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# taz.de -- Stromnetz-Ausschreibung: Gezerre um den Landes-Stecker
> Die Suche nach dem künftigen Stromnetz-Betreiber ist in die heiße Phase
> eingetreten. Dank politischer Rückendeckung hat Vattenfall beste Chancen
Bild: Darf Vattenfall hier wieder ran? Oder doch die BürgerInnen?
Berlin steht kurz vor einer elektrisierenden Entscheidung – aber kaum
jemand hat sie auf dem Schirm. Die Frage lautet: Wer betreibt künftig das
städtische Stromnetz? Darf der Vattenfall-Konzern weiterhin die Gewinne aus
der öffentlichen Infrastruktur abschöpfen? Oder holt sich das Land,
eventuell unter Beteiligung der Bürger, die Leitungen zurück? Letzteres war
die Forderung von etwa 600.000 Berlinern bei einem Volksentscheid im Jahr
2013, der nur knapp am Beteiligungsquorum scheiterte. Doch die Parole von
damals ist noch im Kopf: „Vattenfall den Stecker ziehen“.
Mit einer Gesamtlänge von 35.000 Kilometern ist das Berliner Stromnetz das
größte Deutschlands. Die Leitungen transportieren Strom, der überwiegend in
den Kraftwerken der Stadt sowie von den Solaranlagen und Windrädern im
Umland produziert wird. Wer das Netz in den Händen hält, verdient über die
Nutzungsgebühren gutes Geld. Selbst nach Abzug der notwendigen
Investitionen und Instandhaltungen verbleiben Vattenfall Jahr für Jahr
geschätzte dreistellige Millionenbeträge.
## Das doppelte Vattenfall
Nach langer Verzögerung – die Konzession für die Vattenfall-Tochter
„Stromnetz Berlin GmbH“ lief schon Ende 2014 aus, wurde dann aber
schrittweise verlängert – befindet sich das Bewerberverfahren nun in der
Schlussphase. Drei Bieter sind übrig geblieben, die unterschiedlicher nicht
sein könnten: Vattenfall, Berlin Energie und BürgerEnergie Berlin. Der
privatwirtschaftlich geführte schwedische Staatskonzern Vattenfall ist
dabei gleich zweimal im Rennen: mit einer Bewerbung für den 100-prozentigen
Betrieb sowie einer weiteren, die vorsieht, das Netz zu gleichen Anteilen
mit dem Land Berlin zu halten.
Berlin selbst hat seinen Landesbetrieb Berlin Energie ins Rennen geschickt
– gegründet eigens zur Rekommunalisierung von Strom- und Gasnetz. Echte
politische Unterstützung aus Reihen des noch amtierenden Senats hat Berlin
Energie indes nicht. Außerdem ist strittig, ob ein Zuschlag rechtlich
Bestand hätte: Vor einem Jahr erst verbot das Kammergericht dem Unternehmen
die Teilnahme am Bewerberverfahren um die Gaskonzession – der Eigenbetrieb
des Landes sei nicht rechtsfähig, urteilten die Richter. Dass eine Vergabe
an Berlin Energie juristisch anfechtbar sein könnte, glaubt auch Michael
Schäfer, der scheidende energiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion.
Als dritter Bewerber haben Berliner Bürger ihren Hut selbst in den Ring
geworfen. Die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin bewirbt sich um 25,1
Prozent des Netzes, das sie gemeinsam mit dem Land Berlin betreiben will.
Um das politische Signal auszusenden, dass sie es ernst meinen, haben die
Genossen – mehr als 3.000 sind es zurzeit – über 12 Millionen Euro
gesammelt. “Das Netz soll im Sinne der Daseinsvorsorge betrieben werden“,
sagt Vorstand Luise Neumann-Cosel, „und nicht im Sinne der
Gewinnmaximierung.“ Selbstbewusst spricht sie von einer „neuen Qualität der
Bürgerbeteiligung“. Die Genossenschaft verspricht öffentliche Kontrolle,
die Investition der Gewinne in die Energiewende und eine Entlastung der
Kunden.
Allerdings stehen die Chancen der Bürger nicht besonders gut. Erst recht
nicht, wenn die Entscheidung über die Vergabe noch vom alten rot-schwarzen
Senat getroffen werden sollte: Dieser – in Person von SPD-Finanzsenator
Matthias Kollatz-Ahnen – hat sich im Rahmen eines „wirtschaftlichen
Dialogs“ frühzeitig für Vattenfall ausgesprochen. Der ursprüngliche Plan,
dass im Rahmen der Teilausschreibung eine Mehrheit von 51 Prozent der
Anteile beim Land Berlin verbleiben müsse, wurde zugunsten Vattenfalls
geändert. Der Konzern durfte sich nun auch auf 50 Prozent bewerben. In
dieser Konstellation wäre keine Entscheidung ohne ihn möglich.
## Politische Entscheidung
Momentan prüfen externe Berater anhand eines vom Senat festgelegten
Kriterienkatalogs die Gebote. In dem geheimen Verfahren wird geprüft,
welches den Punkten am ehesten entspricht. Das Prozedere gilt als streng
standardisiert, das Beratervotum als entscheidend. Dennoch wird als offenes
Geheimnis gehandelt, dass die letztliche Entscheidung der Senatsverwaltung
für Finanzen auch eine politische sein wird – etwa wenn der Zuschlag auf
der Kippe zwischen zwei Geboten steht. Die Frage ist jetzt: Wie lange
brauchen die Prüfer? Bekommt Kollatz-Ahnen noch vor Installierung des neuen
Senats die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen?
Auf dieses Szenario angesprochen, sagte Linken-Spitzenkandidat Klaus
Lederer vor der Wahl: „Ich kann nur hoffen, dass sie das nicht machen.“ Der
Charme einer Bürgerbeteiligung aus seiner Sicht: „Sie würde garantieren,
dass Anteile nicht irgendwann wieder an Private vergeben werden.“ Neben
Lederer haben sich im Wahlkampf mehr als 60 Direktkandidaten – vor allem
Grüne und Linke, aber auch ein Dutzend von der SPD – für die Beteiligung
der Bürgergenossenschaft ausgesprochen.
Die Grünen hatten das Kooperationsmodell von Genossenschaft und
öffentlicher Hand sogar ins Wahlprogramm geschrieben. Michael Schäfer sieht
die Bürger als Garant dafür, typische Fehler in Landesunternehmen zu
vermeiden: etwa für die notwendige Transparenz zu sorgen oder darauf zu
achten, dass die Posten im Unternehmen nicht nach Parteizugehörigkeit
vergeben werden. Doch dafür muss eben erst einmal Vattenfall der Stecker
gezogen werden.
3 Oct 2016
## AUTOREN
Erik Peter
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