietnam, wo das Meer bereits viel Land verschluckt hat und weite
Küstenabschnitte versalzen, trägt trotz aller Umweltsünden weniger zum
Klimawandel bei, als es darunter leidet. Kleine Ansätze zum Umdenken gibt
es im Mekong-Delta, der Kornkammer Vietnams. In dieser Region bedrohen ein
steigender Meeresspiegel, die Versalzung der Böden und Süßwassermangel
bereits die Lebensgrundlagen von 17 Millionen Menschen. Hier denkt die
Regierung sogar ernsthaft über den Verzicht auf ein Kohlekraftwerk nach.
Insgesamt hat der Schutz der Umwelt bei vielen Vietnamesen, vor allem
abseits der Metropolen, keinen hohen Stellenwert. Das sieht man an Stränden
vieler Küstenorte. Hier werden alte Kühlschränke und Schränke dem Meer
überlassen. Dementsprechend ist Fridays for Future in Vietnam nicht aktiv.
Den wenigen Umweltaktivisten ergeht es übel: Protestler, die das
Fischesterben in Zentralvietnam wegen der Abwässer eines Stahlwerkes
kritisierten, wurden dafür zu Haftstrafen von bis zu 14 Jahren verurteilt.
1 Dec 2019
## LINKS
[1] /Chinesen-in-Vietnam/!5521364
[2] https://www.reuters.com/article/us-vietnam-energy-analysis/in-vietnams-boom…
[3] https://www.airvisual.com/world-air-quality-ranking
## AUTOREN
Marina Mai
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