# taz.de -- Kohlestrom in Bangladesch: Wenig Strom, viel Natur | |
> Bangladesch leidet unter dem Klimawandel, braucht aber dringend Strom und | |
> setzt auf Kohle – mithilfe deutscher Firmen. Ein Dilemma. | |
Bild: Bedroht vom Kohlekraftwerk:Tiger in den Sunderbans | |
Die Sundarbans – auf Bengalisch „schöne Wälder“ – sind die weltweit g… | |
Mangrovenwälder. Auf 10.000 Quadratkilometern erstreckt sich das | |
Unesco-Weltkulturerbe mit einzigartigen Bäumen, den Sundori, und einer | |
reichen Tierwelt mit Tigern, Krokodilen und etwa 250 Vogelarten. | |
Ausgerechnet hier, am Rande der Wälder, baut die Regierung von Bangladesch | |
ein Kohlekraftwerk zur Stromerzeugung. | |
Ausgerechnet Bangladesch, das oft als prominentes Opfer des Klimawandels | |
gilt, plant großflächig neue Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß: Im nächsten | |
Jahrzehnt soll der Anteil der Kohle am Strommix nach den Plänen der | |
Regierung von jetzt 5 auf 50 Prozent verzehnfacht werden. | |
Bangladesch braucht dringend Strom. Bisher sind nur 77 Prozent des Landes | |
mit wachsender Bevölkerung und wachsender Wirtschaft mit Elektrizität | |
versorgt. Das Kraftwerk im Bezirk Rampal, mit 170.000 Einwohnern, wird groß | |
geplant: Auf einer Fläche von knapp 8 Quadratkilometern sollen für 1,6 | |
Milliarden Dollar Turbinen mit einer Gesamtleistung von 1.300 Megawatt | |
entstehen. Vorangetrieben wird das Projekt von der indischen Exim-Bank, an | |
der auch die Deutsche Bank beteiligt ist. Jährlich 472.000 Tonnen Kohle | |
würden dann per Schiff über den Pashur-Fluss durch die Sundarbans | |
transportiert werden, monieren Kritiker. | |
## Sundarbans sind bedroht | |
Das neue Kraftwerk bedroht den Lebensunterhalt von über zwei Millionen | |
Einwohnern in der Region, die von den natürlichen Ressourcen der | |
Sundarbans, Fisch und Honig, abhängig sind. Deshalb regt sich im Land | |
Protest. „Es gibt viele Möglichkeiten, Strom zu erzeugen“, sagt Anu | |
Muhammad, Professor für Ökonomie an der Jahangirnagar-Universität von | |
Savar, nahe der Hauptstadt Dhaka, „aber für die Sundarbans gibt es keine | |
Alternative.“ Muhammad, auch ein bekannter Klimaaktivist und Buchautor, war | |
vor Kurzem zu Besuch in Deutschland, um die bengalische Klimabewegung | |
bekannt zu machen. An der drohenden Umweltzerstörung in dem einzigartigen | |
Ökosystem gibt er Deutschland eine Mitschuld, weil deutsche Firmen | |
beteiligt sind. | |
Anu Muhammad sitzt in einem Café in Berlin, er trägt eine blaue Jeans und | |
ein graues kragenloses Hemd, die Khurta, und redet in seiner Muttersprache | |
Bangla: „Auch Deutschland trägt Verantwortung, wenn die Sundarbans | |
zerstört werden.“ Neben der Deutschen Bank ist das Unternehmen Fichtner | |
bei Stuttgart als leitendes Ingenieurbüro an dem Projekt beteiligt. Beide | |
Unternehmen wollen sich auf Anfrage der taz nicht zu dem Thema äußern. Die | |
Deutsche Bank belässt es bei allgemeinen Verweisen zu den | |
Klimaschutzaktivitäten des Unternehmens. Für den Klimaaktivisten Anu | |
Muhammad tut die deutsche Regierung zu wenig. „Wenn sie keine rechtlichen | |
Möglichkeiten hat, solche Projekte zu stoppen, sollte sie dringend ein | |
entsprechendes System entwickeln“, fordert er. | |
Bangladesch ist nur halb so groß wie Deutschland, hat aber 160 Millionen | |
Einwohner. Zugang zu sauberem Trinkwasser und Strom sind für viele keine | |
Selbstverständlichkeit. Umweltschutz ist ein von vielen ignoriertes Thema. | |
Anu Muhammad hat vor acht Jahren ein nationales Forum für Umweltschutz | |
initiiert (National Committee to protect oil, gas and mineral resources, | |
power and ports, NCBD), in dem Wissenschaftler, Aktivisten, Politiker und | |
Bürger zusammenkommen. Seither ist das Leben des 63-Jährigen schwierig | |
