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# taz.de -- Stockholm-Initiative zu Atomwaffen: Standleitungen statt Armdrücken
> Bei der atomaren Abrüstung folgt Außenminister Maas mit der
> Stockholm-Initiative einer Strategie der kleinen Schritte. Zu kleinen,
> sagen Kritiker
Bild: Atomwaffen? Am besten in die Tonne! Straßentheater mit Putin- und Biden-…
Madrid taz | Vor seinem Termin im spanischen Außenministerium setzt sich
Heiko Maas für eine halbe Stunde in ein Café auf der Plaza Mayor. Zwischen
dem Platz in der Innenstadt Madrids und dem Fliegerhorst Büchel in der
Eifel, [1][wo 20 US-Atombomben lagern], liegen 1.371 Kilometer. Das
entspricht fast genau dem Einsatzradius eines Tornado-Kampfjets und damit
sind wir auch schon mitten im Thema: In Madrid geht es an diesem Montag um
Nuklearwaffen und die Frage, wie man einen Atomkrieg ein klein wenig
unwahrscheinlicher machen könnte.
„Das Thema Abrüstung ist für uns immer ein Thema gewesen“, sagt der
Außenminister auf der Plaza Mayor. Im Moment sprächen auch die USA und
Russland wieder miteinander über ihre Atomwaffen. Damit öffne sich ein
Zeitfenster. „Das ist der richtige Moment, um konkrete Maßnahmen
vorzuschlagen“, sagt Maas.
Der SPD-Politiker ist zum Treffen der Stockholm-Initiative nach Madrid
gereist. Die schwedische Regierung hat die Initiative vor zwei Jahren
gestartet, die Bundesregierung beteiligt sich als Co-Gastgeber. Insgesamt
16 Staaten unterschiedlicher Größe und von verschiedenen Kontinenten sind
dabei – darunter Äthiopien und Argentinien, Jordanien und Japan, Kanada und
Kasachstan. Zusammen werben die Länder, von denen keines eigene Atombomben
besitzt, für kleine Schritte in Richtung nuklearer Abrüstung. Sie machen
ein Kompromissangebot als Reaktion auf die Entwicklung der letzten Jahre.
Denn auch wenn Joe Biden und Wladimir Putin bei einem Treffen im Juni
[2][tatsächlich Gespräche zur Rüstungskontrolle angekündigt haben]: Global
führte der Weg zuletzt eher in Richtung atomarer Eskalation. Der 51 Jahre
alte Atomwaffensperrvertrag, der langfristig den freiwilligen Abbau aller
Nuklearwaffen zum Ziel hatte, hat seine besten Jahre hinter sich. Sowohl
Russland als auch die USA modernisieren ihre atomaren Arsenale. Den
INF-Vertrag zur Begrenzung nuklearer Mittelstreckenraketen haben sie
beidseitig gekündigt. Und auch in anderen Weltreligionen bröckelt das
System der Rüstungskontrolle. Man denke nur an das Iran-Abkommen, aus dem
die USA unter Donald Trump ausgestiegen sind und dessen Wiederbelebung sich
bisher wenig erfolgreich gestaltet.
## Das Völkerrecht soll Atomwaffen ächten
Aus Frust über die Entwicklung haben etliche Nicht-Atombomben-Staaten vor
vier Jahren [3][den UN-Atomwaffenverbotsvertrag auf den Weg gebracht]. Sie
glauben nicht mehr an den guten Willen der Nuklearmächte, den bisherigen
Regeln der Rüstungskontrolle zu folgen. Daher gehen sie jetzt auf
Konfrontation und wollen mithilfe des Völkerrechts den Besitz von
Atomwaffen ächten. 86 Staaten haben den Vertrag mittlerweile
unterschrieben. Deutschland ist nicht dabei.
Stattdessen also die Stockholm-Initiative, die den Atomstaaten die Hand
reichen will. Sie ist die nette Alternative zum Verbotsvertrag, ihre
Vorschläge sollen nicht wehtun. Laut der britischen Denkfabrik BASIC, die
den Ansatz mitentwickelt hat, liegt der Fokus auf „Kooperation statt
Armdrücken und Blame Game“. Die Gruppe fordert keine großen Schritte, aber
die Richtung soll stimmen. Erst mal eine positive Dynamik entwickeln und
dann sehen, wie weit sie führt.
Eine Liste von 22 „kurzfristigen und umsetzbaren“ Maßnahmen hat die
Stockholm-Initiative im letzten Jahr vorgelegt, darunter auch Schritte, die
eigentlich schon im 51 Jahre alten Atomwaffensperrvertrag festgeschrieben
sind. Die Gruppe bittet die Atomwaffenstaaten darum, neue
Abrüstungsverhandlungen zu führen. Sie schlägt ihnen vor, Standleitungen
einzurichten, um einen versehentlichen Atomkrieg zu verhindern. Und sie
regt zur friedenspolitischen Bildung Reisen nach Hiroshima und Nagasaki an.
In Madrid ziehen die Mitglieder der Initiative am Montag eine
Zwischenbilanz. Aus ihrer Sicht läuft es gut: Die positiven Zeichen der
letzten Monate – neben dem Biden-Putin-Gespräch im Juni auch die
Verlängerung des New-Start-Vertrags über Interkontinentalraketen im Januar
– entsprächen „den Vorschlägen der Stockholm-Initiative“, heißt es am
Nachmittag in der Abschlusserklärung. Bis Anfang 2022 werde man die
eigenen Bemühungen verstärken. Dann findet in New York die nächste
Überprüfungskonferenz für den alten Atomwaffensperrvertrag statt.
## Die Linke fordert radikalen Schwenk der Bundesregierung
Klingt löblich. Allerdings geht die Stockholm-Initiative mit ihrer Politik
der kleinen Schritte vielen nicht weit genug. Als „pure Heuchelei“
bezeichnet die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Linke) die Madrider
Erklärung. Ihre Partei fordert, dass die Bundesregierung den Atommächten
keine freundlichen Vorschläge macht, sondern selbst handelt, dem neuen
Atomwaffenverbotsvertrag beitritt und aus der nuklearen Teilhabe der Nato
aussteigt. Das Nato-Konzept sieht bislang vor, dass im Ernstfall die
Tornados der Bundeswehr die in Büchel gelagerten US-Bomben aufnehmen und in
ihr Ziel fliegen, wobei man gemeinhin natürlich eher in Richtung Osten
denkt als in Richtung Madrid.
Skeptisch sehen auch die Grünen die Stockholm-Initiative. „Es ist immer
gut, miteinander über Abrüstung zu reden. Allerdings ist die Runde genauso
hilflos wie andere Bemühungen der Bundesregierung“, sagt die Abgeordnete
Katja Keul der taz. „Bislang kann ich nicht erkennen, dass die
Stockholm-Initiative vonseiten der Atommächte besonders ernst genommen
wird.“
Ihr Gegenvorschlag: Kein sofortiger Beitritt Deutschlands zum
Verbotsvertrag, aber zumindest ein offizieller Beobachterstatus. Das
entspricht dem Grünen-Wahlprogramm, das zwar den Abzug der US-Atomwaffen
als Ziel vorsieht, aber anders als noch 2017 Zwischenschritte anmahnt. Die
Nato solle zum Beispiel erklären, auf den atomaren Erstschlag zu
verzichten. Abgelehnt hat der Programmparteitag im Juni dagegen den
Vorschlag, keine atomwaffenfähigen Nachfolger für die altersschwachen
Tornados der Bundeswehr zu kaufen. Damit hätte man die nukleare Teilhabe
durch die Hintertür beenden können.
Das Wahlprogramm der Grünen ähnelt in dieser Frage dem der SPD. Auch sie
lässt die Frage der Tornado-Nachfolge offen, auch sie schlägt einen
Beobachterstatus beim Verbotsvertrag vor. Während die Grünen in den Nuancen
zuletzt leicht nach rechts gerückt sind, ist das für die SPD aber eher ein
Schwenk nach links. Das kann man als Folge des gewachsenen Einflusses von
Militärkritiker*innen wie Fraktionschef Rolf Mützenich verstehen.
Der Außenminister dagegen beugt sich diesem Schwenk eher widerwillig. „Wir
sind offen dafür, über den Beobachterstatus zu sprechen“, sagt Heiko Maas
in Madrid. Jetzt gelte jedoch alle Kraft der Konferenz zum
Atomwaffensperrvertrag 2022. Der Strategie der kleinen Schritte also. Und
die nukleare Teilhabe? „Ich finde nicht, dass man die zur Disposition
stellen kann.“
5 Jul 2021
## LINKS
[1] /Ostermaersche-trotzen-der-Pandemie/!5758926
[2] /Bidens-Europareise/!5778270
[3] /Abkommen-ueber-UNO-Atomwaffenverbot/!5745773
## AUTOREN
Tobias Schulze
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