geworden, dreimal wurde er bereits verhaftet. | |
2010 hatte er erfahren, dass in Rampal ein Kohlekraftwerk entstehen soll. | |
Als Muhammad mit seinem Team dorthin fuhr, fanden sie ein großes Plakat | |
vor, auf dem auf Bangla stand: ‚Hier baut die bengalische Armee ein | |
Kohlekraftwerk‘. „Das war eine deutliche Drohung“, erinnert sich Muhammad. | |
„Sie haben ‚Armee‘ geschrieben, weil die lokale Bevölkerung vor ihr Angst | |
hat. Die Verantwortlichen waren schlau.“ | |
## Sheikh Hasina Wajed regiert autoritär | |
Das Rampal-Kraftwerk entsteht in einem hitzigen politischen Klima. Die | |
autoritäre Herrschaft der Regierungspartei von Ministerpräsidentin Sheikh | |
Hasina Wajed wird von Menschenrechtsgruppen scharf kritisiert. Es herrsche | |
„harte Verfolgung aller Andersdenken oder Kritiker“, schreibt Human Rights | |
Watch. Amnesty International beklagt, „die Regierung unterdrückt mit | |
repressiven Gesetzen die Meinungs- und Pressefreiheit“ und schränke die | |
Versammlungsfreiheit ein. Trotzdem ist Bangladesch mit einem Rekordhoch von | |
fast 8 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2018 eine der am schnellsten | |
sich entwickelnden Volkswirtschaften der Welt. | |
„Ist wirtschaftliche Entwicklung schädlich für die Umwelt?“, fragt Muhamm… | |
im Café in Berlin rhetorisch und antwortet mit einer Gegenfrage: „Müssen | |
wir die Umwelt und öffentlichen Rechte opfern, um das dringend benötigte | |
Wachstum zu erreichen? Nein.“ | |
Diesen Fragen begegnet Muhammad auch in seiner Heimat immer wieder: „Gibt | |
es eine Alternative zum Kraftwerk? Wie bekommen wir sonst Strom?“ | |
Solarenergie könnte auch im sonnigen Bangladesch die Lösung sein, glaubt | |
Muhammad. „Aber die Regierung verhält sich still und macht einfach weiter“, | |
sagt er verärgert. | |
Für Mohammad Tamim, Professor für Ingenieurwissenschaftler an der | |
Brac-Universität in Dhaka, ist die Situation komplizierter. „Nach dem | |
derzeitigen Stand der Technik würden erneuerbare Energieträger angesichts | |
der Landknappheit und der Verknappung der Windressourcen maximal 10 Prozent | |
unseres Strombedarfs decken. Wir müssten also zusätzlich Strom importieren | |
oder ihn aus Gas produzieren.“ | |
Auch für Tamim ist Kohle ein schmutziger Brennstoff: „Das ist nicht zu | |
leugnen. Aber wenn die Regierung alle versprochenen Maßnahmen ergreift, | |
wird die Umweltverschmutzung äußerst gering sein. In diesem Fall glaube ich | |
nicht, dass die Sundarbans davon Schaden nähmen.“ Aber würde die Regierung | |
die Maßnahmen auch umsetzen und überwachen? „Das ist eine | |
Eine-Million-Dollar-Frage“, sagt Tamim. | |
Eine Anfrage der taz an das Energieministerium in Bangladesch hierzu blieb | |
unbeantwortet. Die Grünen-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen | |
Bundestages, Claudia Roth, reiste mit ihrem Team im Februar 2019 nach | |
Bangladesch. Schwerpunkte ihrer Reise waren die Klimakrise, internationale | |
Verantwortung sowie klimabedingte Migration und Flucht. „Das Projekt wird | |
(…) in der Zivilgesellschaft von Bangladesch sehr kritisch gesehen“, | |
schreibt sie und schlussfolgert: „Es ist eine Frage historischer | |
Klimagerechtigkeit, dass wir in den Industriestaaten nicht weiter den Kopf | |
in den Sand stecken, sondern Verantwortung übernehmen.“ | |
Mohammad ist zurück in Bangladesch. Seine Kritik an dem geplanten Kraftwerk | |
wird dort nicht gerne gehört. Die von Roth beschworene Zivilgesellschaft | |
ringt mit der Umweltfrage. Die Bauarbeiten in Rampal gehen weiter. | |
Shammi Haque, Journalistin aus Bangladesch, lebt zurzeit in Deutschland. | |
Von 2013 bis 2015 war sie in der Bürgerbewegung gegen Rampal aktiv. | |
5 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Shammi Haque | |
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